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Elfmeter-Spektakel bei der EM: England und das unerschütterliche Vertrauen, am Ende zu gewinnen
Der Titelverteidiger taumelt im Viertelfinal-Drama gegen Schweden, aber setzt sich am Ende durch. Es ist der Mix aus Nervenstärke, Spielglück und Selbstsicherheit, der England bei dieser EM zum Titel führen könnte.
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Zu den Kernkompetenzen einer Torhüterin gehört es, Bälle zu halten. Bewertet man die Leistung von Jennifer Falk nach diesem Maßstab, hat sie am Donnerstagabend in Zürich eine überragende Leistung gezeigt. Immerhin hielt die Schwedin ganze vier Elfmeter im EM-Viertelfinale gegen England.
Diese Einschätzung ist aber nur vollständig, wenn an dieser Stelle auch erwähnt wird, dass sie es war, die mit ihrem verschossenen Elfmeter den Sieg für Schweden aus der Hand gab. „Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich sagen soll, es fühlt sich im Moment einfach sehr schwer an“, sagte sie nach diesem denkwürdigen Spiel. Es sei nicht geplant gewesen, dass sie als fünfte Schützin antritt, Trainer Peter Gerhardsson gingen allerdings die fitten Spielerinnen aus.
Der 65-Jährige, für den es nach acht Jahren das letzte Spiel als Nationalcoach war, suchte ebenfalls nach Worten für die bittere 2:3-Niederlage: „Das ist Fußball, man kann nichts vorhersehen.“ Neben Torhüterin Falk scheiterten weitere vier Schwedinnen vom Punkt.
Noch immer dürften sie und ihr Team sich fragen, wie es zu dem späten K.o. hatte kommen können. Schließlich spielten die Schwedinnen die Europameisterinnen aus England ganz nah an den Rand der Niederlage. „Ich kann mich an kein Spiel erinnern, das diesem gleich kommt“, sagte Englands Trainerin Sarina Wiegman, die noch Stunden nach dem Spiel „sehr emotional und aufgekratzt“ gewesen sei. „Wenn man so viele Elfmeter verschießt, dann denkt man jedes Mal, das war’s… Ich muss erstmal runterfahren.“
Ein Grund für den Sieg heißt Hannah Hampton – ausgerechnet. Die 24-jährige Torfrau des FC Chelsea war bei der WM vor zwei Jahren noch aus dem Kader geflogen, folgte bei diesem Turnier aber auf die degradierte Mary Earps. Mit mehreren Glanzparaden in der regulären Spielzeit und zwei parierten Elfmetern nach der Verlängerung trotzte sie allen Kritikern in England, die sie unter anderem aufgrund ihrer Sehschwäche infrage gestellt hatten.
Die Mädels standen sehr hinter mir, weil sie wussten, wie schwer es für mich war.
Hannah Hampton, englische Nationaltorhüterin
„Mir wäre es aufgrund des Stressfaktors lieber gewesen, wenn wir nicht bis ins Elfmeterschießen gemusst hätten, aber jetzt sind wir sehr glücklich“, sagte Hampton und fügte hinzu: „Die Mädels standen sehr hinter mir, weil sie wussten, wie schwer es für mich war.“ Auch Trainerin Wiegman fand lobende Worte für ihre Torfrau. „Sie hat heute einen riesigen Beitrag geleistet.“
Schweden führte früh mit zwei Toren
Lange hatte es danach ausgesehen, dass England im Viertelfinale ausscheiden würde. Schon nach 25 Minuten führte Schweden nach Toren von Kosovare Asllani und Stina Blackstenius mit 2:0, weil Englands Verteidigung wieder einmal gegen eine starke Offensive im Chaos versank. Das englische Team schien Schweden nicht unbedingt unterschätzt, sich selbst aber überschätzt zu haben. Ohne klaren Plan im Angriff gelang dem englischen Team bis zur 73. Minute – abgesehen von einem Lattentreffer von Lauren Hemp – kein einziger Torschuss mehr.
Was die Engländerinnen letztlich ins Halbfinale gegen Italien brachte, das am Dienstag in Genf stattfindet, ist diese mitunter ungerechtfertigte Gewissheit, das Spiel noch zu drehen. Trotz aller sichtbaren Beweise dagegen, vertraut das Team von Wiegman darauf, dass am Ende alles gut gehen wird. Dafür sprechen auch die späten Einwechslungen der Trainerin.
Die 55-Jährige sollte mit ihrer Zuversicht erneut recht behalten. Die Einwechslungen von Michelle Agyemang und Chloe Kelly, die das 1:2 durch Lucy Bronze mit einer Flanke vorbereitete und auch das 2:2 durch Agyemang initiierte, waren letztlich entscheidend.
Dadurch entstand eine schwer zu erklärende Dynamik der Engländerinnen, die spätestens im Elfmeterschießen negativ auf Schweden abzufärben schien. Und so waren es die Schwedinnen, die dem Druck nicht standhielten. „Wir geben niemals auf und sind nie fertig. Die Aufholjagd, die Qualität, das Spiel zu drehen und die Mentalität sind einfach unglaublich“, sagte Englands Kapitänin Leah Williamson.
Ihr Team tritt bei dieser Endrunde mit keiner ausgefeilten Spielphilosophie auf und hält nun dennoch alle Zügel in der Hand, zum dritten Mal in Folge in ein EM-Finale einzuziehen. Weil es zur Not auch 120 Minuten durchhält und darauf vertraut, dass es am Ende gewinnt. Und vielleicht ist gerade das die entscheidende Qualität, die einen Titelanwärter ausmacht.
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