zum Hauptinhalt
Ein Einwohner von Katar spielt mit einem Fußball.

© picture alliance/Mikhail Aleks

Fußball-Weltmeisterschaft 2022: In Katar ist die WM eine Frage nationaler Sicherheit

Saudi-Arabien setzt Katar seit Jahren unter Druck. Politikwissenschaftler Danyel Reiche über die WM im Emirat, die Chancen für Frauen und Ähnlichkeiten zur DDR.

Herr Reiche, offenbar hat die Fußball-WM in Russland das Selbstwertgefühl der Bevölkerung gesteigert. Strebt Katar Ähnliches auch für die WM in vier Jahren an?

Ich halte das für unwahrscheinlich. Die politischen Ziele beider Staaten sind zu verschieden, auch wenn es sich um zwei autokratische Systeme handelt.

Können Sie das erläutern?

Russland ging es um das innenpolitische Signal: dass man wieder zu alter Größe findet. Bei Katar ist das anders. Katar hat nur 2,3 Millionen Einwohner, nur jeder Zehnte davon ist gebürtiger Katari. Und die Privilegien der Staatsbürger sind derart groß, für die braucht es keine Fußball-WM. Identifikation ist für Katar völlig irrelevant.

Worum geht es dann?

Für Katar ist die Fußball-WM vor allem ein Instrument nationaler Sicherheit.

Wie meinen Sie das?

Da muss man etwas ausholen. Katar hat zwar durch die Gasvorkommen sehr viel Geld. Von der Fläche und auch vom militärischen Potenzial ist es aber ein winziges Land, das von den mächtigen Nachbarstaaten Iran und Saudi-Arabien umgeben ist. Der Konflikt mit den Saudis hat eine lange Tradition, er besteht nicht erst, seit Saudi-Arabien, Ägypten und einige mehr im Juni 2017 wegen mutmaßlicher Unterstützung des Terrors gegen Katar eine Land-, See-und Luftblockade verhängt haben. Es ist deshalb die Urangst Katars, dass es dem Land wie Kuwait 1990 mit dem Irak ergeht: dass der übermächtige Nachbar einmarschiert und die USA zur Befreiung anrücken müssen. Um sich davor zu wappnen, setzt Katar alles auf gute Kontakte: dass klar ist, im Ernstfall eilt jemand zu Hilfe – und sich Saudi-Arabien deshalb erst gar nicht traut, gegen Katar militärisch vorzugehen.

Und dafür taugt die Ausrichtung von Sportereignissen?

Der Sport im Allgemeinen, ja. In der Politikwissenschaft sprechen wir hier von einer „Soft Power“-Strategie. Die Ausrichtung sportlicher Großereignisse ist nur eine der drei Säulen: Auch die Investition in Klubs wie Paris St. Germain und den FC Barcelona gehört dazu. Der Rekord- Transfer des Brasilianers Neymar für 222 Millionen Euro nach Paris erfolgte vergangenes Jahr zum Beispiel unmittelbar nach der Saudi-Blockade. Damit hat Katar die mediale Erzählung über das Land in der Welt direkt neu gestaltet.

Man lenkt also mit sportlichen Schlagzeilen von der Politik ab. Das hat die DDR im Kalten Krieg genauso gemacht, oder?

Das kann man nur eingeschränkt vergleichen. Der DDR ging es darum, sich überhaupt auf die politische Landkarte zu setzen – immer im Schatten, aber auch unter dem Schutz des großen Bruders Sowjetunion. Bei Katar geht es, wenn man so will, ums politische Überleben.

Großereignisse und Investitionen als Machtmittel haben Sie schon genannt. Was ist die dritte Säule?

Das ist die schwierigste: Man muss im Land eine Sportkultur entwickeln.

Aber funktioniert so etwas mit Großereignissen wie einer Fußball-WM?

Ein Zusammenhang zwischen Leistungs- und Breitensport ist nicht nachgewiesen. Katar gehört weltweit zu den Nationen mit der höchsten Übergewichtsrate. Mit der Ausrichtung der Events wirbt es zwar für eine gesündere Gesellschaft. Dass sich eine höhere Sportbeteiligung durch Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele im eigenen Land erreichen lässt, ist aber nur ein Mythos.

Das Argument wird aber auch im Westen immer wieder für die Bewerbung um Olympische Spiele angeführt. Was Sie sagen, spricht nicht unbedingt für eine weitere Bewerbung Deutschlands, oder?

Bei Aufwand und Ertrag ist die Horrorliste von Sportveranstaltungen der Vergangenheit ziemlich lang. Als Positivbeispiele Olympias kann man nur Los Angeles 1984 und Barcelona 1992 nennen. Montreal 1976 dagegen hatte die Schulden der Spiele erst nach 30 Jahren abbezahlt. Aber für Katars Gesellschaft ist das nicht der Kernpunkt. Die Frage ist, inwiefern die WM vor dem Hintergrund der politischen Bemühungen zu gesellschaftlicher Veränderung beitragen kann.

Haben Sie schon eine Antwort darauf?

Katar ist darauf angewiesen, als attraktiv und sympathisch wahrgenommen zu werden. Da spielen die Erwartungen und Werte westlicher Länder eine enorme Rolle. Das Land ist da deutlich gesprächsbereiter als andere in der Region. Ein Beispiel: Ein Student von mir wollte für seine Masterarbeit nach Bahrain reisen. Er wurde noch am Flughafen abgewiesen, weil die Behörden kritische Social-Media-Posts von ihm ausfindig gemacht hatten. Das wäre ihm in Katar nie passiert. Das Land ist viel offener für Auseinandersetzungen mit Kritikern. Es weiß, dass es sich reformieren muss, wenn es in der westlichen Welt anerkannt werden will.

Wie soll das konkret aussehen?

Das Bildungssystem hat Katar in den vergangenen Jahren schon erheblich ausgebaut. Frauen arbeiten häufiger. Sie treiben Sport. Vor nicht allzu langer Zeit hat man sich noch lustig gemacht, weil es nur Walkinggruppen in den klimatisierten Shoppingmeilen von Doha gab. Seit der Vergabe der WM gibt es in Katar überhaupt so etwas wie Frauenfußball – und das Interesse daran wächst.

Das klingt alles so schön. Kann Fußball tatsächlich die Welt verändern?

Ich halte es im Fall Katar für sehr wahrscheinlich. Sicher verwandelt sich eine islamische Kultur nicht über Nacht. Die frühere Nationaltrainerin Katars hat mir erzählt, dass Familien ihre Mädchen inzwischen unterstützen, wenn sie Fußball spielen wollen. Aber die Reise zum Nationalteam verbieten sie ihren Töchtern – weil die Väter sagen: Da gucken Männer zu. Auch die Vielehe wird bis 2022 bestimmt nicht abgeschafft. Aber Katar weiß um die Bedeutung westlicher Werte für seine Anerkennung, da gehört auch das Frauenbild dazu. Das Land wird einen Mittelweg zwischen den Kulturen finden.

Frauenrechte sind ein Thema. Auch die Bedingungen von Gastarbeitern auf den Baustellen der WM-Stadien – inklusive bekannt gewordener Todesfälle – sieht man im Westen mit Sorge.

Ich glaube, man hat in Katar verstanden, dass dieses Thema die Öffentlichkeit in westlichen Ländern sehr beschäftigt. Ohne Besserung in diesem Bereich wird Katar seine außenpolitischen Ziele nicht erreichen. Es gibt auch schon erste Schritte: Die katarische Regierung hat zugestimmt, dass eine Vertretung der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Doha eröffnet wird und die versprochenen Reformen überwachen soll.

Was heißt das konkret?

Bislang brauchte jeder Gastarbeiter einen Kafala, einen Bürgen, wenn man so will. Im Alltag waren diese Kafalas aber eher Lehnsherren: Sie konnten die Pässe der Arbeiter einbehalten und den Lohn noch dazu. Dieses System soll abgeschafft werden. Auch einen Mindestlohn für die Gastarbeiter hat Katar in Gesprächen mit der Arbeitergewerkschaft zugesagt.

Geld spielt in Katar ja wirklich keine Rolle. Könnte sich das Land auch eine konkurrenzfähige Auswahl zusammenkaufen?

Das ist mit den Fifa-Statuten nicht so einfach. Aber man hatte ja nach der Vergabe zwölf Jahre Zeit, den Jugendfußball zu entwickeln.

In anderen Sportarten ist Katar weniger zimperlich: 2015 bei der Handball-WM in Doha war faktisch der komplette Kader eingebürgert und es reichte zu Silber.

Das stimmt wohl. In anderen Ländern ist man mit dieser Praktik vorsichtiger. Im russischen Team war dieses Jahr ein einziger Brasilianer dabei, und das war ein Weißer. Angesichts des Rassismus in der russischen Gesellschaft halte ich das für keinen Zufall. Grundsätzlich kann man aber sagen: Dass man Qualität einbürgert, ist ein internationaler Trend. Schauen Sie sich doch unser Eiskunstlaufpaar in Pyeongchang an. Da haben eine gebürtige Ukrainerin und ein Franzose für Deutschland Gold geholt.

Im Kontext der WM 2022 fällt auch immer wieder das Stichwort Korruption. Ein möglicher Stimmenkauf wird von internationalen Gerichten noch immer untersucht.

Es fällt mir schwer, da mit dem Finger auf Katar zu zeigen. Auch die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland ist in der Hinsicht bislang nicht aufgeklärt.

Sie glauben also nicht, dass Katar die WM noch entzogen wird?

Dann hätte man auch Salt Lake City 2002 die Winterspiele wegnehmen müssen.

Die Spiele sind Sache des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Hat man beim Fußball-Weltverband Fifa aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?

Das frühere Vergabesystem – nur wenige Delegierte entscheiden – war für Korruption sehr anfällig. Eine Konsequenz aus der Doppelvergabe an Russland und Katar war nun, dass man das reformiert hat. Es sind nun alle Mitgliedsländer der Fifa stimmberechtigt, das System ist für Stimmenkauf weniger anfällig. Bei der jüngsten Vergabe in Moskau hat mit den USA, Kanada und Mexiko die rationalere Bewerbung den Zuschlag bekommen. So gesehen ist aus dem Debakel 2010 auch etwas Positives entstanden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false