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Heidemarie Dresing ist mit ihren 69 jahren die älteste Teilnehmerin der Paralympics.

© REUTERS/JEREMY LEE

Die 69-jährige Heidemarie Dresing übers Altern : „Gott sei Dank, ich habe nur Multiple Sklerose!“

Wenn ältere Menschen über ihre Wehwehchen klagen, beeindruckt das die älteste Teilnehmerin der Paralympics nicht. Auch 2032 in Brisbane will sie noch an den Start gehen.

Von Carla Vitón Tamayo

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Von ihren Teammitgliedern wird sie auch die „Mutter der Nation“ genannt: Heidemarie Dresing ist mit 69 Jahren die älteste Teilnehmerin der Paralympischen Spiele. Die Deutsche ist Teil des Paradressur-Teams und konnte sich in Paris zwei Bronzemedaillen sichern.

Und ein Karriereende ist noch lange nicht in Sicht – sie plant, noch an den nächsten beiden Paralympics teilzunehmen. Bei den Spielen im australischen Brisbane 2032 wäre sie 77 Jahre alt.

Im Team wird sie aufgrund ihrer Erfahrung geschätzt und gibt auch gerne mal Ratschläge. Doch auch wenn sie bereits ein Routinier ist – die nötige Gelassenheit bringe sie noch nicht in den Wettkampf mit, so Dresing.

Ehrgeizig und unerschrocken sei sie aber schon immer gewesen. Als sie in der Pferdeausbildung tätig war, habe nichts eine Herausforderung für sie darstellen können. „Große, kleine, dicke, dünne, freche, sensible, wilde, faule Pferde – ich bin sie alle geritten“, erzählt Dresing. Trotz des immer bestehenden Risikos einer Verletzung im Umgang mit den Tieren.

2011 wurde Dresing, damals 52 Jahre alt, mit Multipler Sklerose diagnostiziert. Lange konnte keiner herausfinden, warum und was für eine Krankheit Dresing hatte. Doch sie habe gewusst: Irgendetwas stimmte mit ihrem Körper nicht. Schon immer versuchte sie, gesund zu leben. Dabei achtete sie vor allem auf Ernährung und Bewegung. Das Einzige, was sie nicht in gesundem Maß tat, war schlafen. Als sie noch im Beruf als Architektin aktiv war, tat sie dies in der Regel fünf Stunden. Die Athletin könne sich vorstellen, dass dies eine Entstehung der noch recht unerforschten Krankheit begünstigt haben könnte.

„Ein gesunder Mensch weiß gar nicht, wie das ist, wenn schon das Aufstehen Kraft kostet“, erzählt Dresing. Über sechs Jahre sei sie in vielen verschiedenen Kliniken gewesen, bis sie ihre Diagnose bekam. Heute kann sie ihr linkes Bein und den linken Arm kaum bewegen und kontrollieren und hat Gleichgewichtsstörungen.

Nach dem anfänglichen Schock habe sie sich vorgenommen, bestmöglich nach vorne zu blicken. Vor ihrer Erkrankung nahm sie auf kompetitivem Niveau an Dressur-Reitturnieren des Regelsports teil. Als sie dann vor acht Jahren vom Para-Sport erfuhr, sei für sie klar gewesen, dass sie weiter im Leistungssport tätig sein möchte. „Ich brauche den Wettkampf. Ich habe immer gesagt, wenn ich keine Turniere mehr reite, dann reite ich nicht mehr“, sagt sie. Als sie dann ihr Pferd LaBoum kaufte, sei ihr Ziel gewesen, mit der Stute in Tokio zu reiten – und das tat sie dann auch.

Reiten – die beste Therapie

Heute reitet Dresing nicht nur aus Leidenschaft und Spaß am Wettbewerb, sondern auch, um sich möglichst gesund zu halten. Für Menschen, die mit Multipler Sklerose leben, scheint reiten fördernd zu sein. Auch wenn es keinen erforschten Zusammenhang zwischen der Krankheit und der Sportart gibt, ist auffällig, dass im Para-Reitsport viele an Multiple Sklerose erkrankte Athletinnen und Athleten teilnehmen. So sind bei den Deutschen außer Dresing unter anderem Medaillengewinnerin Mispelkamp und die ursprünglich für Paris eingeplante Martina Benzinger von Multiple Sklerose betroffen.

Doch nicht nur physisch kann der Reitsport helfen. Auch für die mentale Gesundheit sei er dienlich, so Dresing. Die mentale Gesundheit kann durch die Zusammenarbeit mit den Tieren gefördert werden. Für Dresing ist Reiten die beste Medizin. „Pferde sind Therapie für meinen Körper und meine Seele“, sagt sie. Laut verschiedenen Studien werden bei zwischen einem Drittel und der Hälfte von Menschen, die an Multipler Sklerose erkranken, depressive Symptome diagnostiziert. Seit 1970 wird therapeutisches Reiten in Deutschland nicht nur anerkannt, sondern auch organisatorisch unterstützt.

Dresing weiß, dass nicht jeder so eine positive Lebenseinstellung und Erlebnisse hat, wie sie. Deshalb versuche sie, Mut zu machen, Leuten mit ihrer Erkrankung zu zeigen: „Das kannst du ändern, damit es dir besser geht.“

Auch sie leide immer wieder unter den Folgen ihrer Erkrankung und sei deswegen auch mal traurig. Aber sie schätzt, dass sie bis 50 fit und gesund war. „Eben, weil ich ein Mensch bin, der in allem immer das Gute sieht, kann ich auch mit meiner Krankheit recht gut umgehen“, sagt sie.

Ihre Lebensenergie ist nichts Neues. Als Dresing ihren 50. Geburtstag feierte, habe sie sich eher wie 30 gefühlt. Nun, mit fast 70 Jahren, fühle sie sich wie 50.

Wie fit die Sportlerin ist, wird ihr oft durch ihren Umkreis klar. Sie berichtet, wie sie mit ihrem vier Jahre älteren Mann und seinen Freunden Kegeln ging. Alles, was sie von der Gruppe zu hören bekam, seien die körperlichen Beschwerden gewesen, die diese hätten. Rücken, Knie oder Schulter – im Alter täte alles weh. „Da habe ich auf der Kegelbahn gestanden und gedacht: Gott sei Dank, ich habe nur Multiple Sklerose! Und habe gekegelt“, sagt sie.

Heidemarie Dresing möchte ein Vorbild sein und zeigen: Wenn man 70 ist, ist man noch nicht alt. Die Athletin reitet nicht nur, sondern macht auch Gymnastik, um gelenkig und beweglich zu bleiben. Auch das Klavierspielen begann sie noch im Alter von 60 Jahren zu lernen.

Unabhängig von ihrer Erkrankung findet sie: Mit 80 kann man immer noch reiten. „Wo ist das Problem? Das geht sehr wohl. Und das will ich auch anderen Menschen vermitteln und Botschafterin sein“, sagt sie.

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