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Flüchtlinge in Potsdam-Mittelmark: Vom Bürgerkrieg in Syrien ins Flüchtlingszelt Bad Belzig

90 Syrer leben derzeit in Bad Belzig im ersten Zelt, das ein Kreis in Brandenburg für Flüchtlinge aufstellen musste. Ein Besuch vor Ort.

Von Enrico Bellin

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Bad Belzig - Es ist eng in der neuen Zeltunterkunft des Flüchtlingsheims in Bad Belzig: In Zweierreihe direkt hintereinander stehen die Betten auf dem matschigen Untergrund. Die Gänge sind so schmal, dass man manche der Betten kaum erreichen kann. Platz für persönliche Sachen haben die 90 Flüchtlinge kaum. Doch die Bewohner, allesamt Männer zwischen 20 und 40 Jahren aus Syrien, empfangen Besucher freundlich. Sie leben im ersten Zelt, das in Brandenburg außerhalb des Erstaufnahmelagers in Eisenhüttenstadt aufgestellt werden musste, um den enormen Zustrom von Asylbewerbern zu bewältigen. Es ist eine Übergangslösung, bis ein benachbartes Containerdorf fertig ist.

Nach jeweils sechs Betten folgt eine kleine Bierbank als Ablage, damit ist das Mobiliar komplett. Gelebt wird auf der Matratze, einen Spint hat jeder der Bewohner in kleinen Zelten neben dem 20 mal 30 Meter großen Hauptzelt. Wer sich die Geschichte der hier Lebenden anhören will, bekommt vom 21-jährigen Mohamed Jomaa erst einmal einen Tee serviert. Mohamed ist wie 45 andere Bewohner am 7. August in das Zelt gezogen, am Dienstag kamen noch einmal 45 Männer an. „Die waren extrem enttäuscht, als sie gesehen haben, dass sie hier nur in einem großen Zelt schlafen können“, sagt Mohamed in flüssigem Englisch.

Von Damaskus bis nach Bad Belzig

In Syrien studierte er Erdöltechnik, sollte jedoch zur Armee eingezogen werden und flüchtete über die Türkei, Griechenland, das Baltikum und Ungarn nach München, von wo er nach Brandenburg geschickt wurde. Er hatte Glück und Geld, fand gute Schmuggler, die ihn direkt in die Türkei brachten. Von Damaskus nach Bad Belzig brauchte er eigenen Angaben zufolge nur 15 Tage. Mohamed zeigt ein Bild von seinem ehemaligen Hörsaal, das ihm sein Bruder kürzlich aufs Handy geschickt hat: Er ist komplett zerbombt, das Dach auf die Sitze der Studenten gefallen, als der Saal glücklicherweise leer war.

Für Zain Alfil dauerte die Flucht mit seinen beiden Brüdern mehr als ein Jahr. Er musste in Libyen und der Türkei lange Station machen, um Geld zu verdienen – als Träger in Hotels oder als Webdesigner. Allein für die Überfahrt in einem mit mehr als 40 Personen völlig überfüllten Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland musste er pro Person 1100 Dollar zahlen, erzählt Zain. Auf seiner Matratze sitzend zeigt er ein Handyvideo: Als die Bootsinsassen das griechische Ufer erahnen, bricht Freudengeschrei auf dem Schlauchboot aus.

In Ungarn wie ein Häftling behandelt

Verglichen mit den Strapazen der Flucht wie tagelangen Wildnis-Märschen und ungarischen Grenzpolizisten, die Flüchtlinge mit Elektroschockern ruhigstellen, sei das Leben im Zelt super, findet Zain. „Bad Belzig ist das beste Flüchtlingslager, das ich bisher kennengelernt habe.“ In ungarischen Unterkünften sei er eher wie ein Häftling behandelt worden.

Trotzdem sei der Alltag im Zelt schwierig: Für die Männer wurde ein Verlängerungskabel ins Zelt gelegt, an dem nun 90 Menschen ihre Handys laden müssen. Kühlschränke für selbst gekaufte Lebensmittel gibt es nicht. Das Zelt ist weder kühl- noch beheizbar: In den vergangenen Nächten froren die Männer, davor schwitzten sie. Nachts legt sich Feuchtigkeit aus der Luft auf so ziemlich alles, bei Regen tropfe es auf die Bewohner. „Jeden Abend stecke ich meine Decke in den Trockner, morgens ist sie wieder nass“, beschreibt Zain. Das Zeltdach haben die Bewohner notdürftig mit Besen abgestützt, durch den Regen der vergangenen Tage hatte sich Wasser in riesigen Mulden gesammelt.

Bald Container statt Zelte

Auch sonst haben die Bewohner ihr Leben selbst organisiert, einen Putzplan aufgestellt, Aufgaben verteilt und Pappe vorm Zelt ausgelegt, damit man nicht direkt von der matschigen Wiese zu den Betten geht. Für die Flüchtlinge wurden die Waschräume einer DDR-Baracke notdürftig hergerichtet. Bei den fünf Duschen im Männerwaschraum fehlen die Türen. „Wir nehmen meist die drei Duschen im Frauenwaschraum, die haben wenigstens Türen“, sagt Mohamed Jomaa. Und Frauen seien schließlich eh keine im Zelt. Abhilfe wird es frühestens zum Monatsende geben, wenn die Container fertig sind, die neben dem Flüchtlingslager aufgebaut werden.

Um die Mittagszeit wird das Essen aus der Werderaner Sodexo-Großküche angeliefert, eine Standardmahlzeit für alle. Theoretisch kann in zwei kleinen Nebenzelten gegessen werden. Am verregneten gestrigen Mittwoch nehmen die meisten ihr Essen aber mit aufs Bett, sodass sich das Zelt schnell mit dem Geruch von Brokkoli und Seelachs füllt. „Wenn es nicht regnet, gehen wir gern ins Café Im Winkel in die Innenstadt, da ist man nett zu uns und es gibt kostenloses Internet“, erklärt Mohamed. Auch wenn dort zuletzt am Wochenende erneut eine Scheibe eingeschlagen wurde, habe er in Bad Belzig keine Angst. „Die Menschen schauen uns aber meist fragend an, wenn wir durch die Stadt gehen.“ Einige haben Spiele wie „Vier Gewinnt“ gespendet, ein Betreuer brachte eine Gitarre und ein Notenbuch.

Deutsch mit Internetvideos

Mit Büchern und Internetvideos versuchen die jungen Männer auch, Deutsch zu lernen. Ein Kurs sei ihnen noch nicht angeboten worden. „Dabei ist das das Dringendste, was wir brauchen“, sagt Mohamed Jomaa. Eineinhalb Jahre lang habe er seine Flucht geplant, nun will er wie die anderen Bewohner so schnell wie möglich fertig studieren, Geld verdienen und seine Familie nachholen.

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