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Eine Schwimmlehrerin bei einer Übung mit einem Mädchen.

© Andreas Klaer

Gleichstellung von Menschen mit Behinderung: Der Wert des Sports wird allgemein unterschätzt

In Deutschland gibt es für Menschen mit Behinderung nur wenige passende Sportangebote. Das liegt an bürokratischen Hürden und mangelnder Kenntnis dessen, was tatsächlich möglich ist.

Stand:

Ein Blick auf die Karte der Sportvereine in Deutschland lässt kaum einen Zentimeter frei. Kein Wunder, bei 86.000 Vereinen.

Rechnet man König Fußball heraus, wird diese Zahl deutlich kleiner – und fügt man der Gleichung noch eine Behinderung hinzu, gibt es plötzlich sehr viel freie Fläche im Bundesgebiet.

Denn es gibt nur 6130 Vereine (Stand 2024) mit Sportmöglichkeiten, die auf die Anforderungen und Belange von Menschen mit Behinderung zugeschnitten sind.

Eine traurige Statistik, wenn man bedenkt, dass etwa 13 Millionen Menschen mit Beeinträchtigung und davon acht Millionen Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland leben. Gar nicht mal so wenige potenzielle Sportlerinnen und Sportler für gar nicht mal so viele Vereine. Mehr als die Hälfte dieser Gruppe treibt aktuell keinen Sport.

Zugegeben, der Sport spielt nicht immer die wichtigste Rolle. Denn ein Teil der 13 Millionen Menschen lebt mit einer sogenannten erworbenen Behinderung, mit einer Behinderung also, die nicht angeboren ist. In diesen Fällen haben sie zunächst andere Prioritäten, und der erste Gedanke gilt nicht unbedingt dem Sporttreiben. Das Familienleben, der Alltag, Beruf und Schule müssen zuerst geregelt werden.

Der Leistungskatalog hat Defizite

Doch irgendwann treten neue Themen in den Vordergrund, auch der Wunsch, sich (wieder) sportlich zu betätigen, kommt bei vielen hinzu. Möglicherweise bedarf es dafür Hilfsmitteln wie eines anderen Rollstuhls oder einer Prothese. Hier sind die Versicherungen gefragt. Doch der Leistungskatalog der Träger hat hier eine entscheidende Einschränkung: Er gilt nur bis zur Volljährigkeit beziehungsweise dem Ende der Schulzeit.

Dabei wollen die allermeisten Menschen sich mehr bewegen, um gesünder zu sein. Für Benedikt Ewald, Direktor Sportentwicklung des Deutschen Behindertensportverbandes, liegt das größte Dilemma genau darin. „Dabei geht es nur um ‚Laufen aus Gesundheitsgründen‘, was einer behinderten Person durch den Nicht-Zuspruch von Hilfsmitteln verwehrt wird und somit Menschen mit Behinderung vom Sport ausschließt.“

Eltern und Lehrer wissen oft nicht, was es gibt, oder was die Behinderung des Kindes zulässt.

Janne Engeleiter, Landesjugendwartin im Behinderten- und Rehabilitationssportverband Brandenburg

Die Argumentation, dass wer sich mehr bewegt, weniger krank wird und dadurch das Gesundheitssystem entlastet, greift hier nicht. Insgesamt werde der gesundheitswirksame Wert des Sports unterschätzt, sagt Ewald, vor allem bei Menschen mit Behinderung. Die Wirkung von Prävention lasse sich leider nur schwer belegen.

Doch geht es nur darum? Aktuell findet das Thema auch über Petitionen seinen Weg in den Bundestag. Was es aber zusätzlich braucht, sind entsprechend geschulte Trainerinnen und Trainer. Nicht immer geht es nur darum, dass Übungen abgewandelt werden müssen. Mindestens genauso wichtig ist es zum Beispiel, die Anzeichen für einen epileptischen Anfall zu erkennen. Nur so wird das Training für alle Beteiligten entspannt und bringt den gewollten Effekt.

13
Millionen Menschen leben in Deutschland mit einer Beeinträchtigung.

Der Idealfall könnte so aussehen: Das Wurftraining läuft, der Trainer gibt Anweisungen, die umgesetzt werden. Währenddessen und fast unbemerkt macht er einen Schritt zur Seite, stellt sich ganz nah zu seinem Athleten und legt kurz seinen Arm um ihn. Und bekommt für diese Geste danach ein ernst gemeintes „Danke“.

Was ist passiert? Im richtigen Moment hat er dem Sportler Ruhe und Vertrauen geschenkt, sodass es erst gar nicht zu einem Anfall gekommen ist. Niemand sonst aus der Trainingsgruppe hat etwas davon mitbekommen. Solche Trainer-Athleten-Beziehungen sind nicht nur im Behindertensport Gold wert.

Zum Glück gibt es solche Trainer und Vereine bereits. Dabei können sie auch Unterstützung von den Landesverbänden erhalten. Im Behinderten- und Rehabilitationssportverband Brandenburg (BSB) gibt es zum Beispiel das Projekt „ParaMove“. Hier treffen sich wöchentlich sportbegeisterte Kinder mit Behinderung und tun, was Kinder so tun: sich ausgelassen bewegen.

Dank geschulter Trainerinnen und Trainer verbessern sie ihre Fähigkeiten und erleben Bewegung in der Gemeinschaft. „Im olympischen Bereich gehen Kinder ganz selbstverständlich in den Sportverein. Das passiert im paralympischen Bereich nicht. Eltern und Lehrer wissen oft nicht, was es gibt, oder was die Behinderung des Kindes zulässt“, sagt Janne Engeleiter, Landesjugendwartin des BSB.

Aber 6130 Vereine und viele Übungsleiterinnen und -leiter sind bereit, dies gemeinsam herauszufinden und auch so zusammen Schritt für Schritt Berührungsängste und Vorurteile abzubauen.

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