
© Manfred Thomas
Kultur: Von Mauern, Dirnen und Erinnerungen
Lotto Brandenburg vergab den Kunstpreis 2010 an zwei Fotografen und zwei Literaten
Stand:
Auf die „Rolle der Bedeutung“ wurde bei der Verleihung des „Lotto Brandenburg Kunstpreises 2010“ im Kutschstall diesmal verzichtet. Spätestens seit 2004, als diese gut dotierte Ehrung anderes Sponsoring ablöste, weiß schließlich jeder aufgeweckte Preuße von der kunstbeflissenen und wohltätigen Förderung dieser Institution. Alles wie gehabt am Mittwoch, die Ausschreibung, die zur Preisvergabe „schwer“ benannte Arbeit zweier Jurorengruppen, die dezenten Couverts für die Ausgezeichneten.
Das wieder so zahlreich erschienene Publikum war ganz bestimmt nicht gekommen, um sich auf Kosten von Lotto am Super-Warm-Buffet zu laben. Zur bewährten Präsentation gehören weiterhin die Aus- und Darstellung der Gewinn-Arbeiten im „kunsthaus sans titre“ nebst Katalog, sowie ein Hörbuch mit Ulrich Noethen fürs Literarische, im selbigen enthalten.
Tatsächlich keine Kleinigkeit, aus mehr als zweihundert Bewerbungen pro Genre zu wählen, offensichtlich ist der Lotto-Kunst-Preis sehr gefragt. Für jede Gattung standen zehntausend Euro bereit, im Stück oder auch sukzessive zu vergeben.
Wie gehabt auch die Zugänge zur Welt: Während sich das Literarische meist mit sich selber beschäftigt, sucht der fotografische Blick eher den Kontext nach Außen. Sabine Springer, 1976 in Münster geboren, bekam von den Juroren (Carmen Schliebe, Anna Gripp, Matthias Harder) den kleineren Teil des Preises zugesprochen. Ihre zwischen 2007 und 2009 entstandene Bildserie „solenn“ versucht auf ganz seltsame Weise die Auseinandersetzung mit dem ältesten Gewerbe der Welt: Sie fotografierte die Damen meist mit Infrarotblitz und „von hinten“, lichtet dafür die Bescheidenheit ihrer halbprivaten „Etablissements“ ab: Was sich Dirnen vom Leben erhoffen, schildern Interieur und Discount-Tapeten in Color!
Kaum Annäherung an das Werk der in Berlin lebenden Lotto-Literaturpreisträgerin Hanna Lemke, die 1981 in Wuppertal geboren wurde. Für ihre achtzehn Kurzgeschichten („Gesichertes“) fand Jurorin Sigrid Löffler ziemlich allgemeine Worte. Sie hatte neben Hendrik Röder und Lutz Seiler über die literarischen Qualitäten der Einsender zu entscheiden.
Die andere Hälfte des Preises wurde der gleichaltrigen Berlinerin Nadja Küchenmeister für ihren Lyrikband „Alle Lichter“ zugeteilt, einer Vor- und Rückerinnerung in ganz eigener Sache. Literaten und Adlaten schwimmen ja gerne im eigenen Saft.
Der wichtigste Impuls dieses Mittwochs aber war, mit Verlaub, die Arbeit „Grenzländer“ von Kai Wiedenhöfer. Vom Mauerfall 1989 in Berlin freiheitlich inspiriert, entsetzte sich der Mann aus Schwenningen, weil er nach 1989 mehr Mauern gebaut und befestigt, als abgerissen sah. Er fotografierte sie im Panorama-Format von Korea und Cypern bis Dublin, von Jerusalem und Bagdad bis zur Südgrenze der USA gen Mexiko, an der, so hörte man bei der Laudatio, jedes Jahr fünfhundert Menschen getötet werden. Sein Bildband „Wall“ von 2007 über den jüdisch-palästinensischen Limes brachte ihm ziemlichen Ärger ein. Obwohl bei der Arbeit vor Ort immer wieder beschossen, will er sein Preisgeld für weitere Mauer-Expeditionen verwenden.
Vielleicht wäre von all dem Ausgepreist-Gepriesenen nur wenig oder gar nichts zu hören gewesen, hätte es nicht „Lotto Brandenburg“ gegeben.
Gerold Paul
Bis zum 28. Oktober im „kunsthaus sans titre“, Französische Straße 18, täglich 15 bis 20 Uhr, ab November im Lottohaus, Steinstraße
Gerold Paul
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