Von Gerold Paul: Küsse vom Spitzbuben Egon
Carmen-Maja und Jennipher Antoni lasen im Hans Otto Theater Kischs „Briefe an Jarmila“
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Egon Erwin Kisch, der „Rasende Reporter“, raste nicht nur der Weltgeschichte von Australien bis Mexiko, von Spanien bis Moskau nach, sondern auch den schönen Damen. Es ist überliefert, dass er eine wildfremde Frau in einem Hotel fragte, ob sie nicht mit ihm schlafen wolle. „Was, jetzt gleich?“, fragte sie geschockt. „Warum nicht“, antwortete Kisch voller Selbstbewusstsein.
Solche Schnurren werden Carmen-Maja Antoni und ihre Tochter Jennifer wahrscheinlich kaum bewogen haben, ihr Kisch-Programm „Briefe an Jarmila“ der Lese-Matinee des Hans Otto Theaters anzuempfehlen. Der gebürtige Prager hatte ja angeblich nur zwei Passionen, die Zeitung und die Weiber.
In seinem Verhältnis zur langjährigen Freundin, Zeit-Geliebten und bester aller Übersetzerinnen Jarmila Ambroová kamen wohl alle Leidenschaften dieses weltreisenden Charmeurs und begnadeten Autors zusammen. Schrieb er nur auf Deutsch, so übersetzte sie ins Tschechische, wo er 1888 geboren wurde und nur deutsche Schulen besuchte. Beide standen zwischen 1923 und 1946 in einer vertrauten Korrespondenz.
Völlig unverständlich, warum die Antonis am Sonntag nur den männlichen Teil darboten: Kisch in Postkarten und Briefen an Jarmila, Jarmilinka, Jamilka, Jarmilatschku und wie er sie nannte, zugleich immer wieder bittend: „Du schreibst so wenig von dir ...“ Er dankte ihr doch für „so viele liebenswerte Briefe“. Hier schien also nur ein Teil des Kisch-Menschen präsent, oder noch weniger.
Egonek als erfolgreicher Reporter und Autor, mal vom Schicksal und den Schönen („jedes Mädchen geht mit mir ins Bett“) verwöhnt, mal von Misserfolgen geplagt, eilte als „König der Journalisten“ ruhelos zu den Brennpunkten der Welt, auch außerhalb Böhmens stets eine Bohemien mit kommunistischer Gesinnung.
Davon erfuhr man erst sehr spät, denn als Nachtrag zu diesem Vortrag hielten die beiden Leserinnen noch drei Kurzreportagen parat, eine behandelte die Ermordung der andersdenkenden Rosa Luxemburg inmitten Berlins, 1919, mit gehöriger Klarheit. Kein Geringerer als der Herausgeber dieser Briefe, Klaus Haupt, hatte die Textauswahl dafür besorgt. Christian Deichstetter begleitete das Programm mit Werken von Komponisten aus der „kischigen“ Zeit mit viel Temperament.
Von allem gab es bei der Matinee ein bisschen: Zeiten und Themen waren eigentlich immer nur angerissen und von Mutter Carmen-Maja mit fester, von Tochter Jennipher mit leiserer Stimme vorgetragen: Kisch mit Piscator und Reed in Berlin, nach 1933 in Prag und Amsterdam, in China und Rotterdam, in Madrid und USA. Anreden wie „Liebes Äffchen und Schielauge“, „Ich liebe Dich, Du Dummerchen“ und andere Worte, welche vergessen ließen, dass der flotte Egon auch eine Gattin hatte. 1933 notierte er „Hitler ist erstanden. Schön sieht er aus!“, nach dem Krieg dann die Rückfahrt mit dem Dampfer aus dem Exilland USA zu seiner Jarmilatsch, nach Prag, von deren inneren Leben man doch zu gern etwas mehr gehört hätte.
In einer zweiten Reportage erfuhr man zwar, wie er 1933 zusammen mit anderen prominenten Linken verhaftet wurde, nicht aber, wie er frei kam.
Die Matinee schnurrte mit einer dritten Reportage aus. Als Prager an der Ostsee war Kisch so bekannt, dass er kaum dazu kam, richtig Urlaub zu machen. Er starb 1948 in Prag. Auch Jarmila folgte dem Sarg ihres „Spitzbuben“, dem Egon furioso.
Gerold Paul
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