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Grund zum Jubeln: Denise Herrmann (links) und Laura Dahlmeier feierten im vergangenen Winter zusammen Erfolge.

© Sven Hoppe/dpa

Biathlon-Frauen ohne Laura Dahlmeier: Die Zeit der Ausnahmetalente ist vorbei

Wer tritt in die Fußstapfen von Laura Dahlmeier? Eine neue Überfliegerin ist nicht in Sicht. Die deutschen Biathletinnen glauben dennoch an weitere Erfolge.

Ihre Ausrüstung war diesmal eine Nummer kleiner als in all den Jahren zuvor. Keine Langlaufskier, keine Stöcke, und den Schaft ihres Gewehrs hatte sie ohnehin bereits im Frühjahr versteigert. Nein, als Arbeitsgeräte reichten Laura Dahlmeier diesmal ihre beiden Laufschuhe.

Am Tag vor dem großen Rennen trocknete sie ihre durchgeweichten Treter an einem schnöden Gasofen, dann ging es für sie hinauf in die patagonischen Berge: knapp 42 Kilometer und mehr als 2000 Höhenmeter über Stock und Stein, über Flussquerungen und Schneefelder, steile Anstiege hinauf und wieder hinunter.

Laura Dahlmeier hinterlässt eine große Lücke

Deutschlands erfolgreichste Biathletin der vergangenen Jahre hat sich nach ihrem Rücktritt im Mai neue Herausforderungen gesucht. Vor zwei Wochen startete sie bei der Berglauf-WM in Villa la Angostura, Argentinien. Ihre früheren Kolleginnen versammeln sich an diesem Samstag (13.10 Uhr/ARD und Eurosport) zum Auftakt des Biathlon-Weltcups in Östersund, Schweden. Laura Dahlmeier wird dann nicht mehr mit dabei sein – und hinterlässt eine große Lücke.

„Sie ist einfach ein Kraftpaket“, sagt Kristian Mehringer, ihr ehemaliger Trainer, der die neuen Wege der 26-Jährigen verfolgt hat. „Sie liebt solche Herausforderungen.“ Vor dem vergangenen Winter hat Mehringer das Team der deutschen Biathlon-Frauen als Bundestrainer übernommen und Dahlmeiers Abschiedssaison begleitet.

Nun hat der 38-Jährige die Aufgabe, das Team in eine neue Ära zu führen. In eine Ära ohne die alles überstrahlende Ausnahmeathletin Dahlmeier, die zweimal Gold bei Olympischen Winterspielen gewann und siebenmal Weltmeisterin wurde.

Ein Hang zum Quälen: Laura Dahlmeier suchte sich mit der Berglauf-WM in Argentinien eine neue Herausforderung.
Ein Hang zum Quälen: Laura Dahlmeier suchte sich mit der Berglauf-WM in Argentinien eine neue Herausforderung.

© Patagonia Eventos/dpa

„Natürlich ist es ein Verlust für unsere Mannschaft, die Leaderin zu verlieren“, sagt Mehringer. „Aber wir sehen es auch positiv für die anderen Athletinnen, weil sie sich jetzt in den Vordergrund spielen können.“ Das Team für die anstehende Saison schätzt er als nicht viel weniger leistungsfähig als im vergangenen Winter ein.

Das hängt auch damit zusammen, dass Dahlmeier dort schon nicht mehr ganz so groß auftrumpfte wie in den Jahren zuvor. Die Oberbayerin plagte sich lange mit Verletzungen und Krankheiten herum und büßte dadurch viel von ihrer Leistungsfähigkeit ein – für zwei Bronzemedaillen bei der Weltmeisterschaft in Schweden reichte es trotzdem noch.

Andere rückten damals in den Vordergrund. Allen voran Denise Herrmann: Die 30-Jährige holte sich mit Gold in der Verfolgung, Silber in der Mixed-Staffel und Bronze im Massenstart gleich den kompletten Medaillensatz ab. Auf ihr ruhen in diesem Winter die größten Hoffnungen des deutschen Teams.

Denise Herrmann gilt als die beste Läuferin des Feldes

„Denise ist wegen ihrer konditionellen Fähigkeiten im letzten Jahr auf der Strecke eigentlich fast schon unschlagbar gewesen“, sagt Mehringer. Herrmann wechselte erst vor drei Jahren vom Langlauf zum Biathlon und gilt auch deshalb als die beste Läuferin des Feldes.

Ob die 30-Jährige weit vorne landet, hängt deshalb umso mehr von ihrer Leistung mit dem Gewehr ab. Mehringer gibt sich optimistisch: „Schießtechnisch hat sie sich in ihren Abläufen noch einmal verbessert“, sagt er. „Aber natürlich können wir nicht zu viel von ihr verlangen. Sie ist keine Laura Dahlmeier, die am Schießstand immer ihre null Fehler schießt.“

Ziel erreicht: Laura Dahlmeier (links) und Denise Herrmann holten im vergangenen Winter gemeinsam WM-Medaillen.
Ziel erreicht: Laura Dahlmeier (links) und Denise Herrmann holten im vergangenen Winter gemeinsam WM-Medaillen.

© Sven Hoppe/dpa

Der Name Dahlmeier ist eben immer noch sehr präsent im deutschen Team. Kontakt zu ihr besteht nach wie vor, auch deshalb, weil Dahlmeier eine Trainerlizenz in Angriff nehmen will. In der Vorbereitung nahm sie auch an einem Lehrgang teil. Doch laufen und schießen müssen jetzt die anderen.

Das sieht auch Fritz Fischer so. „Es hilft nichts, wenn wir jammern“, sagt der frühere Bundestrainer und Olympiasieger. „Laura hat die anderen mit ihren Erfolgen auch immer ein bisschen in den Schatten gestellt. Jetzt haben alle Athletinnen die Chance, richtig Gas zu geben.“

Späher: Der frühere Bundestrainer Fritz Fischer hält jetzt für den DSV Ausschau nach Talenten.
Späher: Der frühere Bundestrainer Fritz Fischer hält jetzt für den DSV Ausschau nach Talenten.

© Sven Hoppe/dpa

Neben Denise Herrmann steht mit Franziska Preuß eine weitere Sportlerin im Team, die in der vergangenen Saison bereits bewiesen hat, dass sie Rennen gewinnen kann. Ihnen beiden traut Fischer regelmäßige Läufe unter die ersten Sechs zu. Bundestrainer Mehringer sieht es ähnlich. „Sie sind die zwei Aushängeschilder“, sagt er.

Die Vorbereitung in Norwegen hat ihn positiv gestimmt: Bei den Vorbereitungswettkämpfen in Sjusjoen belegten Herrmann und Preuß im Massenstart die Plätze zwei und vier. „Wir sind gut dabei“, sagt Mehringer. Das Niveau der vergangenen Saison will er auch nach Dahlmeiers Abschied halten.

Behle, Disl, Wilhelm, Henkel, Neuner, Dahlmeier – und jetzt?

Er weiß, dass das erfolgsverwöhnte deutsche Publikum sich nicht mit Top-10-Platzierungen begnügen wird. Auch im vergangenen Winter war Biathlon wieder der TV-Liebling, mehr als 3,7 Millionen Menschen saßen regelmäßig vor den Bildschirmen.

Das liegt vermutlich auch daran, dass in Deutschland besonders gerne dann eingeschaltet wird, wenn es für deutsche Athletinnen und Athleten etwas zu gewinnen gibt. Und das ist für die deutschen Biathletinnen seit Jahren der Fall. Da gab es Petra Behle und Uschi Disl, Kati Wilhelm und Andrea Henkel, dann kam Magdalena Neuner und zuletzt eben Laura Dahlmeier. Eine Überfliegerin folgte der nächsten.

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„Es gibt immer Sportlerpersönlichkeiten, die eine Generation prägen“, sagt Fritz Fischer. Um zu wissen, auf welche Stufe er dabei Laura Dahlmeier hebt, muss man sich nur einige der Namen vergegenwärtigen, die er innerhalb eines halbstündigen Gesprächs fallenlässt.

Fischer zieht Vergleiche zu Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm, zu Boris Becker und Steffi Graf, spricht über Michael Schumacher und Jan Ullrich, über Marcel Hirscher und Felix Neureuther wie auch über Bernhard Langer und Tiger Woods. „Eine Laura ersetzt du nicht“, ist Fischer überzeugt.

Eine neue Überfliegerin ist für die kommenden Jahre jedenfalls nicht in Sicht. „Wir werden hier in den nächsten Jahren sicher keine neue Magdalena Neuner oder Laura Dahlmeier haben“, sagt Mehringer. „Wir haben keine Ausnahmeathletin, kein Ausnahmetalent mehr. Das sieht man schon an den physiologischen Werten der Sportlerinnen, die in den nächsten sieben oder acht Jahren nachkommen.“

Die Nachwuchssorgen werden größer

Die Nachwuchssorgen im deutschen Biathlon sind zuletzt größer geworden. Kati Wilhelm sprach unlängst sogar von einer „Angst“, mit der sie die Situation beobachte. „Es ist sicher schwieriger geworden“, sagt auch Mehringer. „Sport ist nicht mehr so im Fokus bei jungen Leuten.“

Eigentlich müsse man in die größeren Städte gehen, um weitläufiger Talente zu sichten. Doch Mehringer versteht auch, dass dort die Bereitschaft, sich schon im Kindes- oder Jugendalter von der Familie zu trennen, um auf ein Sportinternat in den Bergen zu wechseln, nicht gerade groß ist: „Sie können da ja auch einen Sport machen, bei dem sie nur zur Haustür rausgehen müssen, und da ist dann schon die nächste Halle oder der nächste Fußballplatz“, sagt er.

Perspektivisch schweben ihm gemeinsame Sichtungstermine der verschiedenen Wintersportdisziplinen vor. Bisher macht das jede Sportart für sich. Im Deutschen Skiverband (DSV) arbeite man gerade an einem Konzept, berichtet Mehringer. Es gehe darum, „dass die Kinder überhaupt erst mal vom Wintersport fasziniert werden“.

Volltreffer: Kristian Mehringer betreut die deutschen Biathlon-Frauen in seiner zweiten Saison.
Volltreffer: Kristian Mehringer betreut die deutschen Biathlon-Frauen in seiner zweiten Saison.

© Hendrik Schmidt/dpa

Das hält auch Fischer für den Weg der Zukunft. Als Talentscout für den DSV baut er zudem auf die Sogwirkung weiterer Erfolge: „Wenn wir erfolgreiche Sportlerinnen haben wie Laura Dahlmeier oder jetzt Denise Herrmann, dann glaube ich, ist das eine oder andere Kind auch wieder motivierter“, sagt der 63-Jährige.

Doch auch die anderen Nationen hätten Probleme, betont Mehringer. „Die haben auch zu kämpfen, dass sie überhaupt noch vier, fünf gute Leute an den Start bringen“, sagt er. Der Bundestrainer erwartet deshalb, dass das Feld in Zukunft noch enger zusammenrückt – und sieht darin die Chance, auch weiterhin erfolgreich zu sein.

Kristian Mehringer hat den Stil verändert

„Weil die Ausnahmeathletinnen nicht mehr da sind, sind alle auf einem ähnlichen Niveau. Und da entscheiden dann nur noch Nuancen“, sagt Mehringer. „Wir können mit den Athletinnen, die wir haben, also auch erfolgreich sein, aber dafür müssen wir wirklich konsequent und knallhart arbeiten.“

Das Training soll den Unterschied machen. Mehringer hat seit seiner Amtsübernahme vor mehr als einem Jahr den Stil verändert. Er wird für seine kommunikative Art gelobt und setzt noch mehr auf die Eigenverantwortung seiner Athletinnen.

Ob das reicht, um weiterhin in ähnlichen Dimensionen unterwegs zu sein wie in den vergangenen Jahren, kann niemand genau sagen. Die Leistungen könnten stärker schwanken. Doch Mehringer und Fischer geben sich beide entspannt. Erst mal abwarten, ist die Devise, passieren kann ja vieles. Oder wie es Fischer ausdrückt: „Man weiß ja auch nie, ob es im nächsten Jahr noch so viel Schnee gibt wie im letzten Jahr.“

Leonard Brandbeck

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