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Eröffnungsfeier in Paris: Die Ästhetisierung des Para-Sports
Die Paralympics in Paris beginnen mit einem schrillen und konfrontativen Abend, der sich seiner politischen Verantwortung selbstbewusst stellt.
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Die Paralympics stehen unter besonderer Beobachtung. Seitdem sie 1960 in Rom ins Leben gerufen worden sind, ist der Wettkampf internationaler Sportlerinnen und Sportler mit Beeinträchtigungen eine Veranstaltung, in deren Markenkern die Verbindung von Sport und gesellschaftspolitischen Anliegen steht.
Als am Mittwochabend die Zeremonie am altehrwürdigen Pariser Place de la Concorde beginnt, dürfen die 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauer gespannt sein, welches Zeichen im Zeitalter der politisch aufgeladenen Sportveranstaltungen aus Frankreich in die Welt gesetzt wird.
Dass sich die Veranstalter, allen voran das Internationale Paralympische Komitee (IPC), der Strahlkraft des Abends bewusst sind, war schon im Vorhinein deutlich geworden. Organisationschef Tony Estanguet und der französische Regisseur Thomas Jolly wurden in den letzten Wochen nicht müde, den Stellenwert der Para-Sport-Veranstaltung zu betonen.
Jolly, ein verschmitzt lächelnder, aufgeregter Theatermann, hatte zuvor schon die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele veranstaltet und sich mit einer offensiv queeren Ästhetik positioniert. Auch seine Eröffnungszeremonie für die Paralympics findet zum ersten Mal nicht in einem Stadion statt, sondern mitten in der Stadt.
Eine paralympische Eröffnungszeremonie ästhetisch anzuleiten, ist dabei eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Das, was in der westlichen Welt als Schönheitsideal gilt und seither im Showbetrieb der darstellenden Kunst die Norm ist, beruht weiterhin im Kern auf einem idealisierten Körperbild der Renaissance. Menschen mit Behinderung sind darin per se als herausfallend markiert.
Ein politisch ambitionierter Choreograf sieht sich somit vor der Herausforderung, die sogenannte Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen so zu inszenieren, dass daraus ein Schauwert entsteht, der ein Millionenpublikum vor den Bildschirmen über Stunden unterhält. Soweit zu den Schwierigkeiten.
Fröhlich anarchischer Pulk
Die Ausgangsbedingungen für den gut vierstündigen Mittwochabend in Paris sind dabei keineswegs ungünstig. Anders als bei der Eröffnung der Olympischen Spiele bleibt der Starkregen aus, die angereisten Zuschauerinnen und Zuschauer betreten das Stadion unter freiem Himmel und angenehmer Abendsonne, die die imposanten Sandsteintempel der Pariser Innenstadt traumhaft beleuchtet.
Acht schwarze Flügel sind rund um den ägyptischen Obelisken im Zentrum des Place de la Concorde angeordnet, an denen um kurz nach acht schwarz gekleidete Tänzer virtuos herumtanzen und -turnen, die unmittelbar davor auf die Bühne gestürmt sind. Das Zusammenspiel aus gekonnter körperlicher Verrenkung und den disharmonischen Tönen, die dabei entstehen, bieten eine schräge Anmutung. Es folgen Discolicht, Dubstep Musik und Partystimmung rund um das mittelalterliche Bauwerk.

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Treu des im Vorhinein von den Veranstaltern veranschlagten Mottos des Abends „Paradox“, startet die mit Ticketpreisen rund um 400 Euro durchaus kostspielige Veranstaltung schrill und konfrontativ. So geht es auch nach dem Einzug der Delegationen rund um die deutschen Fahnenträger Edina Müller und Martin Schulz weiter.
Der Tenor auf der Bühne: schwarze, maskierte Mehrheitsgesellschaft in Aversion zu einer bunt gekleideten Gruppe von Menschen mit Behinderungen. Der rote Faden zeigt, wie die zuerst dunkel gekleidete Gruppe sich Stück für Stück in Auseinandersetzung mit den Menschen mit Beeinträchtigungen begibt, diese mehr und mehr selbst ins Tanzen und Choreografieren übergehen, bis es um Mitternacht in einen weiß gekleideten, fröhlich anarchischen Pulk mündet. Es wird ausgelassen gefeiert, Krücken und glitzernde Rollstühle fliegen im Dunkel der angebrochenen Nacht durch die Lüfte.
Ermutigende und stolze Botschaften
Dem künstlerischen Team gelingt es somit durchaus: eine Ästhetisierung des Para-Sports. Trotz all dieser Bemühungen um eine künstlerisch, gesellschaftliche Opposition merkt man dem Abend vor allem an seinen Längen an, dass er im Kosmos einer vollständig durchökonomisierten Olympiablase stattfindet. Bei einem fetischisierten Umgang mit dem paralympischen Feuer wechselt die Fackel allein auf dem Place de la Concorde noch fünfmal die Hände. Dazu unzählige Radionummern, die der französische Musiker DJ Mud bei den Einzügen der insgesamt 164 Delegationen einspielt, um das Publikum bei Laune zu halten.

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IPC-Präsident Andrew Parson und Tony Estanguet betonen in ihren Reden jeweils die gesellschaftsverändernde Kraft der Paralympics, sprechen sogar von einer „Revolution der Inklusion“, die aus der Veranstaltung heraus beginnen werde. In Einspielvideos sprechen Menschen mit Behinderungen ermutigende und stolze Botschaften rund um das Leben mit einer Beeinträchtigung aus. Sie üben aber auch Kritik am Status Quo und den Stigmata, denen sie sich ausgesetzt sehen.
So bleibt ein Abend, der sich seiner politischen Verantwortung sowohl künstlerisch als auch organisatorisch selbstbewusst stellt. Es gibt einige inhaltlich vage und viele musikalisch überladene Elemente – und selbstverständlich sind vier Stunden viel zu lang. Aber während dieses Abends im Pariser Spätsommer ist dabei erstaunlich viel gelungen und kraftvoll erzählt worden.
Die Spiele beginnen mit einem Appell für Inklusion und einer Entstigmatisierung vom Leben mit Beeinträchtigungen!
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