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 Oliver Kahn war lange Zeit das Werbegesicht des Wettanbieters Tipico.

© Imago/Team 2

Hasskommentare wegen verlorener Wetten : Wer verliert, wird auf Social Media beschimpft

Sportwetten werden in der breiten Masse immer beliebter. Aber nicht nur die, die wetten, leiden unter dem Glücksspiel, sondern auch diejenigen, auf die gewettet wird.

Von Bjarne Stocksmeyer

Stand:

Als Jessica Pegula bei den French Open im Achtelfinale gegen Lois Boisson überraschend ausschied, zeigte sie auf Instagram, was sie sich danach für Kommentare bei Social Media gefallen lassen musste. Sie reichten von Todesdrohungen bis hin zum Wunsch, dass ihre gesamte Familie Krebs bekommen soll.

Diese Nachrichten, sagte sie, hingen häufig damit zusammen, dass auf sie gewettet werde und der Frust über verlorene Wetteinsätze danach regelmäßig an ihr ausgelassen würde – eben in Kommentaren oder Direktnachrichten. Diese kämen Pegula zufolge zu „99,9 Prozent von Männern“, schrieb sie in ihrer Instagram Story und fragte sich, ob das nur bei Frauen so sei.

Tatsächlich ist das Phänomen nicht allein auf Sportlerinnen beschränkt. Lance McCullers beispielsweise, ein Baseball-Profi von den Houston Astros, der in der Major League Baseball nach langer Verletzung erst seit kurzem wieder spielt, berichtet bei ESPN von „Morddrohungen“ nach seinen zunächst harten ersten Wochen seit dem Comeback.

Liam Hendriks, ein MLB-Kollege von den Boston Red Sox, hat Ähnliches erlebt: „Es gibt Leute, die bedrohen das Leben meiner Frau“, wird er bei ESPN zitiert. Viele Sportler glauben, dass es einen direkten Zusammenhang mit der Legalisierung von Sportwetten in den USA gibt.

Lance McCullers von den Houston Astros ist nach zwei Jahren Verletzungspause zurück in der Major League Baseball. Wegen seiner anfangs schwachen Leistungen wurde er online angefeindet.

© REUTERS/Charles LeClaire

Einen traurigen Höhepunkt stellt der Fall Gabrielle Thomas dar. Die US-Leichtathletin, die bei den Olympischen Spielen in Paris drei Goldmedaillen über 200 Meter und mit den US-Staffeln gewann, wurde von einem Mann während eines Wettkampfwochenendes Anfang Juni in Philadelphia gestalkt.

Der verfolgte und beleidigte Thomas, mit dem Ziel, die Sportlerin aus dem Konzept zu bringen. Seinen eigenen Beiträgen bei YouTube und X zufolge gelang ihm das. Weil eine Konkurrentin Thomas über 100 Meter bezwingen konnte, postete er stolz seinen Wettgewinn von 800 Dollar.

Social-Media-Kanäle eignen sich hier gut, um den Frust anonym und ungehemmt zum Ausdruck zu bringen.

Tobias Hayer, Glücksspielforscher und Diplom-Psychologe

Tobias Hayer, Psychologe und Glücksspielforscher an der Universität Bremen, erklärt sich das neue Phänomen so: „Diese Angriffe stammen üblicherweise von Personen, die aufgrund einer Performance viel Geld bei Sportwetten verloren haben. Die Schuld für die falschen Tipps wird dann bei den Sportlerinnen gesucht. Social-Media-Kanäle eignen sich hier gut, um den Frust anonym und ungehemmt zum Ausdruck zu bringen.“

Sportwetten werden immer beliebter

Sportwetten erfahren seit einigen Jahren einen Aufschwung und etablieren sich immer mehr als Begleiterscheinung von Übertragungen im Fernsehen. In den USA wurde 2018 der „Professional and Amateur Sports Protection Act“ gekippt und so der Weg frei gemacht für die Legalisierung von Sportwetten in den einzelnen Bundesstaaten. Auffällig ist: Alle großen Sportligen in den USA werden von Wettanbietern gesponsort.

Auch im europäischen Sport ist das Sponsoring von Wettanbietern längst Standard. Elf von 20 Premier-League-Teams haben aktuell Wettanbieter als Trikotsponsoren. Im April 2023 konnten sich die Klubs immerhin darauf einigen, Wettanbieter als Sponsoren von ihren Trikots zurückzuziehen. Diese Regelung gilt ab der Saison 2025/26. In Deutschland haben mehr als die Hälfte aller Erst- und Zweitligisten einen Sponsor, der für Glücksspiel wirbt. Die Deutsche Fußball Liga verkündete im Februar, dass die Partnerschaft mit Wettanbieter Tipico bis zur Saison 2028/29 verlängert worden sei.

150
Milliarden US-Dollar wurden 2024 von US-Amerikanern verwettet.

Doch das ist alles nichts im Vergleich zu den Vereinigten Staaten. Nach Angaben der American Gaming Association haben US-Amerikaner 2024 Einsätze in Höhe von 150 Milliarden US-Dollar verwettet. Das ist ein Anstieg von rund 30 Milliarden zum Jahr davor. Während der Übertragungen beispielsweise aus der Basketball-Liga NBA ist es ganz normal, dass die Moderatoren auf die Quoten des Partners FanDuel hinweisen.

Hetze besonders heftig im Collegesport

Im Collegesport haben die Anfeindungen gegen einzelne Sportler inzwischen derartige Ausmaße angenommen, dass der Präsident der National Collegiate Athletic Association (NCAA), Charlie Baker, für ein Verbot von spielerspezifischen Wetten wirbt. Bisher wurde es von 18 US-Bundesstaaten umgesetzt.

Einer von drei Collegesportlern habe laut NCAA beleidigende Nachrichten erhalten, die im direkten Zusammenhang mit verlorenen Wetten stehen. Besorgniserregend ist zudem, dass Basketballerinnen circa dreimal so viele Anfeindungen erfahren, wie ihre männlichen Kollegen.

Angel Reese (rechts) und Caitlin Clark sind zwei der größten Namen im Basketball. Am College sind Frauen deutlich häufiger Opfer von Hassnachrichten.

© Getty Images via AFP/Gregory Shamus

Wie kann man dagegen vorgehen?

Dass man über solche Nachrichten nicht einfach hinwegschauen kann, ist klar. Aber wie geht man dann gegen diese Bedrohungen vor? Für die Baseballspieler McCullers und Hendriks wurde Personenschutz angeordnet und die Polizei eingeschaltet. Die Houstoner Polizeibehörde konnte den Täter im Falle von McCullers ermitteln, Anklage wurde allerdings nicht erhoben.

Andere Sportler sind dazu übergegangen, ihre Kanäle in den sozialen Medien zu deaktivieren. Pegula schrieb auf Instagram, dass Social Media unverzichtbar für die Karriere sei, viele Sponsoren würde es überhaupt nur wegen der Posts dort geben. Die Hassnachrichten erhalte sie, „obwohl ich meine Direktnachrichten und die Kommentarfunktion ausgeschaltet habe“.

Tobias Hayer meint: „Zunächst einmal ist es wichtig, das Angebot von Sportwetten streng zu regulieren. In Deutschland sieht der Glücksspielstaatsvertrag unter anderem ein Verbot von Wetten auf Amateurspiele sowie auf Spielereignisse vor, die als leicht manipulierbar gelten. Das ist zur Wahrung der Integrität des Sports, aber auch zur Abwehr von Spielsuchtgefahren sinnvoll und sollte im Sinne des Spielerschutzes zukünftig auch nicht aufgeweicht werden.“

In der Anonymität des Internets lässt es sich leicht pöbeln. Im Sport hat das ganz offensichtlich auch mit dem zunehmenden Einfluss von Wettanbietern zu tun. Dass diese wieder aus dem Markt gedrängt werden, ist allerdings unwahrscheinlich: Ligen und Verbände sind inzwischen viel zu abhängig von dem Geld, was sie dadurch einnehmen können.

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