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Kosmopolitische Schriftstellerin. Mit nationalen oder regionalen Zugehörigkeiten kann die Autorin Antje Rávic Strubel nicht viel anfangen. Aber den Duft von Kiefern vermisst sie im Ausland.

© Zaia Alexander

25 Jahre Deutsche Einheit: Gespräche über Freiheit (II): „Man lebte für die Zukunft“

Die Potsdamer Schriftstellerin Antje Rávic Strubel spricht im PNN-Interview über DDR-Erinnerungen und kollektive Visionen.

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Frau Strubel, Sie scheinen sich den Osten in Ihren Künstlernamen hineingeschrieben zu haben. Rávic wirkt slawisch. Antje „Sandrine“ Strubel oder Antje „Nancy“ Strubel hätte in eine ganz andere Richtung gewiesen, oder?

Rávic ist eine Erfindung. Der Name klingt nur slawisch, wenn man ihn falsch ausspricht, mit einem Zischlaut am Ende. Zuerst hatte ich mich für Ravik entschieden. Das sah mir dann aber zu eindeutig männlich aus. Für mich hat Rávic nicht das Geringste mit meiner Herkunft zu tun. Im Gegenteil. Der Name enthebt mich aus allem, was sich mit dem bürgerlichen, alltäglichen Dasein verknüpft und steht für die Entrückung, den Rausch im Schreiben.

Sie wurden 1974 in Ludwigsfelde geboren. Würden die Figuren aus dem Roman „Tupolew 134“, der dort in den 1970er Jahren spielt, die Stadt heute noch erkennen?

Lutz Schaper dürfte dort sogar noch wohnen, er kehrt ja am Ende des Romans nach Ludwigsfelde zurück. Er müsste heute 80 sein. Einige der Veränderungen, die nach der Wende in Ludwigsfelde eingesetzt haben, werden im Roman von der Erzählerfigur thematisiert; die Glasfronten, die vor den alten grauen Putz gesetzt wurden zum Beispiel, die Übernahme des LKW-Werks durch Mercedes. Die Autobahnbrücke, die die Stadt in zwei Hälften schneidet, ist luftig und durchlässig geworden, früher war es dort dunkel und trostlos. Das schöne Kino gibt es allerdings nicht mehr.

Nach Stationen in Potsdam und Berlin gingen Sie nach New York, verbrachten Ihre Sommer in Schweden. Hatten Sie die Nase voll von Deutschland, einem Land, das nur mit sich selbst beschäftigt war?

Ich wollte reisen, Abenteuer, die Welt sehen. Ich habe mir nicht so viele Gedanken über Deutschland gemacht. Ich war neugierig aufs Unbekannte. Ich wollte sehen, wo diese großartige Literatur herkam, die ich als Jugendliche verschlungen habe; Autorinnen und Autoren der amerikanischen Moderne. Und ich wollte nach Schweden, weil dort die Fähre von Warnemünde aus hingefahren war: in dieses geheimnisvolle helle Land jenseits des Horizonts.

Wie viel Brandenburg ist heute noch in Ihnen? Und wie viel davon würden Sie als Osten beschreiben?

Ich finde regionale Zuordnungen ebenso schwierig wie nationale. Ich fühle mich nicht besonders verwurzelt, sehe mich eigentlich als kosmopolitische Schriftstellerin. Wenn wir aber über den Geruch von Sandboden oder Kiefernadelduft reden, dann ist das etwas, was ich nach einer gewissen Zeit im Ausland vermisse. Kiefernwälder sind mir seit Kindheit vertraut, auch wenn es sich oft nur um aufgeforstete Baumghettos handelt. Menschen können mir hier allerdings genauso fremd sein wie an der Westküste der USA.

Den Osten haben Sie jetzt ausgeblendet. Er ist ja mehr als eine regionale Zuordnung, und auch keine nationale. Direkter gefragt: Wie ostdeutsch fühlen Sie sich heute?

Ich weiß gar nicht, was das für ein Gefühl ist.

In einem Interview sagten Sie über Orte, die Sie geprägt haben: „Schweden kann ich aus sehnsüchtiger Distanz betrachten. In Brandenburg lebe ich. Und bei dem, was einem am nächsten ist, fällt einem häufig zuerst das Negative ein.“ Wie blicken Sie 2015 auf die DDR – ist da mehr Distanz oder Nähe?

Was ich meinte, war, dass eine differenzierte Betrachtung oft erst aus der Nähe möglich ist. Die Beschaffenheit, das Fundament eines schönen Hauses sieht man erst, wenn man drin wohnt. Reibungspunkte, Risse, Schwierigkeiten, die eine Region oder ein Land mit sich bringen, zeigen sich erst, wenn man anfängt, sich auseinanderzusetzen. Ich hatte das Glück, dass ich bis zum Ende der DDR noch zu jung war, um mich wirklich ernsthaft mit den politischen Bedingungen auseinandersetzen zu müssen. Die DDR fällt ja für mich mit der Kindheit zusammen. Schon als Sechs-, Sieben-, Achtjährige hatte ich dem System gegenüber eine Distanz. Ich bin zweigleisig aufgewachsen, draußen sagte man das eine, zu Hause das andere. Diese Distanz habe ich möglicherweise immer noch und zwar gegenüber jeder Art von gesellschaftlicher Verabredung, das ist geblieben. Das führt dazu, alles, was als normal oder allgemeingültig betrachtet wird, zu hinterfragen. Wenn man einmal anfängt, mit diesem Blick durch die Welt zu laufen, erscheint vieles von dem, was wir so jeden Tag machen und sagen und glauben, wie im Zerrspiegel; absurd, aberwitzig, grundlos und seltsam. Auch die Erfahrung des Untergangs einer Gesellschaftsordnung und das nahtlose Übergehen in eine andere hat meine Weltwahrnehmung entscheidend geprägt. Und was die Kindheit betrifft: Erscheint sie nicht immer mal näher und mal weiter weg, je nachdem, in welcher Situation ich mich daran erinnere?

Tellkamp sagt über die DDR, sie sei ein „dunkles, hoffmanneskes Märchen“ gewesen. Können Sie damit etwas anfangen?

Ich halte nichts davon, die Dinge zu mythisieren. Wäre sie ein hoffmanneskes Märchen gewesen, hätte sie ein begnadeter Künstler erfunden und keine fantasiefreien Technokraten, und ich hätte mich dort viel lieber aufgehalten.

Zukunft war in der DDR Programm. In „Tupolew 134“ schreiben Sie über die Protagonistin Verona, die in den 1970ern Anfang 20 ist: „Sie gehört der ersten Generation an, die mit dem Gedanken aufwächst, für alles verantwortlich zu sein. Für die Zukunft, die formbar sein muss wie ein Rohling, für die Schönheit der Städte und Gemeinden.“ Und heute? Täuscht der Eindruck, dass die Zukunft sich rar macht, die Menschen lieber zurücksehen?

Der Sozialismus hatte eine Heilsgeschichte. Wir haben uns immer auf den jüngsten Tag vorbereitet, ihm entgegengearbeitet, gekämpft für die Ankunft des Kommunismus. Ideologien und Religionen sind in bestimmter Hinsicht nicht weit voneinander entfernt. Man lebt für die Zukunft, die natürlich immer nur besser sein kann. Aber auch in anderer Hinsicht gab es so eine idealisierte Zukunft; wenn sie dir eine Mauer hinstellen, ist es leicht, sich eine bessere Welt dahinter herbeizufantasieren. Bei Eingesperrten kommt der Drang, ausbrechen zu wollen, von selbst. Man klammert sich an die Vision davon, wie es sein wird, wenn man eines Tages die Mauer überwunden hat. Ist man draußen, ist diese Projektionsfläche natürlich weg. Wenn die Mauern oder Feindbilder innerhalb einer Gesellschaft subtiler sind, ist es auch schwieriger, Visionen zu entwickeln, weil sie oft erst gegen oder in Abgrenzung zu etwas Überzeugungskraft haben. Sie erfüllen ja immer das, was die miserable Gegenwart nicht erfüllt. Wenn es weniger kollektive Visionen gibt, bedeutet das also auch, dass die gegenwärtige Gesellschaft so miserabel nicht sein kann.

Das Gespräch führte Lena Schneider

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