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Potsdam-Mittelmark: Die Fühler ausgestreckt

Beelitz hat nach dem Spargel eine zweite Köstlichkeit: In Buchholz wurde eine Schneckenfarm gegründet

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Beelitz · Buchholz - Abgefressene Ränder, große Löcher oder enthauptete Blattstengel – das Kohl-, Salat- und Rübengemüse auf seiner Farm sieht desolat aus. Doch Jan Kickinger lässt sie gewähren, die 60 000 Weinbergschnecken, die jeden Hobbygärtner zur Weißglut treiben würden. Seine Beete sind sogar mit synthetischen Netzen eingezäunt, damit die Schnecken nicht davonhasten. Und damit sie keine Igel fürchten müssen, sind am Zaun Wellbleche eingeschoben.

Jan Kickinger hatte vor drei Jahren im Fernsehen gehört, dass in Deutschland nach langer Pause ein Schneckenzuchtbetrieb die Arbeit aufgenommen hat. Schon die Römer sollen ja in Milch eingelegte Schnecken geliebt haben, im Mittelalter waren Weinbergschnecken – nicht Fisch noch Fleisch – beliebte Kost zur Fastenzeit. Heute stehen sie vor allem in Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland traditionell auf der Delikatessenkarte, sind aber auch besonders in der süddeutschen Küche beliebt. In Deutschland stehen sie inzwischen unter Naturschutz, haben sich auch anderswo rar gemacht. Zuchtanlagen wachsen heran. Kickinger erkannte Potenzial für eine Geschäftsidee.

Der Kleinmachnower Architekt recherchierte, was es mit der Schneckenzucht auf sich hat, besuchte Schneckenfarmen und Seminare und stellte einen Businessplan auf. Auf dem Papier ging das Konzept auf, seit 2004 ist die Weinbergschneckenzucht in Deutschland auch als „landwirtschaftliche Produktion“ anerkannt. Doch als Kickinger die Fühler ausstreckte, stellten sich Hindernisse in den Weg: Erst fand sich kein Kreditgeber, dann keine geeignete Fläche, das ganze kroch dahin.

Mit Unterstützung des „Gutenbergkreises“, einer Initiative lokaler Forschungs- und Unternehmensprominenz um die Potsdamer SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein, die guten Ideen auf die Beine helfen will, konnte das Konzept schließlich mit einer Investitionssumme von 50 000 Euro auf einer Ackerfläche an der Buchholzer Mühle gehoben werden. Kickingers Schneckenfarm ist so zum ersten Projekt auf der Erfolgsagenda des Gutenbergkreises geworden.

100 000 Tonnen Schnecken werden jährlich in Europa konsumiert, Jan Kickinger will ab 2008 zehn Tonnen dazu beitragen. Bis dahin wird der Zuchtbetrieb langsam wachsen: Im Mai hatte der Neubauer die 60 000 Weinbergschnecken der Sorte „Helix Pomatia“ aus Polen „eingesetzt“, 2000 der Gehäuseträger knabbern jeweils an einer Salattheke von 160 Quadratmetern Größe. Im nächsten Frühjahr werden sie sich paaren, vom Gelege mit 60 Eiern werden etwa 20 erbsengroße Jungtiere überleben. In zwei Jahren wachsen sie mit Raps, Sonnenblumen, Rüben und Kohl auf eine essbare Größe heran. Bis dahin soll die ein Hektar große Anlage auf drei Hektar wachsen.

Kickinger will dann noch jemanden einstellen und das, was er bislang als Nebenerwerb betreibt, zum Beruf machen. Im Großhandel bringt das Kilo – das sind etwa 55 Schnecken – zwischen 2 und 4 Euro. Im „Verband Deutscher Weinbergschneckenzüchter“ will Jan Kickinger gemeinsam mit den anderen Mitgliedern an Vermarktungsstrategien basteln. 23 Züchter gibt es in Deutschland inzwischen, in Brandenburg sind es 4.

Einen Abnehmer in Italien hat er bereits, und einen in Wildenbruch: Der Gasthof zur Linde wird zur Saison demnächst Weinbergschnecken auf der Speisekarte stehen haben. Der Beelitzer Bürgermeister Thomas Wardin (SPD) regte gestern an, dass die Delikatesse auch gut zu einer anderen Beelitzer Köstlichkeit passt – dem Spargel. Natürlich wusste er das erst nach einem Versuch. Und wonach schmecken Weinbergschnecken nun? Nach zartem Kalbsfleisch, Hummer, Pilz, fanden die Tester auf der Buchholzer Farm gestern nach einer in Blätterteig eingelegten, mediterran gewürzten Kostprobe. Lecker!

Im Internet unter:

www.escargots.de

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