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Von Peter Könnicke: Das Museum

Eine Silvester-Geschichte, wie sie in Wirklichkeit nie stattfinden würde

Stand:

Hertel war jetzt doch etwas nervös. Bislang war er fest überzeugt, dass seine Idee genial war. Nicht nur die grandiose Publicity – er hatte alle auf der Rechnung: Spiegel, CNN, BBC, TV Tokio, die New York Times. Auch der gesellschaftliche Verdienst würde auf sein Konto gehen. Vielleicht wird es ja das Bundesverdienstkreuz. Immerhin würde er das Nachwende-Werk schlechthin schaffen. Was bislang keinem Roman, keinem Film wirklich gelungen ist, würde es durch ihn endlich geben: Aufarbeitung, Verständnis, Vereinigung im Vollzug.

Max Hertel, 49, Projekt- und Eventmanager aus Berlin – Ausrichter des Oranienburger Orgelsommers, des 48-Stunden-Angel-Marathons in Ueckermünde und der Wittenberger Oldi-Nacht mit Smokie, der Klaus-Lage-Band und Silly, hatte die Idee, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer die DDR wieder aufzubauen. Nicht komplett von Kap Arkona bis Fichtelberg mit Mittelpunkt in Verlorenwasser. Nein, nur in kleinem Maßstab. Als Museumsstadt. Ungefähr so wie das Western-Eldorado in Templin. Ein „Eastern Remberado“ in Teltow.

Zum ersten Mal hatte Hertel darüber nachgedacht, als er all die Sachen sah und las, die zum 20. Jahrestag des Mauerfalls gezeigt und geschrieben wurden. Er war zur Glienicker Brücke gefahren, wo das rbb-Fernsehen eine Riesen-Show veranstaltete und die Moderatorin auf der Bühne ihr Publikum immer wieder animierte, doch über die Brücke von der einen Seite zur anderen zu „wandeln“, weil man das jetzt eben könne und früher nicht. „Blöde Kuh“, dachte Hertel, als er mitten auf der Brücke stand und in den Menschenmassen weder vor noch zurück konnte. „Freiheiiiiiiiit“, schmunzte Marius Müller-Westernhagen durch die Lautsprecher-Boxen, auf der Bühne trällerte eine russische Folkloristin „Kakaling“ und Hertel war zwischen Ost und West eingequetscht. Es roch nach Bratwurst und Glühwein. „Das ist nicht wie früher“, dachte Hertel.

Auch später fand er die Erinnerungsarbeit nicht gut. Er war nach Teltow gefahren, weil man da an der ehemaligen Grenze zwei alte, frisch bemalte Mauerteile wieder aufstellen wollte. Das haben sie auch gemacht. Zeitgleich rumpelte ein alter Trecker die Lichterfelder Allee hoch und runter, weil das vor 20 Jahren auch so war. Ein grauhaariger Mann zeigte jedem – auch denen, die es nicht sehen wollte – eine Zeitung vom November 1989, in der auf der Titelseite zu sehen war, wie er als einer der ersten durch die Mauer von Teltow nach Zehlendorf fuhr. Jetzt, als die Mauerteile aufgestellt werden sollten, war er wieder einer der ersten. Teltows Bürgermeister mahnte in einer Rede dann, dass man sich erinnern müsste. Zehlendorfs Bezirksmeister meinte, man dürfe nicht vergessen. Dann hievte ein Kran die Mauerteile auf die Wiese – zack, fertig war das Monument.

Das reicht alles nicht, dachte Hertel. Die Jugend steht vor den Teilen, fachsimpelt, wie doof oder weniger doof die Graffitis sind, und hat immer noch keine Ahnung, wie es früher war.

„Das ist es nicht“, sagte Hertel einige Tage später, als er im Büro bei Teltows Bürgermeister Schmidt saß. Er hatte sich mit einer „interessanten Idee“ angekündigt, die Teltow mindestens bundesweit bekannt machen würde. Schmidt hatte noch was von „internationalen Geschichtstourismus“ verstanden und schließlich zugesagt, sich mit Hertel zu treffen. Seine Amtskollegen Bernd Albers und Michael Grubert aus den beiden Nachbarorten waren auch dabei. „Das ist keine ausreichende Erinnerungsarbeit, meine Herren. Da muss man mehr ins Detail, das muss authentischer sein, erlebbarer, fassbarer.“

Hertel stellte den drei Bürgermeistern mit einem Power-Point-Vortrag sein „Eastern Remberado“ vor. „Das ist interaktive Erinnerung, verstehen sie?“

„Nicht ganz“, meinte Grubert.

„Na, na, mhh“, überlegte Hertel. „Das muss so sein, als spüre man die Sandkörner vom Sandmann in den Augen.“

„Ah, verstehe, Sie wollen den Leuten Sand in die Augen streuen“, sagte Grubert. „Das wäre dann in der Tat wie früher.“

„Woher willst Du das denn wissen?“, fragte Schmidt, „Du warst doch gar nicht dabei. Bist doch ein Wessi.“

„Hab ich gehört“, sagte Grubert. „Außerdem es ja geschichtlich bewiesen, dass ihr am Ende ward.“

„Ihr doch genauso“, raunzte Schmidt zurück, „die Wende hat euch doch genauso gerettet wie uns.“

„Na ganz so war das ja nicht “, entgegnete Grubert.

Hertel war begeistert. „Sehen Sie, Sie wissen so wenig voneinander und wie es wirklich war. Das kann man alles anschaulich machen. Interaktiv, sozusagen. Man kann ne Kaufhalle einrichten, oder einen Konsum mit all den Sachen, die es damals gab. Tempoerbsen, Kondensmilch, Vita-Cola, Brausepulver, Harzer Käse.“

„Und Eis am Stiel“, rief Schmidt. „Das war super. Gibt’s heute gar nicht mehr.“

„Klar gibt’s das“, widersprach Grubert. „Hatte erst gestern eins!“

„Ja, ja, Eis am Stiel“, wiederholte Hertel und redete weiter: „Nen Kindergarten mit Töpfchen, ne Kneipe mit Steak und Letscho und Würzfleisch. Nen Bahnhofskiosk mit Grilletta “

„Was’n das?“, fragte Grubert.

„So was wie Hamburger, nur mit Jagdwurst“, erklärte Schmidt.

„Ihhh“, machte Grubert.

„Nee, war lecker“, sagte Schmidt.

„Man kann da richtig Leute anstellen, das wird eine richtige Job-Maschine“, sprudelte Hertel weiter. „Verkäuferinnen Kellnerinnen, nen ABV“

„ABV?“, fragte Grubert.

„Abschnittsbevollmächtigter“, dozierte Schmidt und fügte wichtig hinzu: „Ein Revierpolizist.“

„Genau“, bestätigte Hertel und fuhr fort: „Postfrauen, Frisöre, Pionierleiter.“

„Stasi-Spitzel“, warf Grubert ein.

„Blödmann“, zischte Schmidt.

„Und Schönbohm als Staatsratsvorsitzender“, rief Albers plötzlich, der bislang nur zugehört hatte.

Für einen Moment herrschte Stille. Hertel, Schmidt und Grubert sahen Albers irritiert an.

„Waaas?“, sagte Schmidt schließlich.

Grubert grunzte.

„Das ist genial“, sagte Hertel zunächst leise. Dann noch mal richtig laut in die Runde: „Das ist total genial! Schönbohm ist genau der Richtige. Der hält uns doch für verwahrlost, roh, stillos und dumm. Eine bessere Mission für Schönbohm, als ihn zu unserem DDR-Chef zu machen, gibt es doch gar nicht.“

„Ich weiß nicht“, meinte Grubert. „Find ich jetzt nicht so gut!“

„Also“, meinte Schmidt, „ich find’s nicht schlecht. Soll er uns mal kennenlernen.“

„Genau“, rief Hertel, „aber richtig!“

Ein paar Tage später holte Jörg Schönbohm, Ehren-Vorsitzender der märkischen CDU und Brandenburger Innenminister a.D., einen Brief aus dem Postkasten.

„Sehr geehrter Herr Schönbohm,

der Förderverein ,Erinnerungswerk DDR’ lädt Sie herzlich zu seiner Gründungsveranstaltung ein. Auf der Tagesordnung stehen die Errichtung eines interaktiven Museums und die Wahl des Geschäftsführers. Dafür sind Sie vorgeschlagen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie für das Amt zur Verfügung stehen und würde mich gern zu einem Vorgespräch mit Ihnen treffen. Ich schlage den 31. Dezember um 12 Uhr in der Trattoria auf dem Kleinmachnower Rathausmarkt vor. Bis dahin verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, Max Hertel.“

Hertel hatte sich nach dem Treffen mit den Bürgermeistern auf die Suche nach einem passenden Areal für den Museumsstaat gemacht. Er hatte gehört, dass auf dem Gelände einer alten Baustofffabrik am Teltower Stadtrand noch jede Menge Teile der Berliner Mauer stehen sollen. Das wäre natürlich super, dachte Hertel, wenn man die Dinger gleich an Ort und Stelle im Kreis aufstellen kann. Das Gespräch mit dem Baustoffhändler hätte nicht besser laufen können. Der wollte das Grundstück mit den Mauerresten ohnehin verpachten. Über den Preis würde man sich schon einig werden, auch bei den Kosten für die Mauer würde man sich treffen, hatte der gesagt. Insgeheim hatte Hertel zwar gehofft, die Mauerteile umsonst oder höchstens für einen symbolischen Euro zu kriegen. Aber da er fest mit Fördermitteln rechnete, würde das auch anders gehen. Er hatte auch schon einen bekannten Städteplaner gebeten, mal aufzuzeichnen, ob man die Mauer auf dem Gelände am Stadtrand im Umriss der DDR-Grenze aufstellen kann. „Ganz unverbindlich mal aufmalen“, hatte Hertel gesagt.

Hertel schaute auf die Uhr. Es war fünf vor Zwölf. Er stand vor der Tür des Italieners auf dem Kleinmachnower Rathausmarkt und schaute angestrengt zur Straße. Er hatte bereits den dritten Espresso getrunken, den er nun wieder ausschwitzte.

Er hatte nochmal die Interviews gelesen, die Schönbohm in der letzten Zeit gegeben hatte und dessen Verärgerung über Verherrlichung der DDR, die Bevormundung dort und das Unrecht. „Das stimmt natürlich auch“, hatte Hertel später zu Grubert gesagt als sie noch mal telefonierten. „Aber das ist zu einseitig.“

Daraufhin hatten Hertel und Grubert überlegt, ob man Schönbohm besser nicht zum Staatsratsvorsitzenden macht, sondern eher zum Geschäftsführer. Schließlich sollte das Museum ja nicht bankrott gehen wie die DDR. Schönbohm konnte also zeigen, wie man Mangelwirtschaft vorführen und trotzdem schwarze Zahlen schreiben kann. Schönbohm würde quasi die DDR retten.

Es war punkt Zwölf als ein Trabant die Förster-Funke-Allee herunter knatterte und auf den Parkplatz fuhr.

Jörg Schönbohm zwängte sich aus dem Fahrzeug und winkte Hertel zu.

„Mensch, ein Trabant 601 S de luxe. Die Luxusausführung!“, sagte Hertel. „Wo haben Sie den denn her?“

Schönbohm lächelte: „Beziehungen!“

Hertel grinste: „Sie sind unser Mann!“

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