Potsdam-Mittelmark: Auf verlorenem Posten Transit für Tramper
Vor zehn Jahren begann der Abriss der Grenzanlagen in Dreilinden / Vor allem das Tor nach Berlin ist verwaist Manchmal warteten 100 Leute am Kontrollpunkt auf eine Mitfahrgelegenheit. Weg kamen sie alle
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Vor zehn Jahren begann der Abriss der Grenzanlagen in Dreilinden / Vor allem das Tor nach Berlin ist verwaist Manchmal warteten 100 Leute am Kontrollpunkt auf eine Mitfahrgelegenheit. Weg kamen sie alle Kleinmachnow. Wenn die Mitarbeiter in der Ebay-Zentrale Deutschland Besuch von amerikanischen Kollegen bekommen, müssen sie sich manchmal anhören, ihr Firmensitz liege „in the middle of nowhere“ – sozusagen am A der Welt. Ebay-Sprecher Joachim Guentert zeigt den Gästen dann gern den alten DDR-Wachturm vom Grenzübergang Drewitz/Dreilinden. Dann hören die Amerikaner mit ihren Witzen auf und staunen: Die deutschen Kollegen arbeiten ja auf historischem Boden. Direkt hinter der Berliner Grenze und auf dem Gebiet von Kleinmachnow liegt heute der „Europarc Dreilinden“ – dort, wo früher einmal 400 DDR-Grenzer die Transitreisenden kontrollierten und schikanierten. Vor zehn Jahren begann der Abriss der Anlage, um Platz zu machen für den Gewerbepark, den die französische Bank Société Générale auf der grünen Wiese entwickeln wollte. Wer von der Autobahn abfährt, dem fällt zuerst ein Schild ins Auge, auf dem freie Gewerbeflächen angeboten werden. Das Schild steht auf einer weitläufigen Wiese, aus der einsam der heruntergekommene Grenzturm ragt. Rund zwei Drittel der 25,5 Hektar bebaubaren Fläche liegen noch brach. Am vergangen Freitag hat die Europarc Gesellschaft zu einem Empfang geladen – aus Anlass des vollendeten 10. Jahres der baulichen Veränderungen an der einstigen Grenze. Hunderte Gäste wurden empfangen: Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm, Berliner Politiker, Unternehmer, Bauherren, Architekten und Mieter. Auf der westlichen Seite hat sich seit der Wende fast gar nichts entwickelt. Die Tankstellen im roten Design der späten 60er Jahre sind verlassen, die Raststätte mit dem blauen Schriftzug „Dreilinden“ ebenfalls. Das Ensemble steht unter Denkmalschutz, offenbar gibt es aber niemanden, der es nutzen will. Nur der Zoll ist noch da, in dem Gebäude, das sich über die Autobahn spannt. Hier werden Laster aus Osteuropa abgefertigt, um die Grenzübergänge in Polen zu entlasten. Der kleine Wachturm auf der anderen Seite könnte vielleicht bald bessere Zeiten sehen. Der Verein „Checkpoint Bravo“ will ihn sanieren und darin eine Ausstellung über die Grenze zeigen. Die Finanzierung steht aber noch nicht ganz. Vorsitzender des Vereins ist Peter Boeger, er arbeitet in der Birthler-Behörde und wohnt in Kleinmachnow. Boeger erinnert sich noch an die Warterei am Grenzübergang. Und ärgert sich darüber, dass er damals nicht wusste, wie die Autos heimlich durchleuchtet wurden: „mit Caesium 137“. Rund 300 Wachtürme gab es einmal rund um Berlin, fast alle sind verschwunden. Peter Boeger findet das schade. Kleinmachnow sei die kinderreichste Gemeinde Deutschlands. Den jungen Leuten, die nach “89 geboren sind, müsse man die authentischen Orte erhalten: „Für die ist doch die Wende so lange her wie die Französische Revolution.“ Norbert Rheinländer erinnert sich noch an den WaBoLu- und an den Merci-Mann. An ihre Autos erinnert er sich nicht mehr. Autos waren damals in den 70ern nicht weiter wichtig. WaBoLu bedeutet „Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene“. Das Besondere an dem WaBoLu-Mann war, dass er zwar als Umweltfachmann arbeitete, aber auch als Opernsänger auftrat. Wann trifft man schon so einen Menschen? Nur vor Dreilinden. Nur beim Trampen. Der Merci-Mann erzählte Norbert Rheinländer auf der Fahrt durch die DDR, welche Schoko-Variationen gerade auf dem Berliner Markt getestet wurden. Haselnuss neben Joghurt und Zartbitter oder besser Noisette zwischen Mocca und Nougat? Dem Architekturstudenten und Öko-Sponti Rheinländer, schon damals eher ein Realo-Linker, tat sich eine Welt auf, von deren Existenz er im Hörsaal noch nichts mitbekommen hatte. Heute lobt der inzwischen 55-Jährige das Trampen als „Horizonterweiterung“ und unerschöpfliche Quelle von „Erfahrungswissen“. Dass Dreilinden mal ein mythischer Ort der untergegangenen Tramperkultur werden könnte, ahnten sie damals aber noch nicht, die Hippies, Punks, Kiffer, Spontis, Ökos und Normalos, die jeden Tag standen, um über den Osten in den Westen auszureisen. Samstagmorgens wuchs der Pulk bis auf 100 Leute an, sagt Rheinländer. Da konnten die Autofahrer wählerisch sein. „Die schauten natürlich auch, dass sie sich keinen Ärger mit den Ost-Behörden einhandelten.“ Wer nach Alkohol oder Drogen aussah, hatte wenig Chancen. Auch Hunde waren nicht gern gesehen. Aber weg kam man immer. Manchmal sofort, manchmal erst nach zwei Stunden. Ärger mit den Ost-Behörden gab es auch ohne speziellen Anlass. Rheinländer nahm immer ausreichend zu essen mit, falls die Vopos seinen Chauffeur samt Wagen filzten oder das Auto unterwegs eine Panne hatte. Bis nach Hannover rechnete er mindestens fünf Stunden. Bis nach München dauerte es manchmal den ganzen Tag. An einen Tramper-Kodex kann sich Rheinländer nicht erinnern. Jeder konnte sich hinstellen, wo es ihm gerade passte, mit oder ohne selbst gemaltem Schild. Langhaarige Freaks in Ente oder R 4 nahmen bevorzugt langhaarige Freaks mit, Frauen am liebsten Frauen. An tolle Frauenbekanntschaften, die vor Dreilinden begannen, kann sich Rheinländer auch nicht erinnern. „Das schwirrte immer nur im Kopf herum.“ Die Wirklichkeit erwies sich als dröger Spielverderber. Die tollsten Trampergeschichten passierten sowieso im Ausland, meint Rheinländer. Die biedere DDR-Kulisse muss irgendwie auf die Fahrer abgefärbt haben. Thomas Loy
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