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Schweizer Understatement trifft auf italienisches Temperament. Nello Di Martino (rechts) mit Trainer Lucien Favre.

© imago sportfotodienst

Hertha BSC als Heimat: Ein Buch über Hertha-Urgestein Nello di Martino

Vor mehr als 50 Jahren ist Nello di Martino aus Italien nach Berlin gekommen. Seitdem steht er in Diensten von Hertha BSC. Nun würdigt ein Buch sein Schaffen.

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Seinen vielleicht größten Auftritt hatte Nello Di Martino als Stimme aus dem Off. Zu besichtigen im Film „Deutschland. Ein Sommermärchen“ von Sönke Wortmann. Beziehungsweise: zu hören.

Fußball-Weltmeisterschaft 2006, das Halbfinale in Dortmund. Gastgeber Deutschland trifft auf Italien. Die Spieler beider Mannschaften versammeln sich im Kabinengang. „Die haben Angst, Männer!“, ruft Bernd Schneider, der Mittelfeldspieler der Deutschen. „Wir haben keine Angst!“, schreit di Martino zurück.

Zu sehen ist er dabei nicht. Nur das erstaunte Gesicht von Bernd Schneider. „Der hatte nun mal nicht erwartet, dass er einen Konter bekommt“, hat Di Martino dem Tagesspiegel knapp fünf Jahre nach der WM erzählt, bei der er als Teammanager für den italienischen Verband tätig war.

Dass er nur zu hören war, aber nicht zu sehen, das passt sowieso ganz gut. Nello Di Martino war immer der Mann im Hintergrund. Und eigentlich ist er das bei Hertha BSC noch heute, wenige Tage, bevor er seinen 73. Geburtstag feiert. Rente oder Ruhestand? Seit dem Sommer ist Di Martino als zweiter Torwarttrainer für die U 23 des Klubs tätig.

Gerade 20 war er, als er im Herbst 1971 aus seiner Heimat nach Berlin kam. Er war ein junger italienischer Torwart, der sein sportliches Glück in Deutschland suchen wollte. Abends um zehn hatte er sich in Mailand in den Zug gesetzt, am nächsten Tag, um 18.30 Uhr, fuhr er im Bahnhof Zoo ein.

Ost-Berlin? West-Berlin? „Ich wusste gar nichts“, erzählt Di Martino am Freitagmittag im Medienraum des Berliner Fußball-Zweitligisten bei der Präsentation einer Biografie über „ein Leben für Hertha BSC und Bella Italia“, wie es im Untertitel heißt.

Ein Trainer muss drei Gesichter haben: ein gutes, ein schlechtes, ein grausames.

Die österreichische Trainerlegende Ernst Happel zu Nello Di Martino

Niemand war zum Zoo gekommen, um Di Martino in Empfang zu nehmen. Deutsch sprach er auch nicht. Also ging Di Martino erst einmal zum Zeitungsladen im Bahnhof, sah, dass dort auch Zeitungen aus Italien verkauft wurden – und wartete darauf, dass irgendein Landsmann kommen würde. Auf diese Weise landete er schließlich beim italienischen Konsulat, wo er für die ersten beiden Nächte in der fremden Stadt unterkam.

Nello Di Martino (Mitte) bei der Vorstellung seiner Biografie. Neben ihm Autor Michael Jahn (rechts) und Manfred Sangel, der Moderator der Veranstaltung.

© imago/Nordphoto/IMAGO/nordphoto GmbH / Engler

Diese fremde Stadt ist Di Martino längst Heimat geworden, so wie in gewisser Weise auch Hertha BSC Heimat ist. Nur vier Spiele hat er für die erste Mannschaft der Berliner bestritten, in der Saison 1986/87 war das, als Hertha in die Oberliga abgestürzt war. Die Gegner hießen Hertha 03 Zehlendorf, Tasmania 73, TSV Rudow und Reinickendorfer Füchse.

Trotzdem ist Di Martino eine Vereinslegende und „ein großes Stück Hertha-Geschichte“, wie Michael Jahn ihn nennt, der die Biografie über ihn („Grande Nello“) verfasst hat. „Es hat viel Spaß gemacht“, sagt der Autor, der seit Jahrzehnten als Journalist über Hertha berichtet und bereits mehrere Bücher über den Klub geschrieben hat.

Ein kurzes Intermezzo bei Inter Mailand

Zur Vorstellung seines neuen Werks sind einige Wegbegleiter Di Martinos aus mehr als fünf Jahrzehnten erschienen: Uwe Kliemann, Spieler in den großen Siebzigern und später – in nicht mehr ganz so großen Zeiten – auch Trainer bei Hertha; Peter Bentin, der ewige Physiotherapeut des Klubs; Andreas Schmidt, der mit den Bubis 1993 im DFB-Pokalfinale stand und mit den Profis 1997 in die Bundesliga aufgestiegen ist. Aber auch – aus der Jetztzeit – Sportdirektor Benjamin Weber.

Nello Di Martino war immer da. Er war Torhüter, Torwarttrainer und über viele Jahre Teamkoordinator der Profimannschaft. Bei Reisen im Europapokal oder ins Trainingslager übernahm er die Rolle des Chefs de Mission. Vor allem aber war der Italiener der Mann für alle Fälle, die gute Seele des Vereins oder, wie es der frühere Manager Dieter Hoeneß einmal gesagt hat, „die Hertha an sich“.

In all den Jahrzehnten hätte es durchaus Gelegenheiten gegeben, Hertha den Rücken zu kehren. Italiens Nationalmannschaft lotste er im Sommer 2006 durch Deutschland zum WM-Titel. Die österreichische Trainerlegende Ernst Happel hätte er beinahe an den SSC Neapel vermittelt, und Anfang der Achtziger bekam er von Herthas Präsident Wolfgang Holst ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub, um für Inter Mailand, seinen Lieblingsklub aus Kinder- und Jugendtagen, zu arbeiten.

Er hätte bei Inter bleiben können und hätte es wohl auch gern getan. Aber Di Martino hatte Holst sein Wort gegeben, dass er zurückkommen werde. Also kam er zurück. „So einfach war es nicht“, sagt er im Rückblick auf ein halbes Jahrhundert in Deutschland, in Berlin und bei Hertha. „Aber die Liebe hat mich immer wieder nach Berlin gezogen.“

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