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Auch die Arminia-Fans Berlin pflegen die Zuneigung zu ihrem Lieblingsklub fern der Heimat.

© promo

Exilfans in Berlin: Auswärts zuhause

Sie alle leben in Berlin, aber sie halten zu Gladbach, Stuttgart oder Bielefeld. In keiner Stadt gibt es so viele Exilfans. Eine Doku begleitet sie und fühlt mit.

Es gibt da eine Szene, auf die ist Martin Zeising richtig stolz. Später September in der Kneipe der Spreeborussen, der Berliner Fan-Abordnung von Borussia Mönchengladbach. Die ersten vier Bundesligaspiele sind verloren gegangen und jetzt liegen sie noch gegen den alten Lieblingsfeind vom 1. FC Köln zurück. Zwei Gladbacher stürmen auf die Straße. Die Wut muss raus und ein bisschen auch die Furcht vor dem, was da noch kommen könnte. „Ich hab‘ totale Angst, dass der Favre hinschmeißt“, sagt der eine, das wäre noch furchtbarer als die sich anbahnende Niederlage. Der andere schafft es einfach nicht, ihm diese elementare Sorge zu nehmen. Das Spiel geht verloren und am nächsten Abend macht der Gladbacher Trainer Lucien Favre, womit niemand in Deutschland gerechnet hat, mal abgesehen von dem Spreeborussen. Er schmeißt hin.

Martin Zeising litt kurz mit den leidenden Gladbachern, aber überwogen hat doch die Freude. Dass er nämlich mit seiner Kamera dabei war. Das vorweggenommene Ende der Ära Favre zählt zu den emotionalen Höhepunkten in Zeisings Dokumentarfilm „Ferne Liebe“, der derzeit beim Fußballfilmfestival „11mm“ seine Uraufführung erfährt. „Nach dem, was ich damals am Samstag in der Kneipe erlebt habe, hat mich Favres Rücktritt am Sonntag überhaupt nicht überrascht“, sagt der Filmemacher. „Die Fans sind mit dem Herzen nun mal sehr nahe an ihrem Verein“, auch wenn sie ein paar hundert Kilometer entfernt mit ihm zittern, jubeln oder weinen. So wie die Spreeborussen in Charlottenburg, die Arminia-Fans aus Bielefeld in Prenzlauer Berg oder die Clubberer 04, die zurzeit keine eigene Kneipe haben, weil ihr Wirt irgendwann vergessen hat, die Miete zu zahlen. Martin Zeising ist mit den Einzelheiten ganz gut vertraut, denn er führt den Vorsitz im Berliner Fanclub des 1. FC Nürnberg.

Vom Berliner Fußball wollen sie nicht viel wissen

In keiner anderen Stadt Deutschlands gibt es so viele Fans auswärtiger Vereine wie in Berlin. Münchner, Dortmunder, Hamburger, Bremer, Düsseldorfer verschlägt es schon immer nach Berlin und noch ein bisschen stärker seit der Wiedervereinigung. Job, Familie, Abenteuer und so. Für die Exil-Berliner ist jede Woche Auswärtsspiel, und wenn sie mal ins Olympiastadion gehen oder in die Alte Försterei, dann nur, um ihre Münchner, Dortmunder, Hamburger, Bremer, Düsseldorfer zu sehen. Alle tragen sie in ihrem Herzen den Verein ihrer Heimat. Und einmal im Jahr finden sie zusammen beim „Liebe statt Hiebe“-Turnier, einem klubübergreifenden Wettstreit am Kickertisch, bei dem sie in bierseliger Harmonie das gemeinsame Schicksal im Exil begehen. Der Fußball mag den Zugereisten eine Heimat geben, aber vom Berliner Fußball wollen sie alle nicht so viel wissen. „Schwierige Sache“, sagt Martin Zeising. Ein paar der Exilanten hätten zwar den 1. FC Union adoptiert, „aber nur als Zweitklub. Mit Hertha kann eigentlich keiner was anfangen.“

Martin Zeising ist ein großer Mann mit Zopf und Vollbart, der ein bisschen zu lang ist, um als dem Mainstream geschuldetes Hipster-Accessoire durchzugehen. Er ist 46 Jahre alt und hat sich schon immer darüber gewundert, warum aus diesem großartigen Thema noch niemand einen Film gemacht hat. Und bevor dann doch einer auf die Idee kommt, ist er selbst mit der Kamera losgezogen, eine Halbserie lang vom Juli bis in den Dezember hinein. Er hat dabei nicht nur Augenblicke von Glückseligkeit eingefangen. Seit Nick Hornbys „Fever Pitch“, dem großartigsten Fußballbuch aller Zeiten, ist bekannt, was für eine ernsthafte Angelegenheit das Fan-Dasein bedeuten kann. Der Londoner Hornby verliebte sich in seinen FC Arsenal und in den Fußball, „wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden.“

So ähnlich ist es dem gebürtigen West-Berliner Zeising ergangen. Als die Familie nach Süddeutschland zog, war er zehn und noch ein bisschen zu jung, um sein Herz an Hertha BSC zu verlieren. Nürnberg hat er sich ausgesucht, weil man eben irgendeinen Verein haben musste, „und der Club hatte im Kicker-Sonderheft die schicksten Trikots“. Dann kam eine dramatische Niederlage im DFB-Pokalfinale 1982 gegen den FC Bayern, sie hat ihn so stark mitgenommen, dass er bei einer 2:1-Führung lieber dem Vater bei der Reparatur des Autos half, als die vorausgeahnte Niederlage mitanzuschauen. Die unerträgliche Nervosität während des Spiels und der Schmerz danach signalisierten, dass da mehr sein musste als die bloße Sympathie für hübsche Hemden.

Die Exilfans verbindet mehr, als sie trennt

Fast alle Fans, die in „Ferne Liebe“ zu Wort kommen, erzählen zuerst von den Qualen, die ihnen ihr Verein schon bereitet hat. Man sieht die Exilanten an Fingernägeln und auf Bierglasrändern knabbern. Sie fassen sich an den Kopf und an das Herz, schreien auf, klammern sich in fester Umarmung aneinander, als könnte das den Gegner ein Stück weit zurückschrecken oder doch wenigstens aufhalten. Mit dem gnadenlosen Auge der Kamera beobachtet Martin Zeising, wie die „Cannstatter Kurve Berlin“ nach dem missratenen Saisonstart ihres VfB Stuttgart um Besserung im Spiel gegen Schalke 04 bangt. Wie der Fernsehreporter im Off von einer sich anbahnenden Torchance spricht, alle springen sie auf und ballen die Fäuste, der Ball fliegt in Richtung Tor und… vorbei. Die ganze Kneipe sackt in sich zusammen.

Zeising war auch dabei, als sich Freiburger und Bielefelder Fußballfreunde zum Zweitligaduell an der Bernauer Straße bei „Tante Käthe“ trafen, es handelt sich dabei kurioserweise auch um eine gemeinsame Fankneipe. Das ist ungefähr so, als würden sich zwei durch und durch verschiedene Klubs ein Stadion teilen. In Neukölln hat Zeising mit den Havel-Pralinen von Fortuna Düsseldorf den Zittersieg im Pokal über den Viertligisten Rot-Weiss Essen durchlitten. Er ist mit Delegationen aus Freiburg und, selbstverständlich, Nürnberg nach Leipzig gefahren, ins Feindesland der traditionsbewussten Fans, die sich immer noch nicht damit abfinden mögen, dass ein allein vom Kommerz gesteuertes Etwas in der kommenden Saison wohl Aufnahme in die Bundesliga finden wird. Nach Leipziger Exilfans hat er in Berlin nicht gesucht – „kann mir auch nicht vorstellen, dass es welche gibt“, und wenn – dann würden die Düsseldorfer, Freiburger, Bielefelder oder Nürnberger auch nichts mit ihnen zu tun haben wollen.

Ansonsten verbindet die Berliner Exilfans mehr, als sie trennt. Vor allem die Illusion einer Heimat fern der Heimat. Da ist zum Beispiel Holger, Anfang fünfzig und seit frühester Kindheit dem FC St. Pauli zugetan. Holger wohnt im Wedding und fährt doch wann immer es möglich ist durch die halbe Stadt in die Astra-Stuben nach Neukölln, wo sich die Scarecrows Sankt Pauli zusammenfinden. „Wenn ich hier in die Kneipe komme, ist das, als würde ich zu Hause auf dem Kiez in eine Kneipe gehen“, sagt Holger. Der Fußball ist ein alle zusammenführendes Element, über soziale Schranken hinweg, von Ärzten und Arbeitslosen, Anwälten und Anstreichern.

Auch das Bier muss aus der Heimat kommen

Manchmal ist der Fußball auch geeignet, Vorurteile zu überwinden. Wie zum Beispiel gegen die TSG Hoffenheim, ein Kunstprodukt, mit dem Zeising wie so ziemlich alle Traditionalisten ähnlich wenig anfangen kann wie mit dem Leipziger Brauseklub. Dann ist er mit den Berliner Fanclub der TSG zusammengekommen, „sehr ökologisch angehauchte Jungs, die würden nie mit dem Auto zu einem Spiel fahren. Mit denen konnte man sich wirklich auf einer sehr ironische Art über Fußball und Hoffenheim unterhalten“, womit er nun überhaupt nicht gerechnet habe.

Und natürlich legen sie alle Wert darauf, das Bier aus der Heimat zu trinken. Die Bochumer schwören auf die Produkte aus der Privatbrauerei Moritz Fiege, Holgers St. Paulianer selbstverständlich auf Herz und Anker von Astra, Martin Zeisings Nürnberger erfreuen sich eines traditionell reichhaltigen fränkischen Angebots. „Nur die Düsseldorfer wollen kein Alt, sondern Berliner Schultheiß“, was schon ein bisschen seltsam sei, denn das würden doch nicht mal die Berliner trinken.

Das 13. Internationale Fußballfilmfestival „11 mm“ findet noch bis zu diesem Montag statt. Im Babylon, Filmtheater Friedrichshain und im City-Kino Wedding werden 70 Filme aus 24 Ländern gezeigt. „Ferne Liebe“ läuft an diesem Montag um 19:45 Uhr. Details: www.11-mm.de

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