
© Imago/ZUMA Press Wire
„Sieht gefährlich aus, ist es aber nicht“: Wie Hansi Flick den FC Barcelona wiederbelebt hat
4:1 gegen die Bayern, gar 4:0 im Clásico in Madrid – unter Hansi Flick blüht der katalanische Weltklub wieder auf. Wächst in Barcelona gerade ein neues Wunderteam zusammen?
Stand:
Am Ende gab es noch ein bisschen Zoff. Der Clásico hat schließlich einen Ruf zu verteidigen, das Duell zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona ist mehr als nur ein Fußballspiel. Vielleicht fiel der Jubel von Marcus Sorg nach dem Tor von Raphinha zum 4:0-Endstand der Gäste im Bernabeú deshalb besonders euphorisch aus.
Real-Trainer Carlo Ancelotti jedenfalls war not amused, mit erhobenem Zeigefinger und weit aufgerissenen Augen redete er auf Sorg ein und versuchte damit wohl auch, seinen Frust loszuwerden. Hinterher beklagte Ancelotti, dass sich der Co-Trainer des FC Barcelona nicht wie ein Gentleman verhalten habe und meinte: „Mit Flick gab es kein Problem.“
42 Spiele in Folge hatte Real in der Liga nicht mehr verloren
Genau das allerdings darf bezweifelt werden. Mit Hansi Flick, dem Trainer der Katalanen, hat der Italiener sehr wohl ein Problem. Unter dem neuen Coach liegt Barcelona nach elf Spieltagen in der spanischen Meisterschaft sechs Punkte in der Tabelle vor Real und hat satte 16 Treffer mehr erzielt als der Titelverteidiger.
Die Atmosphäre und die Mentalität im Team sind wirklich gut.
Hansi Flick, Trainer des FC Barcelona
42 Spiele in Folge hatte Ancelotti mit seinem Team in der Liga nicht mehr verloren und dann folgte das, was die spanische Presse am Tag danach wahlweise als „Demütigung“, „Zerstörung“ oder gar „Verwüstung“ bezeichnete.
Vor der Saison hatten viele Experten erwartet, dass Real seine nationale und internationale Vormachtstellung nach der Verpflichtung von Kylian Mbappé noch würde ausbauen und sich Barcelona nach den Turbulenzen um den Abgang von Vereinslegende Xavi erst einmal neu sortieren müsse.
Dazu wurde Hansi Flick durchaus skeptisch betrachtet. Ja, der Deutsche hatte einst mit dem FC Bayern in einer Saison praktisch jeden möglichen Titel gewonnen. Auf dem Weg zum Triumph in der Champions League hatte er mit den Münchnern 2020 gar ein 8:2 gegen Barcelona auf den Rasen gezaubert.
Aber das war schließlich in Zeiten der Corona-Pandemie. Als Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft war er danach einigermaßen krachend gescheitert.
Vor der neuen Saison überwogen so die Zweifel, nicht nur wegen Flick, sondern auch wegen des Barca-Kaders. Robert Lewandowski sei mit 36 Jahren zu alt und über seinen Zenit hinaus, Lamine Yamal ein Riesentalent, aber mit 17 eben auch noch sehr jung und Raphinha, ein Schönwetterspieler, der je nach Lust und Laune auftrumpft oder abtaucht.
Flick lässt ein defensiv mutiges System spielen
Dazu verletzte sich früh in der Saison auch noch Torhüter Marc-André ter Stegen und die Sorgen um die Belastbarkeit der Abwehrformation mehrten sich. Zumal Flick ein System spielen lässt, das gerade in der Defensive sehr mutig ist.
Seine Spieler verteidigen extrem hoch und lassen den Gegner so oft ins Abseits laufen. In dieser Woche war dies beim Sieg gegen die Bayern in der Champions League genauso der Fall wie im Clásico. „Das sieht gefährlich und riskant aus, ist es aber nicht“, sagte Flick darauf angesprochen.
Dem 59 Jahre alten Heidelberger, der auf professioneller Vereinsebene nur die Bayern für anderthalb Jahre trainiert hat, ist es gelungen, den FC Barcelona in nur wenigen Wochen komplett umzukrempeln. Und er hat aus der Not eine Tugend gemacht.
Gern hätte er einen Joshua Kimmich verpflichtet, das ließ sich allerdings nicht umsetzen. Stattdessen überragt im Mittelfeld nun Marc Casado. Für den für viel Geld aus Leipzig verpflichteten und zwischenzeitlich angeschlagenen Dani Olmo bleibt derzeit nur die Rolle des Edeljokers.
Wozu ist dieser neue FC Barcelona noch in der Lage?
Auch die gravierenden finanziellen Probleme, die der hoch verschuldete FC Barcelona immer noch bei der Registrierung neuer Profis zu spüren bekommt, prallen an der Mannschaft offenbar komplett ab. „Die Atmosphäre und die Mentalität im Team sind wirklich gut“, lobte Flick, der schon in München bei den Profis für seine Art der Menschenführung geschätzt wurde.
Und die gute Stimmung transportieren die Spieler regelmäßig auf den Platz. Lewandowski hat in 14 Pflichtspielen 17 Tore erzielte, Raphinha ist derzeit in der vielleicht besten Form eines Lebens, wie das 4:1 gegen die Bayern eindrucksvoll bestätigte; und Ersatztorhüter Inaki Pena bringt die gegnerischen Angreifer zum Verzweifeln.
Kylian Mbappé jedenfalls dürfte nach der Vielzahl ausgelassener Chancen im Clásico ziemlich schlecht geschlafen haben.
Kennen Sie schon unsere Sport-Videos?
Nun stellt sich die Frage, wozu dieser neue FC Barcelona unter Flick noch in der Lage ist? Schon gibt es Menschen, die von einem neuen Wunderteam sprechen, das mit Verstärkungen durch beispielsweise Europameister Nico Williams oder womöglich doch noch Kimmich weiter wachsen und Real Madrid an Europas Spitze ablösen könnte.
Carlo Ancelotti jedenfalls wollte die 0:4-Niederlage am Samstagabend im eigenen Stadion nicht überbewerten. Schon vor zweieinhalb Jahren hatte er mit Real gegen Barcelona mit eben jenem Resultat verloren. „Wir müssen uns jetzt aufraffen und die letzten 30 Minuten vergessen machen“, sagte der Italiener.
Und wer ihn und die Fähigkeiten seiner Mannschaft kennt, sollte Real nicht abschreiben. Auch wenn es immer noch meist zu Siegen reicht, wirken die Madrider Stars aktuell allerdings behäbig und satt. Und stellen damit genau das Gegenteil zum FC Barcelona unter Hansi Flick dar.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: