Kultur: Terra incongnita
Eine Ausstellung im Kutschstall führt zu versunkenen Orten in der ehemaligen Neumark
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Die Kapelle scheint ein Überbleibsel aus einer fernen, fremden Welt. Das Kirchenschiff in rotem Backstein wirkt noch vertraut, es könnte auch zu jeder anderen Backsteinkirche im Stile der Gotik passen. Am Außenbau und im Inneren des Kirchenschiffs erinnert die Kapelle an Kirchen in Berlin-Brandenburg. Das Portal aber verwirrt. Zu beiden Seiten zwei stattliche, runde Wehrtürme mit Schießscharten. Die Kapelle haben einst die Templer in dem kleinen Ort Quartschen in der Neumark errichtet. Die Neumark, der östliche Teil Brandenburgs jenseits der Oder, gehört seit 1945 zu Polen, Quartschen heißt heute Chwarszczany.
Eine Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) in Zusammenarbeit mit dem Kulturforum östliches Europa widmet sich noch bis 9. April der Kunst- und Kulturgeschichte des Landstrichs, der nach den Verwerfungen des Zweiten Weltkrieges weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Auf 25 deutsch-polnisch beschrifteten Tafeln werden Städte, Klöster, Kirchen, Schlösser und Herrenhäuser der Region vorgestellt (PNN berichteten).
Die Templer-Kirche in Quartschen ist vielleicht eines der exotischsten Objekte dieser Ausstellung. Der Orden der Tempelritter war 1119 in Jerusalem entstanden, um die christlichen Pilger im Heiligen Land zu schützen. Man sagt ihnen nach, sie seien die Hüter des Heiligen Grals gewesen. 1232 bekamen die Templer vom großpolnischen Herzog Wladyslaw Odonic ein großes Anwesen in Quartschen übertragen. In den folgenden Jahren wurde der Orden zu einem der wichtigsten Grundbesitzer in der Neumark. In Quartschen wurde in einer Komturei der Sitz der Templer errichtet. Ende des 13. Jahrhunderts entstand die Kapelle, die heute noch erhalten ist.
In der Wehrkirche befinden sich Fresken mit biblischen Motiven. Engel und Heilige sind abgebildet, angeordnet in der Symbolik der Templer. Die Abbildungen sind in schlechtem Zustand, seit ihrer Freilegung nach der Wende werden sie von Feuchtigkeit zerfressen. Ein Grund dafür, dass Forscher aus aller Welt sie schon begutachtet haben. Wie Ausstellungs-Kurator Pawel Rutkowski andeutet, vermutet manch einer eine mysteriöse Symbolik, die Hinweise für die Suche nach dem sagenumwobenen Schatz der Templer geben könnte. Aus aller Welt seien schon Archäologen nach Quartschen gekommen, Grabungen um die Kapelle hätten bislang aber nur Gräber von Mönchen zu Tage gefördert.
Die Ausstellung, die eine Vielzahl solcher versunkener Orte wieder ans Tageslicht holt, zeigt die Neumark als Terra incongnita. Sie spielt mit den Überbleibseln untergegangener Kulturkreise, weckt Neugierde und Reiselust. Doch wer tiefer in die Geschichte des Landstrichs jenseits der Oder eindringen möchte, dem bietet die Zusammenstellung nur einen ersten, oberflächlichen Einblick. Ein Katalog fehlt leider, ebenso wie eine Übersichtskarte, die das nicht mehr existierenden Territorium zwischen Oder und Warthe in die heutigen Grenzen einordnet. Kurator Rutowski verweist allerdings auf einen Reiseführer, der unter Umständen noch entstehen soll.
Nach Burgunden und Slawen waren die Templer in die Neumark gekommen, nach ihnen die Zisterzienser und Johanniter. In Brandenburg wurde der Landstrich „Mark über Oder“ genannt, 1535 dann die Namensnennung als selbstständiges Fürstentum „Neumark“, allerdings nur für 36 Jahre. Und immer wurde die Region in den großen Kriegen aufgerieben. Zuletzt dann die Zerteilung nach dem Potsdamer Abkommen, die Evakuierungen, Vertreibungen und Umsiedelungen. Nachdem die Deutschen die Neumark verlassen mussten, kamen polnische Neusiedler, demobilisierte Soldatenfamilien, befreite Zwangsarbeiter, Häftlinge und Flüchtlinge aus dem ehemaligen Ostpolen.
Lange herrschte bei den Neusiedlern Unklarheit über den Status der Region. Erst die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze durch die BRD 1970 und die vertragliche Bestätigung der Grenzziehung im Deutschen Einigungsprozess ermöglichte den neuen Siedlern eine Aneignung der fremden Kulturlandschaft. Den Entwurzelten hatte zuvor meist der Bezug zu ihrer neuen Heimat gefehlt. „Heute ist in vielen historischen Orten wieder Leben eingekehrt“, heißt es im Ausstellungstext. Wieder errichtete Rathäuser und Kirchen sowie gemeinsame grenzübergreifende Projekte künden davon.
Im Gästebuch der Ausstellung ist vom Schmerz der Vertreibung zu lesen. Aber auch davon, dass die Ausstellung zu kurz greife, unvollkommen ist. Dennoch wird sie als Anfang einer Aufarbeitung begrüßt. Und sollte tatsächlich ein kulturhistorischer Reiseführer entstehen, wie ihn das Potsdamer Kulturforum schon zu den Schlössern im Hirschberger Tal so exzellent vorgelegt hat, dann wäre die derzeitige Ausstellung ein erster, wichtiger Schritt dazu.
Bis 9. April im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Am Neuen Markt 9.
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