zum Hauptinhalt
Enttäuschung bei den Spielern nach dem Abstieg.

© contrastphoto/O.Behrendt

Hertha ist auch nach dem Abstieg Berlin: Zwischen Größenwahn und Identitätssuche

Hertha und Union: Die Rivalität dieser beiden Berliner Fußballklubs geht auch über die Stadtgrenze hinaus. In Brandenburg ist unsere Gastautorin als Hertha-Fan in der Unterzahl.

Ein Gastbeitrag von Sabine Vollmert-Spiesky

Stand:

Ich arbeite in Brandenburg. Inzwischen ist vielen meiner Kolleginnen und Kollegen nicht entgangen, dass ich gewisse Sympathien für Hertha hege. Das hat mir in der letzten Zeit viel Mitgefühl und Tröstung eingebracht. Bisweilen auch zweifelndes Kopfschütteln. Brandenburg ist nämlich Union-Land. Einige Unioner fragen mich nicht selten, wieso Hertha. Dann antworte ich immer, dass ich in West-Berlin aufgewachsen bin und von daher Hertha für mich die natürliche Wahl war.

Damals hing Hertha am Tropf der Bundesliga, Hertha hatte kaum mal Nationalspieler, zu Hertha kamen selten international bekannte Spieler. Für uns arbeitende Bevölkerung gab es ja die Berlin-Zulage. Aber die hätte Hertha auch nicht attraktiver gemacht. Es gab kein Umfeld, es gab trotzdem öfter ein volles Olympiastadion, denn auch die Männer, die nicht „zum Bund“ wollten und daher nach Westberlin gezogen waren, hatten ja das Bedürfnis, zum Fußball zu gehen. Häufig aber mit anderen Vereinsfarben im Herzen.

Hertha BSC in Zeiten des Umbruchs

So schlug sich die Hertha mal recht, mal schlecht durch die Zeit. Und West-Berlin hing am Tropf der Bundesrepublik Deutschland, immer Geldprobleme, immer um ein gutes, besonderes Image im Rest der Republik bemüht. Und die Republik? Schaute zumeist mitleidig auf die Eingemauerten, die da von ihrem Wohlwollen abhängig waren und hatte oft keine Ahnung, wie das Leben auf der Insel wirklich aussah.

Dann kam die Wende – und Berlin war plötzlich riesig groß und besaß viel Umland. Man hatte ungeahnte Freiheiten, konnte fahren, wohin man wollte, ohne immer nervös an irgendwelchen Grenzübergängen auf die Kontrolle zu warten. Neue Freiheit, neue Auswahl. Es hatte natürlich auch traditionsreiche Fußballvereine in der DDR gegeben: z.B. in Rostock, Magdeburg, Chemnitz, Cottbus, Dresden, Berlin.

Berlin – Hauptstadt – Hertha! Also groß, größer, Größenwahn.

Sabine Vollmert-Spiesky über die Entwicklung von Hertha zum Big City Club

In Brandenburg allerdings war die Fußballlandschaft eher unterentwickelt, die Nähe zu Berlin und die DDR-Tradition ließen daher viele Brandenburger zu Unionern werden. Es hatte ja schon lange die Feindschaft zwischen Union und Dynamo gegeben, wobei die Unioner die Guten waren. Das geistert übrigens immer noch durch die Köpfe – inzwischen angereichert durch die guten Leistungen. Und die Köpenicker wurden groß. Freilich hielt man lange das Underdog-Image am Leben, das sich nun, auch gerade im Vergleich mit den Charlottenburger Großmäulern, wunderbar pflegen ließ.

In Charlottenburg hatte man nämlich Blut geleckt. Berlin – Hauptstadt – Hertha! Also groß, größer, Größenwahn. Verschiedene bekannte und auch verdiente Fußballgranden kamen zu Hertha, deren Managerqualitäten allerdings nicht unbedingt eins zu eins mit ihrem fußballerischen Talent übereinstimmten. Egal, Hauptsache bekannt und irgendwie bedeutend. Schwierige Situationen wurden ignoriert oder abgewiegelt, abgewanderte Legenden gegen noch mehr vermeintliche Größe ausgetauscht. Immer gehetzt durch den eigenen Anspruch und ohne solide Basis. In der Stadt selbst gab es jede Menge Umwälzungen und eine rege Bautätigkeit – man schöpfte aus dem Vollen, jedoch auch hier wieder mit dem Geld der anderen. Wir sind wieder wer! Wir sind Hauptstadt!

Der Aufstieg der Unioner: Vom Underdog zum Champions League Anwärter

Die pfiffigen Köpenicker aber arbeiteten zunächst noch unter dem Radar fleißig an ihrem weiteren Aufstieg, hatten treue Fans an ihrer Seite, die auch schon mal selbst Hand anlegten, wenn das Stadion ausgebaut werden musste. Sie haben die Verantwortlichen nicht nach dem Namen ausgesucht, sondern nach deren Kompetenz, auch wenn ihnen das Glück hierbei sicherlich geholfen hat. So ließ sich den Fans auch ein Übungsleiter mit gewöhnungsbedürftigem Idiom vermitteln, denn der ist sympathisch und macht seine Sache richtig gut! Das Stadion der Unioner, die Alte Försterei, fasst viel weniger Zuschauer*innen als das Olympiastadion, die Tickets für die Heimspiele sind daher nur Mitgliedern – und das durch Auslosung – zugänglich. Mangel erzeugt Nachfrage.

Über das finanzielle Gebaren und das Marketing der langjährigen Hertha-Geschäftsführung muss nicht mehr viel gesagt werden. Man wollte schnellstens und mit der Brechstange Erfolg haben, die Inkompetenz in der Führung verhinderte dies nachhaltig. Es gab keine Vision, keine Strategie, nur Anspruch und Versagen.

Seit kurzem hat die Stadt hat mal wieder eine neue Regierung, nachdem die Wahl zu der vorherigen wegen Inkompetenz wiederholt werden musste. Oft und in unterschiedlichen Bereichen erleben wir, dass hier das mit dem Hinterteil wieder eingerissen wird, was man sich vorne aufgebaut hat. Das ist die Berlin-DNA. Belächelt und höchstens mit einer stiff upper lip kommentiert von den erfolgreichen big cities wie Hamburg, München, Frankfurt: Die Hauptstädter strampeln wieder.

Gleichwohl steigen die Touristenzahlen, alle wollen diese außergewöhnlich unzulängliche Stadt in Deutschland sehen und erahnen. Wir Berliner*innen hingegen machen einfach unser Ding und lassen die Touris bei jeder Gelegenheit unsere meist schlechte Laune spüren. Understatement, denn eigentlich sind wir ganz zufrieden mit uns und unserer Stadt, trotz all der Unzulänglichkeiten. Wir wollen Berlin nicht eintauschen gegen eine dieser sauberen, ordentlichen, langweiligen deutschen Städte.

So ähnlich ist es auch bei Hertha. In der letzten Saison war der Fan-Support stärker als zuvor, die Stadionauslastung und die Mitgliederzahlen sind deutlich gestiegen. Der neue alte Übungsleiter, dessen Idiom übrigens ebenfalls gewöhnungsbedürftig, aber umso sympathischer und dessen Hertha-DNA Grund für seinen Langmut mit dem Verein ist, schenkt uns am Ende dieser Saison wieder etwas Hoffnung. Hoffnung, dass der auf der Big-City-Club-Beerdigung neu ausgerufene Berliner Weg uns etwas mehr Ruhe, Zuverlässigkeit, Kontinuität und – ja! – auch Erfolg bringt.

Wir Berlinerinnen und Berliner sind in vielerlei Hinsicht leidgeprüft und – nein, wir werden sicher nie perfekt sein – aber das wäre ja auch langweilig!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })