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Hoch das Bein. Atléticos Trainer Diego Simeone liebt es auf dem Fußballplatz rustikal.

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Update

Champions League gegen FC Bayern München: Atlético Madrid ist nicht mehr das große Aua

Atlético Madrid war lange der tragische Verlierer unter Spaniens Spitzenklubs. Dann kam Trainer Diego Simeone und veränderte die Mentalität des ganzen Vereins.

Bayerns Georg Schwarzenbeck hatte gerade den Ausgleich im Landesmeisterpokal-Finale gegen Atlético Madrid geschossen, da wusste Vicente Calderón auch schon, warum seinem Klub der sicher geglaubte Titel entrissen wurde. „Somos el pupas“, sprach der Präsident. Pupa lässt sich am besten mit Wehwehchen übersetzen oder Aua. „Wir sind eben die mit dem Aua.“

Das große Aua, so wurde Atlético jahrzehntelang in Spanien genannt. Weil der Verein so tragisch scheitern konnte wie kein Zweiter. Da passte es, dass von den Bayern nicht Gerd Müller, nicht Uli Hoeneß, nicht Franz Beckenbauer trafen, sondern Schwarzenbeck, der in seinem ganzen Leben wohl nie zuvor aufs gegnerische Tor geschossen hatte. Damit nicht genug. Schuld an zwei Abstiegen war jeweils ein verschossener Elfmeter im entscheidenden Spiel und in den Fünfzigern, nach zwei Meisterschaften, setzte sich der talentierteste Spieler mit einer für ihre Affären berüchtigten Schauspielerin nach Mexiko ab. Immer schien es, als würden höhere Mächte Atlético übel mitspielen.

Wir gegen den Rest der Welt lautet Simeones Credo

Dann kam Diego Simeone. Und kurrierte den Verein von seinen Leiden. Das Aua ist weg, geheilt von einem, der die Seitenlinie entlangtobt, wie ein Vulkan, kurz vor dem Ausbruch. Der schreit und fuchtelt, der sich mit dem Schiedsrichter anlegt, immer an der Grenze zum gerade noch so Vertretbaren. Manchmal überschreitet er sie auch, oder lässt sie überschreiten.

So wie am Wochenende, als im Heimspiel gegen Malaga plötzlich ein Ball aufs Feld geworfen wurde, just in dem Moment, als die Gäste einen vielversprechenden Konter ausführten. Er kam von der Atlético-Bank, ein Balljunge hatte ihn geworfen. Auf eigene Faust? Wohl eher nicht. Der Schiedsrichter schickte Simeone als Verantwortlichen auf die Tribüne, und schon machte sich im Stadion jenes Gefühl breit, das der Trainer mit Vorliebe transportiert: Wir gegen alle Widerstände. Wir gegen den Rest der Welt. Jetzt erst recht.

Aufstehen. Dranbleiben. Weiterkämpfen - Fußball ist wie das Leben

Seit seiner Ankunft 2011 geht das nun so. Simeone, der nun wegen der Ballwurf-Affäre für drei Ligaspiele gesperrt wurde, stilisiert Atlético zum Widerpart der Großen, zum FC Barcelona und Real Madrid. Die haben Geld, wir haben unseren Willen. Das passt hervorragend zu Atléticos Tradition als Arbeiterklub. Simeone weiß darum und lässt seine Mannschaft auch so spielen. Wie die Menschen im Madrider Süden sieht er Fußball als Arbeit, als Spiegelbild des Daseins. Ein typischer Simeone-Satz klingt so: „Das Leben ist: aufstehen, dranbleiben, weiterkämpfen.“ Gesagt hat er ihn nach dem Sieg im Viertelfinale gegen Barcelona. Zuvor hatte Atletico sieben Spiele in Folge gegen diesen Gegner verloren.

Aufstehen. Dranbleiben. Weiterkämpfen. Selbst als Atlético vor zwei Jahren im Finale der Champions League auch unter Simeone auf tragische Weise das Finale verlor, zweifelte niemand. Aufstehen, dranbleiben, weiterkämpfen gehört inzwischen zur DNA eines jeden Atlético-Spielers. In Europa gibt es keine diszipliniertere, defensivstärkere Mannschaft. Wie Zellen in einem Organismus weiß jeder, was er zu tun hat, niemand ist unersetzlich. Auch Diego Godin nicht, der Abwehrchef, obwohl sein Ausfall gegen Bayern schwer wiegt. Godin gibt erfolgreich das Kommando in der Abwehr, Atlético blieb in 21 von 34 Ligaspielen ohne Gegentor. Nach vorn werden Konter überfallartig vorgetragen, von überragenden Einzelkönnern wie Antoine Griezmann, Koke oder dem wiedererstarkten Fernando Torres.

Für jeden großen Gegner hat Simeone eine Taktik parat

Simeones Taktik richtet sich oft am Gegner aus. Gegen Real Madrid mit seinen gefährlichen Außenangreifern Cristiano Ronaldo und Gareth Bale vernachlässigt er gern das Zentrum, die defensiven Mittelfeldspieler sollen dann die eigenen Außen unterstützen. Gegen Barcelona ließ er den gegnerischen Ballführenden zunächst gewähren, verbarrikadierte aber die möglichen Anspielstationen. Barças Angreifer Lionel Messi, Luis Suarez und Neymar waren so vom Spiel abgeschnitten. Hinterher freute sich Verteidiger Luis Felipe: „Wir wussten einfach jedes Detail.“

Da der FC Bayern wie Barcelona auf viel Ballbesitz setzt, wird Atlético wohl ähnlich spielen. Früh attackieren, um möglichst keine Anspielstationen zuzulassen. Konträr zum großen Aua transportiert Simeone eine Kultur des An-sich-Glaubens, des Vertrauens in die eigene Stärke. El Cholo, wie der Argentinier wegen seiner dunklen Haut genannt wird, hat bei Atlético eine neue Glaubensrichtung hervorgerufen, den Cholismus. Die Zeitung „El Pais“ schrieb kürzlich: „Simeone ist für Atlético, was Johan Cruyff zu Lebzeiten für den FC Barcelona war.“ Der hatte aus dem ewigen Verliererklub Dauergewinner gemacht. Diego Simeone könnte bei Atlético das Gleiche gelingen.

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