
© Andreas Klaer
KulTOUR: Am sausenden Webstuhl der Zeit
Ein Wiedersehen in der Geltower Handweberei „Henni Jaensch-Zeymer“
Stand:
Schwielowsee - Fäden knüpfen, Spinnen, Weben ist bekanntlich zarter Frauenhände Sache. Doch es gab auch Herrn vom Fache in der 70-jährigen Geschichte der Handweberei „Henni Jaensch-Zeymer“ in Geltow. Ein Azubi der ersten Reihe gar war Nils Rüters, gebürtiger Hamburger, lernte von 1954 bis 1958 hier das Handwerk eines Webers nur deshalb, weil er in der DDR nicht studieren durfte. Trotzdem entfloh er gen Westen. In 36-jähriger Dienstzeit brachte er es bis zum Chef-Restaurator der Dahlemer Museen, Schwerpunkt „Archäologische Textilien“. Er kennt sich aus in historischen Geweben, liebt besonders „ausgefallene Techniken“, die er manchmal selbst erfand, oder auch wiederfand, so ein anderer ihm das Urheberrecht klaute.
Wie immer sein Leben zwischen Geltow, Erlangen, der Türkei, Berlin und Werder auch gelaufen sein mochte, Nils Rüters gehört zur frühen Gilde dieses wunderlichen Hauses, wo auch jüngst zum Firmen-Geburtstag die historischen Webstühle nicht stillstanden. Neue junge Hände arbeiten da jetzt. Nils Rüters Geschichte zeigt, wie es sich von seinem Handwerk leben lässt, auch wenn man weggeht. Zurückgekehrt wurde er gebührend begrüßt, schließlich saß da ein schöner Mann im Korbe der Frauen. „Ich war damals so etwas wie ein Gerard Philipp, sagte er so dahin, und deutete in der laut-klappernden Webstube auf ein historisches Foto aus den fünfziger Jahren: Nils Rüters mit wallendem Haar im Kreis seiner jungen Kolleginnen. Die Damen mögen ihn noch immer, wie er sie auch: „Tschüs, meine Sonnen“, sagte er statt eines Ade, und fuhr gen Werder davon. Das Leben selbst besorgte die kräftige Durchmischung der Jubiläumsgäste aus Ost und West rund um die jetzige Hausherrin Ulla Schünemann, alle wirken ja mit Goethe „am sausenden Webstuhl der Zeit“: Der Kreis erster Lehrlinge, die alles noch von der Pike auf lernten – Schafe scheren, Wolle weichen, Spinnen, Färben, Spülen – und die jungen Damen, welche dies Werk heute in die Hände nehmen, vor ihrem Studium.
An Adelheid Paschke, Lehrbeginn September 1954 und also gleicher Ausbildungskurs wie Nils Rüters, kann man sehen, wie es einem beim Bleiben erging. Auch sie hatte noch ihre Lehre bei der Firmengründerin Henni Jaensch absolviert, arbeitete dann aber bis 1998 in dieser nie verstaatlichten Manufaktur, die einst „Kunstgewerbeläden“ belieferte, aber auch schon mal für Herrn Honecker Gardinen produzierte, noch bevor er Endzeit-Chef wurde. Scheren und Spinnen musste auch sie in ihrer Lehrzeit, es seien ja noch Hungerjahre gewesen, damals. Sie blieb, weil der Staat hier nicht hereindirigierte, weil man Arbeit hatte, ohne dabei reich zu werden, weil es gemeinsame Mahlzeiten für die zehn bis zwölf Kollegen gab, den Faschingsball, eine familiäre Atmosphäre.
Man sah es zum Jubiläum ja in allen Räumen: ein webendes Memorieren bei Kaffee, Kuchen und Sekt – weißt du noch – wie war das gleich? Fotoalben dokumentieren die wechselnden Gesichter vieler Jahrzehnte, Pressemappen, was man über dies Webhaus geschrieben. Wer webt, der textet, wer Texte schreibt, webt, so ähnlich steht´s auch im „Faust“: „Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt!“
Gerold Paul
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