Potsdam-Mittelmark: Der Geruch von Rot
Ketchup hat Werder berühmt gemacht. Die rote Sauce ist das Einzige, was vom DDR-Kombinat übrig blieb
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Werder (Havel) - Wer am Bahnhof aus dem Zug steigt, erkennt meist schon am Geruch, dass er in Werder ist. Eine süßlich-fruchtige Duftwolke liegt über dem Gelände, wenn wenige Meter entfernt der Ketchup gekocht wird.
Bis zu 120 000 Flaschen der roten Würzsauce verlassen täglich das Werk von Werder Feinkost, wie die Einkaufsleiterin Ilona Richter am Dienstag bei einem Themenabend zur Geschichte des Betriebs, organisiert vom Werderaner Heimatverein, im Schützenhaus erzählte.
15 000 Tonnen Tomatenmark aus Südeuropa, vor allem aus Spanien und Italien, würden dazu pro Jahr nach Werder gefahren, sagte Richter, die seit 38 Jahren im Betrieb arbeitet. „Im ersten Jahr nach der Wiedervereinigung konnten wir noch Tomaten aus der Region verarbeiten, doch die Preise der Bauern und das Geld, das uns der Handel zahlte, ließen das nicht weiter zu“, so Richter. Kein Ketchuphersteller verwende noch Tomaten aus Deutschland. Am Rezept habe sich seit der Wende sonst kaum etwas getan. „Den Standardketchup mussten wir des Preisdrucks wegen mit Maisstärke strecken, aber der Premiumketchup mit dem schwarzen Etikett wird noch immer nach der DDR-Rezeptur hergestellt.“
Seit 1958 wird in Werder Ketchup produziert, damals von der Firma Behrens und Burmeister. Sie ist eines von vier Unternehmen, aus denen im Jahr 1980 das Kombinat „Havelland Werder“ entstand, das sich um die Herstellung von Fruchtsaft, Marmelade, Konserven, Weinen und Ketchup kümmerte, ab 1981 auch im Werk am Bahnhof. Daneben gab es den Standort für Fruchtsaftproduktion an der Phöbener Straße, der nach der Wende von der Firma Procter & Gamble übernommen wurde, und eine Konservenfabrik in Beelitz.
Zu DDR-Zeiten lag der Geruch von gärenden Tomaten über weiten Teilen Werders. „Wenn wir Anlieferungen von den Bauern bekamen, standen die Laster und Traktoren in der Eisenbahnstraße Schlange“, so Richter. Dann tropfte schon einmal der Saft zermatschter Tomaten auf die Straße. Das verarbeitete Gemüse war nicht immer einwandfrei. „Wir haben auch Ladungen zurückgeschickt, wenn die Tomaten schon schimmelig waren.“ Gern gesehen wurde das nicht, abends folgte ein Anruf vom Vorgesetzten, nach dem Lebensmittel in der DDR zu 100 Prozent zu verwerten wären. „Am nächsten Tag stand dann der Lastwagen mit den gleichen Tomaten vor der Tür, und wir mussten sie verarbeiten“, so Richter.
Diese Zeiten sind jedoch vorbei. Nachdem der Betrieb 1992 nach langem Suchen einen neuen Käufer fand – der eigentlich auf der Fläche einen Gewerbehof anlegen wollte und nicht wusste, das dort von den einst 150 Mitarbeitern noch etwa 20 Leute in Eigenregie Ketchup produzierten, lief die Produktion wieder an. Mitte der 90er fragten die Kunden dann wieder verstärkt nach den Ostprodukten und der Absatz wuchs. „Wir haben uns beim Wiederaufbau auf die Ketchupproduktion konzentriert und die Wein- und Saftherstellung an kleine Mostereien abgegeben“, sagte Richter. Bis heute wird der Fruchtwein der Marke Werder Feinkost in Sachsen-Anhalt produziert. Auch die Früchte stammen nur noch teilweise aus Deutschland, das verarbeitete Obst komme Richter zufolge auch aus Polen. „Wir konnten uns mit den wenigen Menschen beim Aufbau der Marke nur auf ein Gebiet konzentrieren, und das war der Ketchup“, begründet die Einkäuferin die Entscheidung. Die Produktion von Säften und Marmelade wurde im vergangenen Jahr komplett eingestellt, die Verkaufspreise hätten den Aufwand kaum gedeckt.
Die Strategie, sich auf den Ketchup zu konzentrieren, scheint aufgegangen zu sein. Inzwischen arbeiten wieder 55 Menschen im Zweischichtbetrieb in der Produktion und der Lagerhalle in den Havelauen. Mit einem Marktanteil von 45 Prozent sei die Marke in Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern Marktführer. Auch in den alten Bundesländern nehmen immer mehr Supermärkte die rote Sauce aus Werder in ihr Sortiment auf. „Viele, die nach der Wende in den Westen gezogen sind, fragen da gezielt nach unserem Ketchup“, erklärt Richter das Wachstum. Und wer im Supermarkt um die Ecke keine Produkte aus Werder findet, kann sie seit zwei Jahren im Onlineshop bestellen.
Inzwischen werden 17 Sorten Ketchup in Werder produziert, die neueste Kreation ist mit Schwarzbier verfeinert. Es gab aber auch Trends, die nur kurz Bestand hatten, wie grünen Ketchup. Der wurde 2001 eingeführt, weil die Konkurrenz von Heinz ein ähnliches Produkt plante. „Anfangs lief das Geschäft wahnsinnig gut, ich musste die Bestellung für Lebensmittelfarbe manchmal dreimal am Tag ändern“, so die Einkäuferin.
Entgegen der landläufigen Meinung erhielt der Ketchup seine Farbe nicht von grünen Tomaten, die Rohstoffe waren die gleichen wie beim roten Pendant. Die Nachfrage nach dem neuen Look sank aber genauso rapide, wie sie gestiegen war, und die Produktion wurde nach gut zwei Jahren wieder eingestellt. So bleibt der Ketchup in Werder, was er seit mehr als 50 Jahren ist: rot.
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