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Die Heimschwäche gefährdet den Aufstieg: Hertha BSC ist sich zu Hause ein Rätsel
Selbst gegen den Vorletzten Ulm kann Hertha BSC zu Hause nicht gewinnen. Dabei sind die Berliner beim 2:2 sogar zweimal in Führung gegangen.
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Über dem Fan-Block des SSV Ulm im Berliner Olympiastadion hing am Samstagmittag ein riesiges Transparent, das die aktuelle Stimmung der Schwaben treffend zusammenfasst. „Der Wahnsinn geht weiter.“ Das ist nur verständlich, wenn man bedenkt, dass die Ulmer noch vor zwei Jahren in der Regionalliga Südwest gegen Teams wie SG Barockstadt Fulda-Lehnerz und TSV Steinbach Haiger angetreten sind und jetzt ein Ligaspiel gegen Hertha BSC bestreiten dürfen.
Der Samstag in Berlin hat dem grassierenden Wahnsinn ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Der Abstiegskandidat aus Ulm trotzte dem Aufstiegsanwärter aus Berlin ein 2:2 ab und verlängerte seine Serie ungeschlagener Spiele damit auf vier.
Wahnsinn! Das haben nach dem Spiel vermutlich auch viele Fans von Hertha BSC gedacht. Denn was ihre Mannschaft in dieser Saison im eigenen Stadion auf die Beine bringt, ist schließlich auch nicht normal. Die Heimbilanz des Teams von Trainer Cristian Fiél ist – um es mal freundlich auszudrücken – ausbaufähig.
Sieben Mal haben die Berliner in dieser Saison im Olympiastadion gespielt. Von diesen sieben Begegnungen gingen vier verloren, eine endete unentschieden, nur zwei konnte Hertha für sich entscheiden. Und selbst diese beiden Siege zeigten: Hertha hat zu Hause ein Problem.
Man versucht ja, irgendwas heranzuziehen, von dem man sagt: Hey, das gibt dir nicht nur Grund zur Hoffnung, sondern auch den Glauben, hier einen Punkt oder drei Punkte mitnehmen zu können.
Ulms Trainer Thomas Wörle über die Herangehensweise vor dem Spiel bei Hertha
Gewonnen hat der Berliner Fußball-Zweitligist gegen Jahn Regensburg, den Aufsteiger und Tabellenletzten, sowie gegen den Abstiegskandidaten Eintracht Braunschweig – und das vor allem dank glücklicher Umstände. Beide Spiele beendete Hertha nach Platzverweisen gegen den Gegner in Überzahl. Bis dahin stand es 0:0 (gegen Regensburg) und 0:1 (gegen Braunschweig).
Auch gegen Ulm waren die Umstände günstig: Hertha ging zweimal in Führung. Gegen die zweitschwächste Offensive der Zweiten Liga. Gegen ein Team, das in den fünf Spielen zuvor ein einziges Tor erzielt hatte. Und trotzdem reichte es nicht.
Von Selbstsicherheit und Überzeugung war bei den Berlinern keine Spur. Anstatt den psychologischen Vorteil auszuspielen, lehnte sich Hertha fast schon genüsslich zurück und ließ die Ulmer einfach mal machen. Trainer Fiél klagte nach dem Spiel, dass seiner Mannschaft „der letzte Meter, der letzte Pass, der letzte Punch“ gefehlt hätten. Ibrahim Maza, der Hertha mit einem Distanzschuss zum ersten Mal in Führung geschossen hatte, fand den Auftritt „einfach Scheiße“.

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Noch nie in Herthas Zweitliga-Geschichte gab es nach sieben Heimspielen mehr Niederlagen als im Moment. Und nur in der Saison 1988/89, die auf Platz 13 endete, war die Ausbeute zum gleichen Zeitpunkt mit sechs Punkten noch geringfügig schlechter als derzeit (sieben Punkte).
Aber Herthas Heimschwäche hat nicht nur eine historische Dimension, sie wird auch aus vielerlei Gründen mehr und mehr zum Problem. Dass die Berliner sich im eigenen Stadion schwertun, hat sich längst bei der Konkurrenz herumgesprochen. Entsprechend zuversichtlich treten die Gegner inzwischen bei Hertha auf.
Selbst Ulm rechnete sich was aus
Selbst die Ulmer fürchteten sich nicht vor der für sie ungewohnten Kulisse im riesigen Olympiastadion. Im Gegenteil. „Wir wussten schon, das wird ‘ne ganz schwere Nummer für uns“, sagte deren Trainer Thomas Wörle. „Aber natürlich wussten wir auch, dass es für Hertha zu Hause schon die eine oder andere Niederlage gegeben hat. Und man versucht ja, irgendwas heranzuziehen, von dem man sagt: Hey, das gibt dir nicht nur Grund zur Hoffnung, sondern auch den Glauben, hier einen Punkt oder drei Punkte mitnehmen zu können.“
Auch bei Hertha steckt das Thema anscheinend längst in den Köpfen, schließlich wird seit Wochen vor so gut wie jedem Heimspiel öffentlich darüber gesprochen. „Natürlich fragt man sich, warum und woran das liegen könnte“, hat Fiél vor mehr als einem Monat gesagt – ohne eine schlüssige Erklärung für die Diskrepanz zwischen Heim- und Auswärtsbilanz liefern zu können. Den vier Niederlagen im eigenen Stadion steht eine einzige auf fremden Plätzen gegenüber.
Der aktuell verletzte Kapitän Toni Leistner hat schon vor Wochen spekuliert, dass es eine Kopfsache sein könne. Vielleicht verspüre der eine oder andere von den jungen Spielern zu Hause ein bisschen mehr Druck, „irgendwas Besonderes zeigen zu müssen“. Michael Cuisance sagte nach dem 2:2 gegen Ulm über die Gründe für die missliche Heimbilanz: „Ich weiß nicht. Alle wollen gewinnen, zu Hause noch mehr. Wir müssen den Schlüssel finden.“
Denn unstrittig ist, dass die Heimschwäche Herthas Ambitionen gefährdet, in die Bundesliga zurückzukehren. Nur beim Aufstieg 1997 haben die Berliner ebenfalls viermal im eigenen Stadion verloren – allerdings in der gesamten Saison. Sonst waren es maximal drei Heimniederlagen (2010/11). In den Spielzeiten 2012/13 und 1989/90 verlor Hertha sogar kein einziges Mal zu Hause.
Wie wichtig eine gewisse Heimstärke für den Gesamterfolg ist, zeigt auch ein Blick auf die Konkurrenz. Fortuna Düsseldorf stand in dieser Saison an sieben Spieltagen hintereinander an der Tabellenspitze der Zweiten Liga. Inzwischen ist die Mannschaft auf Platz sieben zurückgefallen. Und das auch, weil sie aus den jüngsten fünf Heimspielen nur zwei Punkte holte.
Von all den Mannschaften, die momentan in der Tabelle vor Hertha BSC liegen, haben nur zwei eine schlechtere Heimbilanz. Fortuna Düsseldorf ist eine (sechs Punkte aus sieben Spielen), die andere der 1. FC Magdeburg (fünf Punkte aus sechs Spielen). In Magdeburg darf Hertha am kommenden Freitag spielen.
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