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Ein Gespür für Tore und ein Auge für Talente: Zum Tod der französischen Fußballlegende Bernard Lacombe
Als Stürmer erzielte er Tor um Tor, als Funktionär machte er Olympique Lyon zu Frankreichs führendem Fußballklub. Jetzt ist Bernard Lacombe mit 72 Jahren verstorben.
Stand:
Als Dieter Müller im Sommer 1982 vom VfB Stuttgart zu Girondins Bordeaux in die erste französische Liga wechselte, da waren die Umstände alles andere als günstig. Müller selbst hatte sich nichts zuschulden kommen lassen – außer dass er Deutscher war. Im Sommer 1982 stellte das aus Sicht der Franzosen einen, nun ja, gewissen Makel dar.
Schuld daran war Müllers früherer Kölner Teamkollege Toni Schumacher. Der Torhüter der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hatte im Halbfinale der Weltmeisterschaft den Franzosen Patrick Battiston, Müllers künftigen Kollegen in Bordeaux, mit seinem Becken ins Krankenhaus gerammt. Die feinfüßigen Franzosen scheiterten schließlich im Elfmeterschießen, die Deutschen zogen ins Finale ein.
Die Folgen bekam Müller in der neuen Saison zu spüren, wenn er mit Girondins in fremden Stadien spielte. Er musste wütende Pfiffe über sich ergehen lassen, was angesichts der Vorgeschichte nicht unerwartet kam. Unerwartet war eher, wie gut der Neue aus Deutschland auf Anhieb mit Bernard Lacombe, seinem Nebenmann im Sturm, harmonierte.

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Nach Müllers Verpflichtung hatten sich viele gefragt, wie das gehen solle mit zwei echten Mittelstürmern in einer Mannschaft, wie Bordeaux‘ Trainer Aimé Jacquet dieses Problem wohl lösen würde. Dass er es löste, hat Dieter Müller in seiner Autobiografie als „die große taktische Meisterleistung von Jacquet“ bezeichnet.
Müller und Lacombe, zwei ähnliche Stürmertypen, funktionierten auf Anhieb – weil sie sich mit der Situation arrangierten: Wenn der eine in der Spitze blieb, ließ sich der andere ins Mittelfeld fallen. Oder umgekehrt. Drei Jahre lang hätten beide „ein außergewöhnliches Sturmduo“ gebildet, hat sich ihr früherer Mitspieler Gernot Rohr in der französischen Sportzeitung „L’Équipe“ erinnert.
In ihrer gemeinsamen Zeit bei Girondins erzielten Müller und Lacombe zusammen mehr als 100 Tore. Zweimal wurden sie Meister. Im Europapokal der Landesmeister, dem Vorläufer der Champions League, schafften sie es 1985 bis ins Halbfinale und scheiterten nur denkbar knapp am späteren Titelträger Juventus Turin.
In der Saison zuvor hatte Bordeaux erstmals nach 34 Jahren wieder die Meisterschaft gewonnen. Erst am vorletzten Spieltag war die Mannschaft in der Tabelle an ihrem Konkurrenten AS Monaco vorbeigezogen. Am finalen Spieltag machte Girondins den Titel mit einem 2:0 bei Stade Rennes perfekt. Das 1:0 erzielte Lacombe, das 2:0 Müller.
Dass es mit den beiden Mittelstürmern so gut funktionierte, lag womöglich nicht nur an Jacquet, der 1998 als Trainer mit Frankreich Weltmeister wurde. Es lag vielleicht auch daran, dass Bernard Lacombe „ein echtes Ass“ war, wie Müller in seiner Autobiografie geschrieben hat. Und laut Gernot Rohr „ein großartiger Teamkollege“.
Mit 17 debütierte er in der Ersten Liga
Seine Erfolge jedenfalls sprechen für sich: Mit 255 Toren in 497 Spielen für Lyon, St. Etienne und Bordeaux ist Lacombe der zweitbeste Stürmer in der Geschichte der Ligue 1. Nur der Argentinier Delio Onnis (299 Tore) hat noch mehr Tore in Frankreichs Erster Liga erzielt.
Mit Bordeaux und seinem Heimatverein Olympique Lyon, für den er bereits mit 17 Jahren debütierte, gewann Lacombe je dreimal die Meisterschaft und den französischen Pokal. Dazu wurde er mit der legendären französischen Nationalmannschaft um Michel Platini 1984 Europameister.
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Bei der EM im eigenen Land kam der Mittelstürmer in vier der fünf Spiele zum Einsatz, ein Tor erzielte er allerdings nicht. Das ist bezeichnend. Ähnlich wie bei Dieter Müller, der nur zwölf Länderspiele bestritten hat, nimmt sich auch Lacombes Nationalmannschaftskarriere im Vergleich zu seiner Bilanz im Verein eher bescheiden aus.
Offiziell war er Berater des Präsidenten
In 38 Länderspielen hat Lacombe zwölf Tore erzielt. Und trotzdem hat er zumindest einmal Geschichte geschrieben. Bei der WM 1978 in Argentinien traf er im ersten Gruppenspiel gegen Italien schon nach 38 Sekunden zum 1:0. „Un but sensationnel“, sagte der Reporter des französischen Fernsehens nach Lacombes Kopfballtreffer gegen Dino Zoff. Ein sensationelles Tor.
Aber Frankreich verlor das Spiel noch 1:2 und schied nach einer weiteren Niederlage gegen den Gastgeber und späteren Weltmeister Argentinien bereits nach der Vorrunde aus. Lacombe staubte immerhin eine wertvolle goldene Uhr ab, die als Prämie für das erste Tor der WM ausgelobt worden war. Getragen hat er sie nie.

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Nach seiner Karriere als Spieler kehrte Lacombe dorthin zurück, wo alles angefangen hatte: zu dem Verein, dessen Fan er einst selbst gewesen war. Der frühere Mittelstürmer wurde Sportdirektor von Olympique Lyon und führte den Klub mit seinem ehemaligen Mitspieler Raymond Domenech als Trainer zurück in die Erste Liga. Später arbeitete Lacombe selbst als Trainer, ehe er sich in die zweite Reihe zurückzog. Fast so wie einst im Sturm von Girondins an der Seite von Dieter Müller.
Offiziell fungierte Bernard Lacombe nur als Berater für Lyons Präsidenten Jean-Michel Aulas. Trotzdem war er maßgeblich an Olympiques Aufstieg zu Frankreichs führendem Fußballklub zu Beginn des Jahrtausends beteiligt. So wie er als Stürmer ein Gespür für Tore besessen hatte, hatte er in seiner zweiten Karriere vor allem ein Auge für Talente.
Lacombe irrte selten. Den Brasilianer Juninho, eine der prägenden Figuren in Lyons großer Zeit mit sieben Meistertiteln (2002 bis 2008) nacheinander, verpflichtete er nach Ansicht einer VHS-Videokassette. Das reichte ihm.
Am Dienstag ist Bernard Lacombe im Alter von 72 Jahren nach langer Krankheit verstorben. Jean-Michel Aulas, der ihm viel zu verdanken hatte, sagte der „L’Équipe“: „Er war einer der größten Fußballer, die Frankreich je gesehen hat. Aber er war auch ein guter Mensch, der Gutes tun wollte.“
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