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Sport: BVB Deutschland 09
Dortmund beherrscht die Bundesliga und drängt auch im Nationalteam in eine führende Rolle
Eine Einladung zur Nationalmannschaft kann eine ganz schöne Zumutung sein – weil die Nationalmannschaft zusammenführt, was eigentlich nicht zusammengehört. Schalker und Dortmunder zum Beispiel. Mario Götze hat diese Erfahrung am Sonntag gemacht, als er in der Sportschule Kaiserau jenem Mann über den Weg gelaufen ist, der für alle Dortmunder seit dem Freitag so etwas wie der Leibhaftige ist. „Er hat uns jeden Nerv geraubt“, sagt Götze. Die Erinnerung bereitete ihm offenbar immer noch Schmerzen. Doch die Begegnung mit Manuel Neuer, dem Torhüter des FC Schalke 04, lief ohne weitere Verletzungen ab. Man habe sogar miteinander gescherzt, berichtete Götze.
Der Mittelfeldspieler des BVB gehört erst zum zweiten Mal zum Kader der Fußballnationalmannschaft, doch abgesehen von solchen Merkwürdigkeiten wie einem Schalker im eigenen Team gibt es für ihn keinen Grund zu fremdeln. Die Sportschule Kaiserau hat er vor fünf Jahren zum ersten Mal bewohnt, damals noch mit der Westfalenauswahl. „Das ist ein heimisches Gefühl, wenn man hier hinkommt“, sagt er. Und auch beim Testländerspiel am Mittwoch gegen Italien (20.45 Uhr, live in der ARD) wird Götze sich auf gewohntem Terrain bewegen. Das Dortmunder Stadion gilt, trotz der Halbfinalniederlage gegen Italien bei der WM 2006, als Wohnzimmer der deutschen Nationalmannschaft. Nie hat das mehr gegolten als in dieser Woche, da mit Mario Götze, Mats Hummels, Marcel Schmelzer, Sven Bender und Kevin Großkreutz gleich fünf Spieler des BVB im Aufgebot von Joachim Löw stehen.
Der Bundestrainer hat damit auf eine Entwicklung reagiert, die sich nicht länger ignorieren lässt. Die Dortmunder Mannschaft von Jürgen Klopp begeistert das Bundesligapublikum mit jugendlicher Leidenschaft, Spielwitz und entfesselter Offensive. All das – jugendliche Leidenschaft, Spielwitz und entfesselte Offensive – nimmt auch die Nationalmannschaft für sich in Anspruch. „Ein paar Parallelen kann man schon erkennen“, sagt ihr Manager Oliver Bierhoff. „Auch die Dortmunder hatten den Mut, einen Umbruch zu wagen, und beide Mannschaften haben einen sehr guten Trainer.“
Niemand hat das Land zuletzt so begeistert wie der BVB und die Nationalmannschaft. An diesem Mittwoch nun könnte es einen ersten ernsthaften Versuch geben, zwei parallele Welten zusammenzuführen. Allerdings sind die Dortmunder noch ein gutes Stück davon entfernt, in ihrem unendlichen Schwung gleich die Nationalelf zu übernehmen. Kurzfristig hat wohl keiner der fünf Borussen bei Joachim Löw die verlässliche Perspektive auf einen Stammplatz. Aber das liegt weniger an ihnen als an ihrer Konkurrenz.
Mario Götze zum Beispiel gilt als Jahrhunderttalent, er ist erst 18 Jahre alt und kann im offensiven Mittelfeld alle Positionen nahezu gleichwertig gut besetzen. Bei seinem Debüt im November hatte der Bundestrainer das Gefühl, „als wäre Mario schon zwei, drei Jahre dabei“, so ballsicher, selbstbewusst und ideenreich wie der junge Dortmunder sich präsentierte. „Bei einem Spieler in diesem Alter habe ich so etwas noch nicht oft erlebt.“ Doch so stark Götze in seiner ersten Bundesligasaison spielt, so stark ist in der Nationalmannschaft mit Lukas Podolski, Mesut Özil und Thomas Müller seine Konkurrenz. Ähnliches gilt für Kevin Großkreutz, der auf den offensiven Außenpositionen zu Hause ist.
Sven Bender, einziger Neuling in Löws Aufgebot, hält der Bundestrainer für „überragend gut in der Balleroberung“. Der 21-Jährige geht im Offensivwirbel der Dortmunder fast ein wenig unter, aber ohne seinen selbstlosen Beitrag zur Defensive wäre das Angriffsspiel des BVB schlicht undenkbar. Allerdings hat Bender im defensiven Mittelfeld Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira vor sich, Michael Ballack und Simon Rolfes nicht zu vergessen. Die besten Aussichten auf einen Stammplatz besitzen daher derzeit Marcel Schmelzer – weil seine Position links in der Viererkette als traditionelle Schwachstelle der Nationalmannschaft gilt – und Mats Hummels. Der Innenverteidiger spielt in der Bundesliga im Moment konkurrenzlos gut, aber Per Mertesacker und wohl auch Arne Friedrich genießen bei Löw noch einen gewissen Bestandsschutz.
Im Grunde kommen die Dortmunder einen Schritt zu spät. Die Nationalmannschaft hat gerade erst einen größeren Umbruch hinter sich, und die Spieler, vor allem auf den strategisch wichtigen Positionen, sind fast durchgängig jung bis sehr jung. Mario Götze ahnt, dass er gegen Italien nicht von Anfang an spielen wird, trotzdem hat ihm sein Vereinstrainer Jürgen Klopp vor der Abreise den Rat gegeben: „Genieß es, das ist doch geil!“ Und Götze fügt an: „So seh’ ich das auch.“