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Interview: „Raus aus der Männertorte“

Gabriele Kienast und Norbert Leisegang über die Schnapsidee, beim Polterabend zu spielen und wie daraus das Keimzeit Akustik Quintett wurde

Stand:

Frau Kienast, Sie sind seit vier Jahren beim Keimzeit Akustik Quintett als Geigerin dabei. Wie fühlen Sie sich in der eingefleischten Männerunde?

Kienast: Ich habe schon diverse Male in Männerrunden gespielt, insofern war es für mich nichts Neues. Ich arbeite gern mit Männern zusammen, es ist unkomplizierter.

Was ist an Männern unkomplizierter?

Kienast: Die entspannte Art miteinander umzugehen, wenn man sich musikalisch versteht. Bei dem Musical „My fair Lady“, das ich morgen wieder am Hans Otto Theater spiele, bin ich auch die einzige Frau unter sechs Männern.

Gabriele Kienast,

geboren 1976 in Wismar, lebt in Berlin. Sie studierte klassische Violine und Instrumentalpädagogik in Rostock. Ihr Repertoire reicht von der Klassik über Klezmer bis hin zu Pop. Sie konzertierte mit verschiedenen Ensembles in England, Frankreich, Schweiz, Spanien, Portugal und Israel. Sie ist geigend und singend im Keimzeit Akustik Quintett aktiv und Geigerin im Salonorchester beim Musical „My Fair Lady“ am Hans Otto Theater.

Gehen die Männer mit Ihnen anders um, als sie es untereinander tun?

Kienast: Ich kann mir schon vorstellen, dass eine weibliche Komponente dem Männergefüge immer guttut. Wie auch ein Hahn im Hühnerhof einiges bewirken kann.

Leisegang: Ich habe einen ähnlichen Ansatz wie Gabriele. Als wir mit Keimzeit starteten, war ja meine Schwester das einzige weibliche Mitglied in der Band, danach über Jahre Edda Timmermann. Keimzeit mit einer Frau gab es also schon. Aber seit Anfang der 90er sind wir eine reine Männertruppe, die Musiker und Technikerschar und auch noch der Manager: eine totale Männertorte. Die hat natürlich eine eigene Sprache entwickelt. Wenn wir unterwegs sind und jemand Fremdes dazu kommt, sind für ihn unser Vokabular, unsere Zeichen nicht entschlüsselbar.

Kienast: Ich kann sie schon.

Leisegang: Seitdem Gabriele in der Band ist, benimmt sich die Herrenrunde etwas vornehmer, mittlerweile sind wir so verschweißt miteinander, dass auch viel von Gabriele in die Band hineinkommt an Vokabular und Witz, der von den Männern aufgenommen wird und umgekehrt, sodass man sich wieder auf eine spezielle, jetzt geschlechtergemischte Sprache einlässt.

Wie kann man sich diese Sprache vorstellen?

Kienast: Ich mag es, zu erleben, wenn Männer sich plötzlich zusammenreißen, aber nicht wirklich können und sie es dann vergessen, sodass sie wieder authentisch werden. Das ist schön. Manchmal muss man sie einfach ernster angucken, wenn es gar nicht mehr geht.

Leisegang: Meist ist schon so ein Bauarbeiterjargon gang und gäbe.

Wie haben Sie überhaupt zueinander gefunden nach über 20 Jahren ohne Frau?

Leisegang: Wir haben nicht unbedingt nach einer Frau gesucht, aber manchmal regeln sich die Dinge schicksalhaft. Ich war mit dem Club der toten Dichter in Rostock unterwegs und wir haben dort das Theater gesucht. Da stand dann Gabriele in der Nähe und hat uns den Weg gewiesen.

Kienast: Ich habe gerade auf dem Markt Oliven gekauft, als mich die Männer nach dem Weg fragten. Und da ich am Theater die Geige spielte, wusste ich natürlich Bescheid.

Leisegang: Und dann habe ich gesagt, dass du zum Konzert kommen kannst.

Kienast: Was ich auch tat und es war fantastisch. Ich bin die Klassikerin, Norbert der Rockmusiker. Eigentlich war die Überlappung nicht gegeben.

Leisegang: Unsere Begegnung wurde auch erst dann wieder interessant, als ich für ein Kinderprogramm auf Hiddensee mein Buch „Der Löwe schläft heut Nacht“ vorstellen wollte und der Trompeter absagen musste. Da rief ich Gabriele an und fragte, ob sie mitmachen würde, und sie hat relativ schnell Ja gesagt.

Kienast: Soll ich dir die wahre Geschichte erzählen? Mein Freund und ich waren in Kroatien im Urlaub, und er hat gesagt, dass ich das machen soll. Ich hatte überhaupt keine Lust, den Urlaub abzubrechen. Jetzt weißt du es.

Leisegang: Was ich jetzt im Nachhinein ja doppelt zu schätzen weiß. Bei diesem kleinen, ganz minimalistischen Konzert habe ich jedenfalls schnell gemerkt: Das klappt, das stimmt. Und wir hatten gar nicht geprobt. Aber dieser Frau muss man nichts erzählen, die ist musikalisch einfach im Stoff. Dann hatten wir noch mal eine ähnliche Situation. Ein befreundetes Paar hatte Polterabend und suchte eine akustische Band. Gewöhnlich sagen wir ab und wollen auf Polterabenden nicht spielen. Aber hier war die Freundschaft stärker. Aber die Hälfte der Bandmitglieder war im Urlaub. Mein großer Bruder war noch da, der spielt Kontrabass, der Gitarrist war auch im Land und als Vierte im Bunde habe ich wieder Gabriele angerufen und gesagt: Gefahr in Verzug. Und offensichtlich hat Stefan wieder ja gesagt.

Norbert Leisegang, geboren 1960 in Belzig, lebt in Potsdam. Er studierte auf Lehramt Mathematik und Physik. 1979 gründete er die Band „Jogger“ zusammen mit den drei Geschwistern Marion, Roland und Hartmut, 1980 Umbenennung der Band in Keimzeit. 2012 veröffentlichte Keimzeit ihr 10. Studioalbum „Kolumbus“. 2013 Tournee mit dem Keimzeit Akustik Quintett und dem ersten Album „Midtsommer“.

Kienast: Nein, diesmal habe ich selber entschieden.

Leisegang: Bei diesem Auftritt wurde nur mit Geschirr geklappert, keiner hörte zu. Aber wir haben gemerkt: Es klappt. Und wenn man vier Musiker zusammenstellt und es geht ab, dann sollte man sagen: Okay, das ist ein Geschenk. Die Schnapsidee, auf einem Polterabend zu spielen, haben wir dann seriöser weitergeführt und das eine oder andere Konzert bestritten, um zu schauen, ob wir uns nicht doch geirrt haben. Aber unser Quintett hat sich qualitativ und quantitativ rasant nach vorne entwickelt.

Frau Kienast, war es für Sie als klassisch geschulte Geigerin kein Problem, in eine Rockband einzusteigen?

Kienast: Ich habe schon vorher mit einer Klezmerband gespielt und da auch schon mal ein bisschen improvisiert. Aber das hier bei Keimzeit ist noch mal etwas anderes. In meiner Ausbildung war das Improvisieren ja kein Thema, und ich wusste nicht, ob ich das kann. Aber meine Mutter hat gesagt, sie habe es schon immer gewusst, dass mir das liegt und dass ich schon mit fünf Jahren am Klavier gesessen und wie wild zu Geschichten improvisiert habe. Das ist ein bisschen verloren gegangen. Die Arbeit streng am Notentext ist ja auch wunderbar. Aber dieses ganz frei Spielen und spüren, was so kommt und wie es sich entwickelt, ist ganz etwas anderes. Mir kommt es sehr entgegen, da ich ohnehin immer eine hundertstel Sekunde schneller bin als die anderen.

Werden Sie beim Erarbeiten der Songs mit reingenommen?

Kienast: Das ist unterschiedlich. Manchmal sagt Norbert, er hätte gern diesen Melodiebogen und ich setze mich drauf oder wir erarbeiten ein Stück total neu. Wenn sich im Probenprozess alle zusammen an einer neuen Idee entlanghangeln, finde ich das total spannend. Manchmal entstehen in kürzester Zeit so gänsehäutige Momente, wo man sich anguckt und sagt: Stopp, das ist es, und wir sollten es nicht weiter zerproben. Aber manches wird auch wieder verworfen.

Dass Sie für das Einspielen ihrer „Midtsommer“-CD bis nach Norwegen fuhren, in das Land der Melancholie, was hat das mit den Liedern gemacht?

Kienast: Wir sind ja gefahren, als es auch nachts taghell und völlig unmelancholisch war. Das war eine unfassbare tolle Zeit, wo es nie dunkel wird, und wir direkt aus dem Studio aufs Meer schauten. Pure Inspiration. Ich habe mich total entspannt gefühlt. Man hat kein Zeitgefühl, aber ich war fitter als sonst, obwohl ich weniger geschlafen habe.

Leisegang: Ich habe eine ganz andere Erinnerung. Ich war total überdreht, dann wurde ich auch noch krank und dazu kam die Angst, wir kommen in Zeitnot. Erst nach einer Woche kam ich richtig an.

Sind Sie einfach losgereist und haben gesagt: Jetzt muss ein Album entstehen?

Leisegang: Bei Musikern geht es ganz stupide los. Da gibt es erst einmal einen Soundcheck, wird geschaut, wo das Schlagzeug steht, wie die Akustik ist. Wir Musiker konnten in der Zeit erstmal im Hafen rumlungern. Es gab aber schon einen groben Fahrplan, wir haben aus unseren vorher geprobten Stücken die Top-Fourteen herausgefiltert.

Kienast: Wir hatten ja schon 2009 unsere ersten Geschichten. 2011 war dann ein sehr buntes Jahr. Da öffneten sich ganz viele Säle, obwohl wir noch keine CD hatten.

Gibt es schon Pläne für ein nächstes Album?

Leisegang: Über einen neuen Tonträger haben wir uns noch nicht unterhalten, das ist noch zu früh. 2014 touren wir erstmal mit dem Midtsommer-Album. Wir erspielen uns viele Stücke neu, schauen wo die Arrangements hingehen. Und erst dann geht es ins Studio. Wenn man herausfinden will, was man von einem Album erwartet, dann sollte man vorher wissen, wo es hingeht. Wir haben aber gerade mit der großen Keimzeit-Band ein Album auf dem Tisch – gemeinsam mit dem Filmorchester Babelsberg. Ich habe dafür erstmals auch Stücke aus der Hand gegeben, um sie arrangieren zu lassen, so von dem Selig-Gitarristen Leo Schmidthals und von Bernd Wefelmeyer vom Filmorchester. Das ist Neuland für uns. Vielleicht könntest du das auch mit dem Arrangieren probieren, Gabriele?

Kienast: Nein, ich glaube, das kann ich nicht.

Sind Sie mit Ihrer Geige bei diesem Projekt mit dem Filmorchester dabei, Frau Kienast?

Kienast: Nein, da gibt es schon so viele Geigen. Aber ich freue mich total für Keimzeit. Es gibt nichts schöneres, wenn Bands von vielen Geigen ummantelt werden.

Warum nennen Sie sich eigentlich Akustik Quintett? Schall breitet sich doch bei jeder Band aus, egal wie groß oder klein sie ist.

Leisegang: Diese Frage stellt sich der eine oder andere. Das ist eine Mediensache. Vorher gab es immer diesen Begriff unplugged, ohne Strom, das war irgendwann so abgegriffen, dass man diese Form des Musizierens ohne E-Gitarren Akustik nannte. Wir haben gemerkt, dass unser Quintett schon eine Spezifik hat, durch Gabriele an der Geige und meinen Bruder am Kontrabass.

Also Akustik heißt, dass Sie keine E-Gitarren benutzen?

Kienast: Das auch. Akustik heißt im Prinzip, dass die Musik leiser ist.

Bevor Sie erstmals als Akustik Quintett im großen Haus des Hans Otto Theaters auftreten, spielen Sie, Frau Kienast, morgen bei My fair Lady – ganz nach Noten. Gehen Sie in so eine Vorstellung anders hinein als bei einem Rockkonzert?

Kienast: Ja. Es ist schon eine andere Haltung. Ich sitze! In dem Sieben-Mann-Ensemble habe ich einen Notenständer vor mir und einen Dirigenten, der mich leitet. Da bin ich ein Rad im Orchestergefüge. Wenn ich ausbrechen würde, gäbe es ein Chaos. Wenn ich mit Norbert spiele, dann glüht es in einem anderen Bereich des Herzens, da bin ich bewegter. Es gibt mehr Brüche, man kann mehr weglassen, etwas dazufügen. Das ist aber keine Wertigkeit. Ich liebe und brauche beide Seiten.

Ist man nach den vielen Konzerten nicht schon so eingespielt, dass man kaum noch von Improvisation reden kann?

Kienast: Es gibt Improvisationen, die man nur reaktiviert, und die damit auch keine mehr sind. Aber es gibt immer Momente, wo etwas ganz Neues passiert und keiner weiß, warum.

Leisegang: Wir versuchen der Routine auch bewusst entgegenzutreten, indem wir zum Beispiel neue Filmmusiken einfließen lassen. Aber es ist auch wichtig, dass es feste Absprachen gibt. Ich will eine Band sehen und keinen Haufen wilder Musikanten.

Wo würden Sie gern neue Impulse setzen?

Leisegang: Wir sind gerade im Gespräch, unser Instrumentarium zu erweitern. Gabriele spielt ja jetzt neben Geige auch Xylophon und auf Glas, zudem singt sie im Background. Bei einer neuen Komposition haben wir plötzlich festgestellt, dass es toll wäre, wenn jemand auch Klavier spielen würde. Und wir wissen, dass Gabriele auf dem Klavier ausgebildet ist. Möglicherweise steht also künftig ein Flügel mit bei uns auf der Bühne.

Kienast: Das ist natürlich für mich spannend, ich hatte als Nebenfach im Studium Klavier. Aber wenn man keinen Flügel hat und nicht übt, verlernt man vieles. Vielleicht werden beim Improvisieren die schwarzen Tasten zu den weißen. Norbert, wie ist es eigentlich bei dir mit dem Klavier?

Leisegang: Ich habe es probiert, wie auch andere Instrumente. Mit dem Akkordeon habe ich meine Umwelt geradezu malträtiert. Am Anfang sagte noch keiner was, aber dann fragten sie doch: Willst du schon wieder üben?

Das Gespräch führte Heidi Jäger

Gabriele Kienast ist am morgigen Samstag, 19.30 Uhr, im Hans Otto Theater, Schiffbauergasse, in „My fair Lady“ zu erleben und Freitag, 20. September, um 19.30 Uhr ebenfalls im Neuen Theater, mit dem Keimzeit Akustik Quintett

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