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Boris Becker und sein Buch „Inside“

© dpa/Annette Riedl

„Das Gefängnis tat mir gut“: Boris Becker stellt sein Buch „Inside“ vor

Die deutsche Tennislegende hat ein Buch geschrieben. Am Donnerstag stellt es Boris Becker höchstpersönlich im Kino Delphi vor. Dabei wird es emotional, nicht nur für ihn.

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Zwei Fragen könnte sich Boris Becker am Donnerstagabend gegen 19 Uhr gestellt haben: Findet das Match überhaupt statt und was macht eigentlich Cliff Richard? Als es auf dem Centre Court von Wimbledon noch kein Dach gab, hatte der englische Popstar öfter mal seine Sangeskunst zum Besten gegeben, wenn wegen Regens mal wieder nicht gespielt werden konnte.

Das war zu Zeiten, als Boris Becker noch der 17-jährigste Leimener aller Zeiten war und die Herzen nicht nur der Tennisfans im Sturm eroberte. Und als sich sein Leben für immer verändern sollte. Oder wie er später an diesem Abend noch sagen sollte: „Hätte ich mit 17 nicht Wimbledon gewonnen, wäre ich nie im Gefängnis gelandet.“

Hier und heute ist Becker mal wieder der Star der Veranstaltung. Allerdings nicht auf dem heiligen Londoner Rasen, sondern im Delphi Filmpalast. Dort, wo normalerweise Blockbuster ihre Premieren feiern, hat Becker selbst einen mitgebracht. Denn der 57 Jahre alte deutsche Weltstar ist inzwischen unter die Schriftsteller gegangen. „Inside“ heißt sein Werk, in dem Becker über seine 231 Tage in englischer Haft berichtet, während derer ihm endgültig klar geworden sein dürfte: Das Leben ist kein Spiel.

Dass es vor der Premiere regnet, kann einen Becker nach dieser Erfahrung nicht mehr erschüttern. Und so entsteigt er – so viel Wimbledon darf es dann schon sein – der dunklen Limousine in der Fasanenstraße im weißen Leinenanzug, mit weißen Turnschuhen und grünen Socken. An seiner Seite Ehefrau Lilian, ebenfalls ganz in Weiß und mit Babybauch.

Und wie es bei Becker und all seinen Ehefrauen immer war, sind sofort die Fotografen zur Stelle. Der öffentliche Boris, eine Rolle, die er zu hassen gelernt hat, aber die er im Delphi routiniert und stoisch wie ein Profi zu spielen weiß.

Zumal er sich mit dem Stoizismus mittlerweile gut auskennt, hinter Gittern in England nahm er an einem Stoiker-Kurs teil. Und wie er in seinem Buch schreibt, hat ihn das den harten Alltag mit anderen und viel übleren Verbrechern während seiner Haft besser ertragen lassen.

Das Blitzlichtgewitter, das die Beckers – auch Sohn Noah und Schwester Sabine sind mitgekommen – geduldig ertragen, nehmen Heike aus Britz und Carola aus Charlottenburg mit einer gesunden Skepsis wahr. „Ich bin kein Fan, aber ich bin neugierig, auf das, was Becker heute erzählen wird“, sagt Heike. Ob sie sich das Buch kaufen wird, hat sie noch nicht entschieden. Aber die Tennismatches vom Boris, die seien doch damals wirklich toll gewesen, da sind sich beide Frauen einig.

Viele Leute gehen ins Spa, um sich zu reinigen – du warst im Gefängnis.

Noah, Sohn aus Beckers erster Ehe mit Barbara

Und so sehen es wohl viele an diesem Abend, wobei Becker dann doch nicht mehr so zieht wie zu seinen besten Tenniszeiten. Das Delphi mit seinen 673 Plätzen ist nicht ausverkauft und manche Gäste sind zudem auf private Einladung des Gastgebers gekommen. Die früheren Mitstreiter Barbara Rittner, Markus Zoecke oder Dietrich Wolter haben wie die anderen Besucher um kurz nach 20 Uhr Platz genommen im Kinosaal.

Dort wird Becker von Matthias Killing befragt, einem Sportmoderator von Sat.1, der auch Stadionsprecher beim Tennisturnier am Rothenbaum in Hamburg ist. Beide kennen sich schon seit 20 Jahren und so ist sicher, dass es vor der großen Leinwand eher kuschelt denn kribbelt. Unter der Überschrift „Break des Lebens“ erzählt Becker zunächst, warum er dieses Buch überhaupt geschrieben hat.

„Ich bin es einfach leid, von Leuten be- und verurteilt zu werden“, sagt er. Dazu sei das Schreiben auch eine Art „Selbsttherapie“ gewesen. Becker hat es zusammen mit dem britischen Journalisten Tom Fordyce verfasst. Und auch, wenn er es an diesem Abend nicht sagt, geht es natürlich für ihn längst wieder darum, Geld zu verdienen. Schließlich war er trotz seiner vielen Tennismillionen pleite, als er ins Gefängnis musste.

Boris Becker mit seiner Frau Lilian de Carvalho Monteiro.

© dpa/Annette Riedl

Und wie hält Becker es mit der Einsicht oder gar Reue? Sieht er sich als Täter, gar Verbrecher? Eine klare Antwort bleibt er schuldig, aber er wird später sagen: „Ich habe mich gehäutet.“ Und: „Das Gefängnis tat mir gut.“

Diesen Blick in seine Seele gewährt Boris Becker im Delphi immer wieder, hauptsächlich aber geht es darum, was er in den 231 Tagen im Knast und kurz zuvor nach dem Schuldspruch erlebt hat. Becker berichtet von den härtesten Wochen seines Lebens, bis im April 2022 fest stand, dass er tatsächlich in Haft muss und keine Bewährung erhält.

Zunächst in Wandsworth und später in Huntercombe hätte er „Todesangst“ gehabt. In den Gefängnissen ihrer Majestät wäre die schlimmste Sorte von Menschen eingesperrt – „und ich“, erzählt Becker. Wenn er von Gewalt und schlechtem Essen berichtet, gibt es im Kinosaal „Ahs“ und „Ohs“. Die Wirklichkeit sei schlimmer gewesen als in Gefängnisfilmen. Die hatte er sich als Vorbereitung noch in Freiheit angesehen.

231
Tage saß Becker in England im Gefängnis

„Du bist nicht mehr Mensch, du bist eine Nummer – meine war: A2923EV“, sagt Becker mit viel Emotion in der Stimme. Aber: „Ich bin ein Kämpfer, das war immer schon eine Qualität. Hinfallen ist in Ordnung, aber du musst auch wieder aufstehen.“ Dabei hätte ihm seine Familie geholfen, quasi als Bestätigung sucht Becker im Delphi auch deshalb immer wieder den Kontakt zu Ehefrau Lilian.

Und die darf dann auch noch auf die Bühne. Zusammen mit Noah, dem Sohn aus Beckers erster Ehe mit Barbara. Jene Verbindung, in der die Eheleute sich vor Gericht eine Schlammschlacht lieferten und die aus dem Tennisstar Boris Becker endgültig den Star des Boulevards machte.

Trocken meint Noah zur vermeintlichen Wiedergeburt seines Vaters: „Viele Leute gehen ins Spa, um sich zu reinigen – du warst im Gefängnis.“ Lilian wiederum fasst das Buch, um das ja eigentlich an diesem Abend gehen soll, prägnant zusammen und gibt gleich noch eine Entscheidungshilfe für den Kauf: „Man kann das wie eine Folge aus Prison Break lesen oder eben wie eine Anleitung, nach einer Krise wieder neu zu beginnen. Es kann auch eine Art Inspiration sein.“

Applaus, Applaus und dann schnell ab ins Foyer und das gute Stück kaufen. Vielleicht sogar noch mit einer persönlichen Widmung des Autors. Wobei hier der alte Grundsatz gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Becker signiert 15 Minuten, lässt dann aber mindestens die Hälfte der Fans einfach stehen. „Das ist gemein“, ruft eine Frau. Andere skandieren „Boris, Boris!“.

Der so Gerufene steht nur ein paar Meter weiter hinter einem durchsichtigen Vorhang, hört Sätze über sich wie „die Liebe meiner Jugend“ und lässt sich doch nicht mehr erweichen. Die Empörung ist greifbar, aber ihm wird vergeben. Seine Fans werden ihn weiter lieben. Den Boris, der keine 17 mehr ist, aber trotzdem für viele auf ewig der Held ihrer Jugend bleiben wird. Auch wenn der nie ihr Held sein wollte.

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