
© M. Thomas
Von Heidi Jäger: Nicht nur Gutmensch
Am Samstag hat Tina Müllers Stück „Türkisch Gold“ im Jungen Theater des HOT Premiere
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Nein zu sagen, kam nicht in Frage. Egal, zu welchem Thema. Denn welcher 24-Jährigen wird schon angeboten, ein Auftragswerk für ein Theater zu schreiben? Zumal Tina Müller mit „Bikini“ gerade erst ihr Debüt vorgelegt hatte, das allerdings gleich mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet wurde.
Doch beim genaueren Nachdenken versetzte ihr das Thema doch einen Schock. Was wusste sie als Schweizerin, die aus der „Pampa“ stammt, schon von dem Leben einer Türkin? Und genau darum sollte es 2004 in dem Auftragswerk der freien Theatergruppe Zamt und Zunder gehen: um die Liebe eines Schweizer Jugendlichen zu einem Mädchen türkischer Herkunft. Was man nicht weiß, kann man erfragen, dachte sich Tina Müller – und tappte fortan von einer Klischeefalle in die andere. Da sie damals gerade an der Berliner Universität der Künste Szenisches Schreiben studierte, redete sie mit vielen deutsch-türkischen Paaren, die hier lebten. „Doch fragte ich: ,Bist du religiös?’, kam prompt die Abwehr: ,Warum fragst du das?’“ Ihre Gespräche in der Schweiz verliefen anders: „Meine Fragen wurden nicht so provozierend aufgenommen. Aber dort ist auch die Situation der jungen Türken anders. Sie bekommen Lehrstellen, haben klare Perspektiven.“
Dennoch blieb Tina Müller die Fremde mit dem Blick von außen. Den Wunsch der Regisseurin, in dem Stück das Thema Ehrenmord zu thematisieren, konnte sie nicht bedienen. „Gerade nicht in einem Jugendstück, wo vorgefertigte Meinungen fehl am Platz sind.“ Doch auch ohne diese Zuspitzung wurde „Türkisch Gold“ ein Erfolg, als ein Stück über die Angst in den eigenen Köpfen. An rund zehn Theatern wurde es schon nachgespielt. Am Samstag kommt es nun auch im Jungen Theater des HOT zur Premiere.
Erzählt wird von Jonas und seiner Liebe zu Aynur, einem türkischen Mädchen, das selbst nicht auf der Bühne erscheint. Stattdessen weiht Jonas seine Freundin Luiza in die Gefühle zu Aynur ein. Doch um so mehr er im Liebesglück erstrahlt, die Vorzüge seiner Angebeteten preist – wie schön sie tanzt, wie toll ihre Familie ist – um so mehr hält Luiza dagegen. Vielleicht, weil sie selbst etwas von Jonas will. Sie spricht von Ehrenmord und Fundamentalismus. Doch je mehr die beiden die jeweils einseitigen Klischees hoch leben lassen, stellen sie sich selbst in Frage. Ihre Positionen kippen: Luiza denkt plötzlich an die eigenen fremden Wurzeln in Brasilien, Jonas bekommt kalte Füße, wenn er sich die Reaktionen seiner Freunde ausmalt. „Es geht um unsere ganz absurden Vorbehalte“, sagt Tina Müller, die nicht nur bei der Uraufführung in Baden, sondern auch bei nachfolgenden Premieren dabei war und sich über die spontanen Äußerungen der jugendlichen Zuschauer freute. „Sie spüren den humorvollen Zugang und dass alle vorgebrachten Argumente nur Vermutungen sind. Natürlich schnappt manch einer nur einen Satz aus dem Kontext heraus und hält ihn mir vor. Wenn ein Spruch fällt, wie ,Du Moschee Muschi’, da kann man natürlich aufstehen und die Türen knallen. Oder wenn junge Türken deutsche Jungs als Weicheier bezeichnen, die keine Leidenschaft haben.“ Aber gerade das Spiel mit Klischees lasse vieles aufbrechen, so ihre Erfahrung. „Man ist nicht nur ein Gutmensch, sondern hat Vorurteile, Dinge, die einem an den anderen nerven.“
Solche derben Parallelgesellschaften wie in Berlin habe sie in der Schweiz nicht kennengelernt. „Und doch gibt es dort auch zunehmende Ausländerfeindlichkeit. „Der Hass richtet sich beispielsweise gegen Deutsche, die in der Schweiz arbeiten und oft besser qualifiziert sind. Auf einmal wird in allen Bereichen Hochdeutsch gesprochen. Mein Freund ist Berliner und wenn wir in die Schweiz fahren, wird er mit dieser Bedrohungsangst konfrontiert.“
Auch sie selbst hat das Gefühl von Fremdheit erlebt. Schon bei ihrem Vater, der in Rio de Janeiro aufwuchs, im Schweizer Dorf zum Aussteiger wurde und sich dort nie richtig heimisch fühlte. Sie selbst wusste sehr früh, dass sie ihrem Nest irgendwann den Rücken kehren würde. Doch als sie schließlich nach Berlin zog, fühlte sie sich völlig überfordert, schon allein beim U-Bahn fahren. Und dass, obwohl sie in Zürich das Gymnasium besuchte und schon die Stadtluft kannte. Vor allem aber entdeckte sie dort ihre Liebe zum Theater. Sie spielte im Jugendklub, stand selbst oft auf der Bühne. „Ich hatte auch überlegt, Regie zu studieren.“
Heute ist sie froh, das szenische Schreiben für sich gefunden zu haben. Gerade als baldige Mutter lässt sich das Leben so besser händeln. „Und meine Angst, zu vereinsamen, hat sich auch nicht bestätigt.“ Sie geht für ihre Recherchen hinein in die Brennpunkte. Von ihren sechs Stücken schrieb sie allein fünf für Jugendliche: über Sex und Pornografie, Vatersuche, Schönheitswahn. Jetzt verfasst sie ein Libretto für die Neuköllner Oper, das Thema von „Türkisch Gold“ weiterführend. „Es geht um getrennte Orte.“ Und auch an ihrem ersten Kinderbuch arbeitet sie bereits, sich an ihre Mutterrolle herantastend. Die möchte sie zunächst in Berlin bestreiten. „Ich glaube, dass Großstadtkinder leichter durchs Leben kommen, als verträumte Kinder aus der Pampa.“ Aber vielleicht ist auch das ein Klischee.
Premiere „Türkisch Gold“ am Jungen Theater in der Reithalle A, Samstag um 19. 30 Uhr: Ab 16 Jahre und für Erwachsene.
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