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Abhängig von Reese und zu dünn besetzt: Im Sturm muss Hertha BSC personell noch nachlegen
Die Berliner haben im Vergleich zur Vorsaison viel an offensiver Wucht eingebüßt, doch die Suche nach Verstärkung für den Angriff gestaltet sich aus verschiedenen Gründen schwierig.
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Bei Stefan Leitl kommt es häufiger vor, dass er am Ende einer Trainingseinheit noch einmal ins Detail gehen will. Dann wird der Kader von Hertha BSC in seine drei Mannschaftsteile – Abwehr, Mittelfeld und Sturm – aufgeteilt, und jeder dieser Mannschaftsteile übt noch ressortspezifisch für sich allein.
Die Untergruppe Angriff war zuletzt ein ziemlich bemitleidenswertes Häuflein, das aus gerade mal drei Spielern bestand. Rund zweieinhalb Wochen vor dem ersten Pflichtspiel des Berliner Fußball-Zweitligisten beim FC Schalke 04 ist das alles andere als eine beruhigende Situation. Zumal Hertha im Vergleich zur Vorsaison viel an offensiver Wucht eingebüßt hat.
Bei diesem Spieler dürfen wir gar kein Risiko eingehen, weil er einfach zu wichtig für die Mannschaft ist.
Herthas Trainer Stefan Leitl über Fabian Reese
Der mit sieben Treffern zweitbeste Torschütze Derry Scherhant hat den Klub im Sommer verlassen. Der mit sechs Treffern drittbeste Torschütze Florian Niederlechner hat den Klub im Sommer verlassen. Und der mit fünf Treffern fünftbeste Torschütze Ibrahim Maza hat den Klub im Sommer verlassen.
Dass Hertha noch Verstärkung für die Offensive benötigt, ist also schon länger bekannt. Schnelle Abhilfe für das Problem ist allerdings nicht zu erwarten. Bevor Sportdirektor Benjamin Weber weitere Transfers tätigen kann, muss noch mindestens ein Spieler den Klub verlassen.
Schon bei der Mitgliederversammlung Ende Mai hat Weber zugegeben, dass Hertha vor weiteren Verpflichtungen erst Kélian Nsona und Agustin Rogel von der Gehaltsliste bekommen müsse. Ihre Verträge sind noch zu Bundesligazeiten von Fredi Bobic als Geschäftsführer ausgehandelt worden und entsprechend üppig dotiert.
Der Franzose Nsona ist in der vergangenen Woche zum portugiesischen Erstligisten Casa Pia AC gewechselt. Bei Rogel aber scheint Hertha sich weiter gedulden zu müssen. Ein konkretes Interesse an dem Innenverteidiger aus Uruguay gibt es aktuell nicht. Und auf den Märkten, auf denen Rogel gefragt sein könnte, in Südeuropa und Südamerika nämlich, kommt das Transfergeschehen traditionell eher spät in Gang.
Trainer Stefan Leitl wird im Angriff also vermutlich noch einige Zeit den Mangel verwalten müssen. Im Trainingslager in Kitzbühel hat er angekündigt, auch in der kommenden Saison mit zwei Stürmern spielen zu wollen, mit Fabian Reese und Mister X. Aber in den Vorbereitungsspielen konnte oder wollte er diese Variante noch nicht ausprobieren.
Weil Luca Schuler wegen einer langwierigen Hüftverletzung nicht mit ins Trainingslager gereist ist, steht Leitl derzeit mit Neuzugang Sebastian Grönning nur ein potenzieller Partner für Reese zur Verfügung. Niklas Hildebrand ist zwar ebenfalls Mittelstürmer. Trotz seiner vielversprechenden Anlagen kommt er für die Rolle als Reeses Sidekick allerdings noch nicht in Frage. Hildebrand ist in der vergangenen Woche 17 geworden.

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Leitl hat bei den bisherigen Testspielen mehr darauf geachtet, dass alle Spieler ähnlich belastet werden – und weniger darauf, dass sich schon jetzt eine potenzielle Stammelf findet. Deshalb hat er Reese und Grönning mangels Alternativen auch noch nicht zusammenspielen lassen. Anstatt seine Mannschaft wie in der Vorsaison im 3-5-2-System aufzubieten, wich Leitl notgedrungen auf ein 3-4-2-1 mit zwei sehr flexiblen Zehnern aus.
Im jüngsten Test gegen den dänischen Europapokalteilnehmer Bröndby IF spielten Maurice Krattenmacher und Jon Dagur Thorsteinsson neben, hinter oder um Stoßstürmer Grönning herum. Bei dieser Begegnung kam noch erschwerend hinzu, dass Fabian Reese wegen eines Magen-Darm-Infekts gar nicht zur Verfügung stand.
Bröndby war Herthas bisher stärkster Gegner in der Vorbereitung. Unabhängig davon war es bezeichnend, dass die Berliner in diesem Spiel, in dem Reese fehlte, zum ersten Mal in diesem Sommer ohne Torerfolg blieben. Sechs Treffer sind Hertha in den vier Testspielen gelungen, wenn Reese auf dem Feld stand. An allen sechs war er beteiligt: Vier erzielte er selbst, die anderen beiden bereitete er vor.
„Man sieht natürlich, welchen Impact Fabi Reese hat“, sagt Trainer Leitl. Und man sieht auch, wie sich sein Fehlen auf das Team auswirkt. Das war schon in der vergangenen Saison so, als Reese fast die komplette Vorrunde wegen einer Sprunggelenksverletzung pausieren musste. Trotz der langen Ausfallzeit war er am Ende der Saison mit elf Treffern der beste Torschütze seiner Mannschaft.
„Bei diesem Spieler dürfen wir gar kein Risiko eingehen, weil er einfach zu wichtig für die Mannschaft ist“, sagt Stefan Leitl. Herthas Abhängigkeit von Fabian Reese ist immens, vielleicht sogar ungesund groß. Gerade deshalb aber benötigt Hertha im Sturm einen Nebenmann für ihn, der ebenfalls über ein gewisses Drohpotenzial verfügt.
Im Moment sind solche Spieler weder auf dem Markt noch für Hertha erschwinglich. Die Berliner spekulieren daher darauf, dass sich nach dem Start der neuen Saison, wenn sich in vielen Klubs die Stammformationen herausgebildet haben, noch Möglichkeiten auftun, die derzeit nicht realistisch erscheinen. Dass Herthas Problem in der Offensive eine schnelle Lösung findet, ist daher nicht zu erwarten.
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