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Stimmung in der Alten Försterei.

© dpa

Willmanns Kolumne: Der 1. FC Union bläst zur Jagd

Unser Kolumnist Frank Willmann war mal wieder im Berliner Südosten unterwegs. Beim 1. FC Union, An der Alten Försterei, wo die Fans stets 150 Prozent geben - selbst wenn die FDP der zweiten Liga vorbeischaut.

Es gibt eine Menge Faktoren, die den Ausgang eines Fußballspiels beeinflussen können. Die Form der Mannschaft, das Wetter, das Anfeuerungsverhalten der Zuschauer. Besonders der letzte Punkt gelingt beim 1. FC Union stets zu 150 Prozent. Die Stimmung An der Alten Försterei lässt nichts zu wünschen übrig. Dementsprechend war es mal wieder an der Zeit, sich unter den Männergesangverein auf der langen Stehplatzgerade zu mischen.

Ich nehme es vorweg. Es war ein Fußball-Ereignis. Jeder und Jede in Hitze. Man kann sich auf der unendlich langen Gerade nicht raushalten. Schön auf dem Sitzplatz räkeln, mit dem Wischphone spielen. Wie bei Bayern München mit der Klatschpappe in der Nase bohren. Es gibt keine Ruhe. Wer im Block steht, hat tunlichst mitzumachen. Andernfalls… Lassen wir das. Die Stehränge sind der verlängerte Arm der Fans. Altbekannte Rituale bestimmen das Miteinander. Da ist Wärme und dieses willkommene Geriesel auf dem Rücken. Wer hier steht, braucht das große Gefühl von Gemeinsamkeit. Zusammenstehen für eine Sache, die 1. FC Union heißt. Zu Gast war Sandhausen. Ein Vorort der alten Stadt Heidelberg.

Sandhausen ist die FDP in der zweiten Liga. Von keinem geschätzt, verlacht und angespien, knödeln sie am Rand der Bedeutungslosigkeit. Sie ärgern mit ihrem geringen Auswärtsfankontingent die Schatzmeister der zweiten Liga. Öde Gästeblöcke, vereinsamte Betttücher mit Sprüchen wie Sorry Jung`s ich hab keinen Urlaub bekommen. Der VfR Aalen ist noch so ein Sandfloh im Getriebe. Fans, die am Freitag arbeiten müssen. Am Wochenende sowieso. Berlin liegt für sie in Polen und ist voll osteuropäischer Langfinger. Da bleiben wir doch lieber im badischen Vorgarten. Ab und an gewinnen Sandflohmannschaften auch mal ein Spiel und versauen uns die Wettquote. Sandhausen wollte Unions brutales Laufspiel stoppen. Soso.

Ging natürlich in die Hose. Angetrieben von vielen tausend irren Fanatikern spielte Union mit einer unheimlichen Selbstsicherheit. Sie demoralisierte die kleinwüchsigen Tiki-Taka Wiesel aus Sandhausen. Unions Torsten Mattuschka: Hatte am Spieltag Geburtstag. Dreiunddreißig geworden. Ein Mann, der eigentlich ständig zwei Bewacher braucht. Der manchmal rennen kann wie eine Antilope. Gesegnet mit zwei Magnetfüßen und einem dämonischen, adrenalingesteuerten Instinkt. Der unter Hochdruck noch besser funktioniert. Für den Hochdruck sorgen die Unionfans. Mattuschka ist ihr Idol, er spielt den Ball für die Massen. Potent, energetisch. Ein böser Wolf, der die Gegner reihenweise auffrisst. Ein schöner Moment, wenn Mattuschka aus dem Rückraum kommt, zwei Sandhäuser Mittelfeldwichte einfach zur Seite schubst und abzieht. Tor, klar. Jedes Heimspiel von Union ist eine Orgie unbeschreiblichen Ausmaßes. Eine halbe Stunde vor Beginn die Stehränge rappelvoll. Nach dem Spiel will keiner nach Hause gehen, davon kann Hertha nur singen.

In der eisernen Höhle des Berliner Bären wird rechtschaffen berlinert. Sind ja auch in Berlin und nicht in Prenzelberg. Sangesrituale, … wir werden ewig leben… Sie himmeln Tusche an, er ist ihr bester Mann, dafür hat das Publikum eine feine Empfindung. Mattuschka ist einer, der die unsichtbaren Schwingungen zwischen Fans und Mannschaft spürt und direkt in Energie umsetzen kann. Er steht für Unions Ideale. Tapfer, treu, furchtlos.
Dieser Tage erscheinen gleich drei Druckwerke, die den Uniongeist in die Welt posaunen. 111 Liebebeweise von Frank Nussbücker, ein Sachbuch vom Matthias Koch zur Uniongeschichte, Sam Pfaffs Comic „Voll dit Leben! Mit Eisern Union.“

Treue Unionfans kaufen gern Unionartikel. Sie schwören jeden Eid auf Union und sind der Meinung, Union lässt sich nicht kaufen und ist gesegnet mit der Lizenz zum ewigen Leben. Das weiß auch Trainer Neuhaus. Seit 2007 Union-Trainer. Er wollte seinen Impresario Tusche vor ein paar Jahren mal probehalber aussortieren. Neuhaus ist ein schlauer Trainer. Er erkannte sehr schnell, ohne Mattuschka ist Unions Spiel nur die Hälfte wert. Wehe wenn Tusche ausfällt. Dann zieht Gefahr ins Land und die aufgedrehten Narren aus Köln und Fürth wittern Morgenluft. Seit 2005 kickt er bei Union – und alle fragen sich, ob nach dieser Saison der Aufstieg in die Bundesliga an Mattuschkas Widerhaken zappelt. 1. Bundesliga. Aufstieg. Worte, die keiner in den Mund nimmt. Von dem trotzdem jeder Fan heimlich träumt. Berlin kann gewiss zwei Bundesligisten vertragen. Wenn Hertha überhaupt die Klasse hält.

Mattuschka ist gebürtiger Cottbuser. Das nächste Spiel führt Union nach Cottbus. Die Mannschaft begleitet von einer Faninvasion, die jeden bisherigen Wahnsinn in den Schatten stellen wird. Rotweißes Blut weinende Unioner auf dem Marsch in die Bundesliga? Vielleicht. Wenn Mattuschka die Saison seines Lebens spielt. Und die Mannschaft mit ihm. Unter der milden Knute des Uwe Neuhaus. Der bis 2007 kaum einen Schritt aus dem Ruhrgebiet tat. Bis Union Berlin dem Seelenverwandten aus dem Pott neue Heimat schenkte. Heute quasi Ur-Unioner. Wie Mattuschka.

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