Anna Vavilkina beim Orgelsommer: Mutation zu einer Kino-Orgel
Für sein Orgelsommer-Konzert, das vorletzte der Saison, hatte sich Friedenskirchenkantor Joachim Walter ein anspruchsvoll-klassisches Programm zusammengestellt. Unter anderem wollte er Johann Sebastian Bachs Toccata, Adagio und Fuge BWV 564, Franz Liszts Präludium und Fuge über B-A-C-H und César Francks Finale op.
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Für sein Orgelsommer-Konzert, das vorletzte der Saison, hatte sich Friedenskirchenkantor Joachim Walter ein anspruchsvoll-klassisches Programm zusammengestellt. Unter anderem wollte er Johann Sebastian Bachs Toccata, Adagio und Fuge BWV 564, Franz Liszts Präludium und Fuge über B-A-C-H und César Francks Finale op. 21 auf der Woehl-Orgel spielen. Trotz tückisch fortschreitender Krankheit war er felsenfest davon überzeugt, diesen Termin auch wahrnehmen zu können. Es sollte jedoch nicht mehr dazu kommen. Allerdings hatte Joachim Walter in Vorahnung seines Ablebens mit Anna Vavilkina noch selbst die Übernehmerin des Konzertdatums am 9. September verpflichtet. Die in Moskau Geborene studierte am dortigen Konservatorium Musikwissenschaft und Orgel, später Kirchenmusik an der Musikhochschule in Lübeck. Dort hat sie bei Walter studiert – auch Orgelkunde. Von diesem Wissen profitierte nun ihr Programm, mit der sie der Woehl-Orgel neue Soundseiten abgewinnen wollte. Zur Erinnerung: Ähnliches hatte zu Saisonbeginn bereits die Jazz-Organistin Barbara Dennerlein erfolgreich unternommen.
Abseits des Gängigen nun also auch das eigene, höchst eigenwillige Programm der 37-jährigen Vavilkina, die seit 2014 als Organistin des Kino Babylon in Berlin-Mitte tätig ist. Um Stummfilme adäquat begleiten zu können, muss sie in unterschiedlichen Stilen und Formen sattelfest sein. Von letzterer Kunst gab sie mit drei Beiträgen aus eigener, niedergeschriebener Intuition überzeugende Kunde. Zunächst eine „Suite in vier Sätzen“, deren erster sich motorisch, gemäßigt modern, aus akkordischen Bausteinen zusammengesetzt und mit schnarrendem Pedalregister vorzeigte. Skurril, mit gedeckten Diskantstimmen und in der Art einer Flötenuhr mit wirkungsvoll eingesetzten Soloregistern präsentierte sich der zweite, harmonisch weitschweifend und mit viel Tremolo der dritte. Handfest, klangkompakt und mit vollem Orgelwerk sorgte der vierte Satz für einen machtvollen Abschluss. Für das „Rondo für eine Flötenuhr“ setzte die Organistin auf ein Flötenregister, um das wie gläsern wirkende, graziös sich drehende Püppchen auf einer Spieldose zu imaginieren. Das heitere dreisätzige „Concerto im Barockstil“ bediente sich in den schnellen Ecksätzen natürlich Händelscher und Vivaldischer Zitatzutaten, setzte erneut auf den klanglichen Dreh-Effekt, während die Adagio-Sentimentalität von einer Prise Filmmusiksound geprägt war.
Und der bestimmte die nachfolgenden fünf Vavilkina-Bearbeitungen von Titeln aus US-amerikanischer Unterhaltungskostküche. Plötzlich entpuppte sich die Woehl-Orgel als die klanggewaltige Tochter einer richtigen Kino-Orgel der Marke „Wurlitzer“. Ob Scott Joplins „The Easy Winners“ oder Fred Ahlerts „Mean To Me“, Harry Warrens „Pasadena“ oder Harold Arlens „It's Only a Paper Moon“: Farbspielreich swingte es um die Wette, tanzte Charleston-Charme im Bigbandsound in die Beine, umhüllte sich mancher Tonfilmschlager mit dem Klangschmalz à la Hollywood. Worunter César Francks „Panis Angelicus“ durch ein sentimentales Arrangement (M. Machella) zu leiden hatte. Klanglich dagegen ganz original und nah beim Meister erklang eingangs dessen „Pastorale“ op. 19, die sich im Wechsel von weich und drängend, fließend und kurz phrasiert, an- und abschwellend präsentierte. Ein schöner letzter Gruß an ihren viel zu früh verstorbenen Lehrer. Peter Buske
Peter Buske
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