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Potsdam-Mittelmark: Qualität aus Brandenburger Lenden

Die Bullen Samburu und Lonar sind die beliebtesten Erzeuger schwarz-bunter Milchkühe. Zweimal pro Woche müssen sie ran

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Groß Kreutz - Sie sind beide sechs Jahre alt, von edler Abstammung und rein rechnerisch haben sie für 60 000 Nachkommen gesorgt – allein im vergangenen Jahr. Samburu und Lonar sind bei deutschen Milchbauern zurzeit die beliebtesten Zuchtbullen. Die beiden Holsteiner stehen im Stall des Rinderzuchtverbandes Berlin-Brandenburg (RBB), der im Groß-Kreutzer Ortsteil Schmergow eine Besamungsstation betreibt. Ihre erzeugerische Leistung erbringen die Tiere nicht auf natürlichem Wege: Zweimal pro Woche geht es für sie in den sogenannten Sprungraum, wo ihr Samen aufgefangen, untersucht und in einem aufwendigen Verfahren für die künstliche Befruchtung aufbereitet wird.

„Was glauben Sie, wie viel ein Bulle ejakuliert?“, fragt Matthias Simon, Leiter der Schmergower Besamungsstation. Einen halben Liter? Einen ganzen? Nein: „Ungefähr ein Schnapsglas voll – mehr nicht“, sagt er. Umso beachtlicher ist die Leistung der Groß-Kreutzer Wissenschaftler und Techniker, denn allein die Früchte aus Samburus Lenden sind im vergangenen Jahr für über 60 000 Erstbesamungen eingesetzt worden. Lonar brachte es auf immerhin gut 38 000. Solche Zahlen sorgen nicht nur beim RBB für Stolz. „Dass aus Brandenburg die beiden meisteingesetzten Schwarzbuntbullen kommen, verdeutlicht, welch ausgezeichnete, grundsolide Zuchtarbeit hier geleistet wird“, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium. Die Treffergenauigkeit des Spermas lässt sich nur anhand statistischer Daten schätzen: Eine Ferse muss im Schnitt 1,6 Mal befruchtet werden, eine ausgewachsene Kuh 2,6 Mal, bevor es klappt.

Ähnlich wie bei teuren Rennpferden geht es auch bei den Milchrindern um die kontinuierliche Weiterentwicklung genetischer Eigenschaften durch Zucht. Dabei spielen Körperbau und Gesundheit, ebenso aber die Milchleistung der weiblichen Nachfahren eine Rolle. So bringen es Samburus Töchter auf fast 9000 Liter Milch pro Jahr, und auch die Qualität mit entsprechendem Fett- und Eiweißgehalt stimmt. „Die Bauern gucken sich das genau an“, erläutert Matthias Simon.

Die Milchleistung jeder einzelnen Kuh wird umso wichtiger, je weniger es von ihnen gibt. Laut Amt für Statistik hat die Zahl der Milchkühe mit 158 000 Tieren in der Mark aktuell einen neuen Tiefststand erreicht. Matthias Simon führt dieses Phänomen auf den Preisverfall bei der Milch zurück: Viele Bauern haben ihre Tiere abgeschafft. In solchen Zeiten ruht die Hoffnung der Verbraucher auf Bullen wie Samburu und Lonar. In der Politik würde man sie als Leistungsträger bezeichnen.

Unter Hunderten Artgenossen haben sie sich in den vergangenen Jahren als die besten entpuppt, denn regelmäßig gibt es Rückmeldung aus den Milchviehbetrieben an den RBB über die Leistung der Töchter. In Katalogen des Zuchtverbands können sich Landwirte die Daten der Bullen und ihrer Nachkommen ansehen und den Samen anfordern. Es wird sogar ins Ausland exportiert. Ein Röhrchen kostet für Brandenburger Bauern 25 bis 26 Euro, geliefert wird entweder frisch oder tiefgefroren. In 70 Prozent der Fälle übernimmt einer der gut 40 Besamer des RBB jene Arbeit, von der die Zuchtbullen eher selten eine Idee bekommen. Denn: „In 90 bis 95 Prozent ist die Besamung bei Milchrindern künstlich“, erklärt Simon. Nur bei Mastrindern dürften die Bullen öfter mal persönlich ran.

Aber wie läuft das nun im „Sprungraum“? Zuerst werden die Bullen gründlich gewaschen, erklärt Matthias Simon, damit es keine Verunreinigungen gibt. Deshalb und wegen der Gefahr, Krankheiten auf die Tiere zu übertragen, dürfen auch keine Besucher in ihre Nähe. Danach geht es für die Bullen in einen weiteren Raum, wo sie sich schon gegenseitig in Stimmung bringen, indem sie sich aneinander reiben. Sie werden dann um ein sogenanntes Phantom herumgeführt, eine Art Bock wie man ihn aus dem Sportunterricht kennt. Sobald der Reflex einsetzt, stürzt sich der Bulle darauf und das Sperma wird aufgefangen. Wenn die Täuschung mit dem Phantom nicht klappt, muss ein anderer, älterer Bulle herhalten.

Romantisch ist das alles nicht, trotzdem ist das Leben für Samburu und Lonar durchaus erträglich: Nachdem sie ihren Job erledigt haben, können sie ihre Zeit im Freigatter oder im Stall genießen. Die Kühe, die ihren Nachwuchs zur Welt bringen müssen, sind weitaus härter dran, denn nebenbei müssen die auch noch die entsprechende Milchleistung bringen.

Aber über Samburu und Lonar schwebt ein Damoklesschwert, denn ihre Lebenszeit wird allein von der Nachfrage bestimmt. Sind ihre Samenspenden nicht mehr gefragt, weil es neue Bullen mit besseren Werten gibt, gehen sie den Weg aller irdischen Nutztiere. Aber dann besteht immerhin die Chance, sich von den beiden eine ordentliche Scheibe abzuschneiden.

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