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Paula Brenzel gibt im Team Ristau die Kommandos.

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Paula Brenzel startet als Guide bei den Paralympics: Hoch! Drauf! Zack!

Im Para-Ski-Alpin rast Paula Brenzel als Guide von Noemi Ristau voraus und gibt die Kommandos. Bei 100 Sachen zählt da nur Vertrauen.

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook. Dieser Text erschien zu unserem Weltfrauentag Spezial.

Und zieh, reeeeeein, halten, halten, halten und jetzt Hocke und draaaaauf! So tönt es über die Skipiste, wenn Paula Brenzel und Noemi Ristau gemeinsam eine Skipiste hinunterjagen. Die sehbeeinträchtigte Ristau muss sich nahezu allein auf die Kommandos von Guide Brenzel verlassen, wenn sie ihr mit einer Sehkraft von zwei Prozent mit bis zu 100 Sachen folgt.

„Ich habe schon irgendwie ihr Leben in der Hand“, sagt Brenzel. „Der Guide muss das eigene Fahren so verinnerlicht haben, dass er auch noch nach hinten sehen kann“, sagte Ristau einmal der „Diagnose Lebensfroh“. Die Grundlage dieses Zweierteams ist bedingungsloses Vertrauen. Doch für so vertrauenswürdig hielt sich Brenzel ja eigentlich nie – auf einer Skala von eins (überhaupt nicht vertrauensvoll) bis zehn (sehr vertrauensvoll) gibt sich die 22-Jährige „je nach Lebensbereich eine Sieben bis Acht“. Geheimnisse von anderen für sich zu behalten, sei gar nicht ihr Ding, erzählt sie lachend. Brenzels beste Freundin Luisa relativiert diese Aussage aber: „Das ist eher bei familiären Angelegenheiten so. Sie vertraut mir das schon an, weil sie mit mir darüber reden kann.“ Ansonsten sei Paula Brenzel eine Person, „der man jederzeit sein Herz ausschütten und zu 100 Prozent vertrauen kann“, sagt sie. Wie gut also, dass Noemi Ristau nicht Teil der Familie ist – obwohl das gesamte Para-Ski-Alpin-Team für sie mittlerweile zu „einer eigenen kleinen Familie“ geworden ist.

Aus ihrem Umfeld haben viele Brenzel dieses Teamwork gar nicht zugetraut. In der Jugend fuhr sie ambitioniert Ski – als Individualsportlerin. „Ich war immer eher die Einzelkämpferin“, erzählt sie. Als sie sich 2018 nach dem Abitur und einem Auslandsaufenthalt neu orientierte, wurde sie durch eine Rundmail auf Ristaus Suche nach einem neuen Guide aufmerksam. Brenzels Eltern, die im hessischen Skiverband aktiv sind, druckten das Schreiben aus und diskutierten darüber am Mittagstisch. „Das war witzig, wir haben überlegt, ob wir jemanden kennen, der dafür infrage kommt“, erzählt sie schmunzelnd. Irgendwann brachte sich Brenzel, die zu den besten Skifahrerinnen in Hessen zählt, einfach selbst ins Spiel – und dann ging alles ganz schnell. Bei einem ersten Kaffee in Ristaus Heimatstadt Marburg stimmte die Harmonie sofort, ein gemeinsames Training bestätigte das gute Gefühl auch auf der Skipiste.

Brenzel möchte die Erfahrung bei den Paralympics genießen

Brenzel hatte zuvor nie Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung gehabt. „Ich habe gelernt, dass es keinen Grund gibt, sich einen Kopf zu machen“, sagt sie zu ihren anfänglichen Ängsten. Auch der neunjährige Altersunterschied der beiden Frauen war kein Hindernis. „Ich konnte mich schon immer eher mit Älteren identifizieren“, erzählt Brenzel. Freundin Luisa bemerkte durch Brenzels Kontakt zu Ristau eine positive Entwicklung, sie sei „sehr erwachsen geworden“.

Noemi Ristau (links) und Guide Paula Brenzel landeten im Super G auf Platz fünf.
Noemi Ristau (links) und Guide Paula Brenzel landeten im Super G auf Platz fünf.

© dpa

Obwohl das Team Brenzel/Ristau mehr als 120 Tage im Jahr zusammen verbringt und von September bis Mai gemeinsam unterwegs ist, baut sich Brenzel nebenher ein eigenständiges Leben auf. Seit 2018 geht sie ihrem Sportmanagement-Studium in Jena nach, das sie in diesem Jahr mit dem Bachelor abschließen möchte. Die junge Frau nutzt jede freie Sekunde, um Vorlesungen nachzuarbeiten oder für Prüfungen zu lernen – auch in Zeiten, in denen die volle Konzentration auf dem Skifahren liegt und sie wie Anfang des Jahres bei Weltmeisterschaften starten. „Wenn man sechs bis sieben Stunden auf der Piste ist und sich dann an den Schreibtisch setzt, ist man sehr erschöpft, und es bleibt nicht so viel Stoff hängen“, sagt sie und gibt einen ehrlichen Einblick in ihr Leben zwischen Profisport und Studium.

Seit Beginn ihrer Zusammenarbeit trainierte das Duo auf die Paralympics hin. In Peking reichte es bislang im Super-G zu Platz fünf, in der Kombination schied das Duo im zweiten Lauf aus. In der Vorbereitung auf die Winterspiele musste vor allem Noemi Ristau einige Rückschläge einstecken. Einer Schulterverletzung folgten psychische Probleme während der Corona-Pandemie und ein Kreuzbandriss im September – schwieriger hätte das Jahr vor Peking kaum laufen können. „Wir sind erst seit Dezember wieder im Training und haben viele Trainingstage verpasst“, erzählt Brenzel, die während dieser schwierigen Phase immer an der Seite einer der „wichtigsten Personen ihres Lebens“ stand. Deshalb schrauben die beiden ihre Erwartungen an Peking etwas runter und freuen sich über jede Medaille. Vor einem Jahr glaubten sie noch „sicher an Gold“.

Die Harmonie stimmte zwischen Noemi Ristau (rechts) und Paula Elia Brenzel von Beginn an.
Die Harmonie stimmte zwischen Noemi Ristau (rechts) und Paula Elia Brenzel von Beginn an.

© dpa

Brenzel möchte die Erfahrung bei den Paralympics genießen. Auch wenn der Fokus vor Ort „zu hundert Prozent auf dem Sport liegen soll“, beschäftigt sie sich mit der Kritik am Gastgeberland und besonders die Klima-Problematik macht der Veganerin zu schaffen. „Wenn ich sehe, was da an Wasser verschwendet wird, da läuft es mir eiskalt den Rücken runter“, sagt sie. Aufgrund der Pandemie befürchtet sie, dass das Leitbild, das Paralympische Spiele haben sollten – andere Nationen kennenzulernen und einen gemeinsamen Gewinner auszumachen – wegfällt.

Trotzdem freut sie sich darauf ihr Bestes in dem zu geben, was sie am liebsten macht: als Guide vor Noemi Ristau den Berg hinunterzujagen. Auf die Unterstützung ihrer besten Freundin Luisa kann sie dabei wie immer zählen. „Ich werde mir für die Wettkämpfe nachts einen Wecker stellen und die Rennen verfolgen“, versichert sie. Sie wünscht den beiden, dass sie „eine Medaille holen und dabei immer zusammenhalten und ein starkes Team sind“. Dafür bedarf es vor allem eines: gegenseitiges Vertrauen.

Magdalena Austermann

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