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Kultur: Wie im Jazz

Der zeitgenössische Tanz setzt auf das Zusammenspiel verschiedener Kunstformen, wie die Tanztage ab 22. Mai zeigen

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Weiß und rein erhebt sich auf der schwarzen Bühne ein glitzernder Schaumberg. Er wirkt sanfter als ein schneebedecktes Massiv und verbreitet doch dieselbe majestätische Würde. Ein weißgekleideter Mann sitzt in stiller Andacht vor diesem bizarr funkelnden Gebilde. Doch dann dringen mehrere Tänzer in den schaumig fragilen Berg ein: erst vorsichtig, schließlich in wilder Eroberungslust. Die Seifenblasen stieben hoch, die Illusion zerplatzt. Wie eine Skulptur wirkt diese Schauminstallation der französischen Choreografin Mathilde Monnier. Schon das Video auf Youtube verströmt einen poetischen Zauber, der neugierig macht, diese „Soapéra“ auch live zu erleben.

Zu sehen ist sie bei den Internationalen Tanztagen der „fabrik“, die ab Mittwoch, dem 22. Mai, an zehn Tagen Einblick in den zeitgenössischen Tanz geben. Sven Till, der künstlerische Leiter der „fabrik“, sieht vor allem im Verschmelzen verschiedener Künste eine wichtige Tendenz in der Entwicklung des Tanzes. Auch Mathilde Monnier, eine der renommiertesten Tanzerneuerinnen Frankreichs, sucht immer wieder diese Grenzüberschreitung. 2008 arbeitete sie mit Simon Rattle, dem Chefdirigenten der Berliner Philharmonie, und 130 Amateuren für ihre Arbeit „Surrogate Cities“ in Berlin zusammen. Für ihre „Soapéra“ ging sie eine Liaison mit dem Maler Dominique Figarella ein. Auch die anderen Aufführungen der Tanztage erteilen jedem strengen Korsett eine Absage.

Sven Till erzählt, dass es vor allem den jungen Tänzern verstärkt auch um das Prozesshafte geht, um das gemeinsame Erschaffen eines Werkes ohne festgefügte Machtverteilung und Hierarchien. Wie beim Jazz, wo jedes Instrument abwechselnd die Führung übernimmt, um sich am Ende im großen Tanz der Emotion zu vereinen. „Das ist ein großes Gut, das den Tanz so einzigartig macht: dass sich eine Gruppe gleichwertiger, wenn auch nicht gleichrangiger Künstler zusammentut“, so Sven Till. Keiner sei der Befehlsgeber, die Rolle des Choreografen wechsele. Für Sven Till, der selbst Tänzer ist, eine moderne, demokratische Arbeitsweise, die einfach spannend sei. Vor allem bei den ganz jungen Formaten werde es immer kollektiver. Vielleicht ein künstlerischer Reflex auf die gesamtgesellschaftliche Mobilität und das Austauschbedürfnis über Genres und Grenzen hinweg. Man nutzt die Fähigkeiten der anderen und vernetzt sich, statt in hierarchischen und festen Strukturen zu verharren. „Das ist auch ein Grund, warum so viele Nichttänzer im Tanzbereich unterwegs sind: weil sich so viele Kunstformen darin treffen können.“ Sven Till möchte dabei gar nicht bewerten, ob diese Entwicklung positiv oder negativ sei. „Auch ältere etablierte Gruppen suchen Neuland und setzen auf eine Kollaboration“, wie eben Mathilde Monnier vom Choreografiezentrum Montpellier mit dem Maler Figarella.

Mitunter stehen aber auch finanzielle Zwänge hinter den Tänzern und der vermeintlichen Freiheit: Sie sind gezwungen, Soli oder Duette zu tanzen und sich in immer neuen Konstellationen zu bewegen. Es sei wichtig, dass feste Strukturen die neuen Aufbrüche tragen.

Dafür stehen zum Beispiel die Residenzen der „fabrik“, in denen Choreografen für einige Wochen in finanzieller Sicherheit experimentieren können. Wie Boyzie Cekwana, der 1970 in Soweto geboren wurde. „Eine große Künstlerpersönlichkeit“, wie Sven Till betont. „Es ist toll, dass wir ihn in Potsdam bei den Tanztagen vorstellen können.“ Er sei einer der radikalsten Choreografen aus Südafrika und war im April für zwei Wochen in „fabrik“-Residenz. Cekwana steht nun mit der Uraufführung des letzten Teils seiner Trilogie „influx control“ mit zwei Schauspielern und Sängern sowie drei Hühnern auf der „fabrik“-Bühne. Der Südafrikaner erzählt über die Apartheid in seinem Land und über die in den 20er-Jahren erlassenen Gesetze „influx control“, die verhinderten, dass Schwarze in größere reichere Landesteile ziehen konnten – eine Ursache für die Townships an den Rändern der Stadt. Cekwana provoziert die Frage, inwieweit diese Gesetze von damals heute globalisiert sind. „Ist die schwarze Bevölkerung Afrikas weltweit vom gesellschaftlichen Leben der Ersten Welt abgekoppelt?“, so sein Thema. Dabei seien seine Arbeiten immer sehr humorvoll und ironisch gebrochen, obwohl die Themen so schwergewichtig und konfrontativ sind, sagt Sven Till. Gerade dieses internationale Begegnen, wie jetzt auch beim Festival, bringe Impulse aus anderen Ländern in die eigene Stadt. „Denn der Tanz kennt keine Sprachbarrieren. Man kann also als Publikum erleben, womit sich Künstler in anderen Teilen der Welt auseinandersetzen. Auch über Europa hinaus.“ Wie jetzt bei Boyzie Cekwana.

Sven Till beklagt indes die Situation des zeitgenössischen Tanzes in Brandenburg. „Es ist selten, hier internationale Produktionen zu sehen. Die ,fabrik’ hätte auch gern stärker das ganze Jahr über Angebote präsent, die die ästhetische und geografische Breite des zeitgenössischen Tanzes zeigen.“ Aber noch führe der Tanz in Brandenburg ein Nischendasein. „Kein Wunder, wenn gerade mal zwei Prozent des Theateretats auf Landesebene in den Tanz fließen. Tanz ist kaum auf der großen Bühne zu sehen.“ Gerade das Wegbrechen der Tanzsparten an den Stadttheatern sei eine Tragik gewesen, denn die Theater hätten die historische Aufgabe, den Tanz zu unterstützen. „Es geht im Land heute immer nur um den touristischen Effekt und Tanz an den Schulen. Aber auch dafür muss es eine Basis geben“, betont Sven Till.

Umso wichtiger sei dieses traditionsreiche Festival, um die Schönheiten der internationalen Szene aufleuchten zu lassen und das Interesse am Tanz weiter zu schüren.

Vom 22. Mai bis 2. Juni in der Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331)24 09 23

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