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In der Schule verspottet, auf dem Eis bewundert: Supertalent Felix Schrader kämpft bei der WM für seinen Paralympics-Traum
Para-Eishockey gilt als die schnellste und härteste Sportart für Menschen mit Beeinträchtigungen. Deutschlands Goalgetter auf dem Eis spricht über Schlaftipps von Haaland, die miserablen Bedingungen in Hannover und befreiende Witze über die eigene Behinderung.
Stand:
Herr Schrader, Dokumentationen über Sportlerkarrieren boomen gerade. Welche haben Sie zuletzt geschaut?
Die über Conor McGregor (irischer Mixed-Martial-Arts-Kämpfer, Anm.d.R.) und die über Cristiano Ronaldo (portugiesischer Fußballstar, Anm.d.R.). So was schaue ich sehr gerne. An irgendwelchen Filmen oder Serien verliere ich schnell das Interesse.
Worin besteht für Sie der Reiz?
Ich finde es faszinierend zu sehen, wie die besten Sportler der Welt mit bestimmten Situationen umgehen. Wenn man die Höhen und Tiefen in den Karrieren verfolgen kann und sieht, wie viel Arbeit hinter dem Erfolg eigentlich steckt. Alles natürlich nicht zu vergleichen mit so ein paar Para-Eishockeyspielern wie uns. Was uns dann aber doch alle vereint, ist die Passion, unsere große Liebe zum Sport. Jeder Einzelne von uns ist ja quasi besessen und verrückt nach seiner Sportart.
Gibt es Dinge, die Sie sich aus einer solchen Dokumentation abgeschaut haben?
Bei den Trainingsmethoden schaue ich genau hin. Manche Übungen kann ich auch für mich verwenden – wobei man da bedenken muss: Nicht jede Übung eines Fußballers oder MMA-Kämpfers bringt mich auch auf dem Eis voran. Bei Themen wie Ernährung oder Schlaf ist das anders. Erling Haaland (norwegischer Fußballstar, Anm.d.R.) zum Beispiel klebt sich nachts den Mund zu. Er sagt, Schlaf sei das Wichtigste für seine Regeneration und erholsamer, wenn er dabei ausschließlich durch die Nase atme. Ich mache das jetzt tatsächlich auch schon seit über einem Jahr.
Im Para-Eishockey wurden Sie 2011 mit 14 Jahren der mit Abstand jüngste Debütant in der Männer-Nationalmannschaft und entwickelten sich bis heute zum Top-Scorer der Bundesliga. Wie könnte der Arbeitstitel einer Dokumentation über Ihre bisherige Karriere lauten?
(Überlegt) Wenn meine Mannschaftskollegen über mich reden, dann heißt es meist: Der Schrader hat wieder das und das erzählt, oder der Schrader soll jetzt die und die Übung machen. Vielleicht wäre das der passende Titel für eine Doku über mich: „Der Schrader“.
Es sind die bitteren Niederlagen, an denen man wachsen kann und die einem verdeutlichen: Was ich bisher für meinen Traum getan habe, reicht anscheinend nicht aus.
Felix Schrader
Para-Eishockey gilt als die schnellste und härteste Sportart für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich wurde mit einer Fußfehlstellung geboren, mein rechtes Bein ist nicht richtig gewachsen – und 2009 war es nach vielen Operationen letztendlich so, dass für mich keine vernünftige Prothese mehr angefertigt werden konnte. Ich stand vor der Wahl: ein Leben im Rollstuhl oder die Amputation oberhalb des Kniegelenks.
Sie entschieden sich für die Amputation.
Und das habe ich definitiv nicht bereut! Heutzutage ist die prothetische Versorgung nach einer Amputation extrem gut – man kann das optisch eigentlich kaum noch erkennen. Mir persönlich hat die Amputation eine Menge Lebensqualität geschenkt – und ohne diese Entscheidung hätte ich wohl nicht den Weg zum Para-Eishockey gefunden.
Erzählen Sie.
Nach der Amputation musste ich zwei-, dreimal in der Woche zur Physiotherapie, und vor mir war immer der Christian Groth an der Reihe, der damals schon Para-Eishockey in Hannover spielte. Er hat mir von der Sportart erzählt und meine Eltern und mich gefragt, ob ich da mal vorbeischauen und mittrainieren wolle. Aber ehrlich gesagt, ich hatte damals kaum Selbstbewusstsein und wollte da gar nicht hin.
Sie kamen aus einer schwierigen Zeit. In einem Fernsehbericht haben Sie einmal erzählt, dass Sie in der Schule aufgrund Ihrer Beeinträchtigung verspottet und geschlagen wurden.
An die Schulzeit denke ich nicht gerne zurück. Man konnte früher aus fünf Kilometern Entfernung schon sehen, dass da bei mir was nicht in Ordnung ist, weil ich extrem gehumpelt bin. Ich musste Riesenhosen tragen, damit die Prothese da drunter passte. Das Mobbing hörte erst mit der Amputation auf und als ich auf dem Weg zum Fachabitur ältere Mitschüler bekam.
Welche Rolle hatte Sport bis zu der Amputation für Sie gespielt?
Ich hatte bis dahin so gut wie gar keinen Sport gemacht. Neben dem Schulsport hatten mich meine Eltern mal in einem Leichtathletikverein angemeldet. Aber mit meinem Bein konnte ich auch da eigentlich gar nicht mitmachen. Ich galt also nie als besonders sportlich. Fußball im Fernsehen habe ich immer gerne geguckt.
Wie ging es dann mit dem Para-Eishockey los?
Meine Eltern hatten mich dann doch mal zu einem Training hingeschleppt und in einen Schlitten gesetzt. Und obwohl ich da anfangs eigentlich nur umgekippt bin und damit beschäftigt war, mein Gleichgewicht zu halten, hat es mir trotzdem direkt Spaß gemacht. Es war vor allem ein richtig cooles Team.
Hatten Sie zuvor schon andere Menschen mit Beeinträchtigungen in Ihrem Umfeld?
Nein, das hatte es für mich überhaupt noch nicht gegeben – und dann gleich so viele auf einmal! Das tat mir von Beginn an extrem gut. Die Behinderung stand hier gar nicht im Vordergrund, man machte darüber eher Witze. Dieser lockere Umgang hatte für meine Entwicklung ganz viele positive Effekte. Da waren welche, die seit 30 Jahren mit einem Bein lebten oder ohne Beine im Rollstuhl saßen … die haben dann natürlich noch mal eine ganz andere Sichtweise und Tipps. Das war echt cool und hat auch meinen Eltern viel geholfen.
Udo Segreff, deutsche Ikone im Para-Eishockey und Ihr früherer Mannschaftskollege in Hannover, prophezeite schon nach Ihrem ersten Jahr auf dem Eis, dass aus Ihnen mal ein ganz Großer werden kann, den man irgendwann vielleicht mal bei den Paralympics sehen würde. Wie haben Sie selbst Ihr Ausnahmetalent wahrgenommen?
Die Anfangszeit auf dem Eis war für mich extrem schwierig. Ich weiß noch, wie mich die Trainer bei den ersten Eiszeiten angeschoben haben. Beim Para-Eishockey kommt die ganze Kraft aus den Armen, und die fehlte mir natürlich mit 12, 13 Jahren noch. Aber dann merkte ich doch relativ schnell, dass mir Talent und Technik mit in die Wiege gelegt worden waren.

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Mit den Ice-Lions Hannover sind Sie gerade zum dritten Mal in Folge Deutscher Meister geworden. Inklusive der Play-offs hatte Ihr Team nach den acht Saisonspielen ein sagenhaftes Torverhältnis von 142:2.
Ja, eigentlich unglaublich, wenn man das so hört. Aber es macht eben einen großen Unterschied, ob eine Mannschaft – so wie wir mit Malte Brelage, Jörg Wedde und mir plus Torhüter Simon Kunst – vier Nationalspieler aufs Eis schicken kann oder nur einen oder zwei wie die anderen Teams. Allein was die Geschwindigkeit betrifft, sind wir Nationalspieler einfach wesentlich flinker unterwegs. Und wenn unsere Gegner da nicht hinterherkommen, wie wollen die uns dann aufhalten?
Sie trafen in fast jedem Spiel zweistellig. Befinden Sie sich in der Form Ihres Lebens?
Auf jeden Fall! Das liegt vor allem auch an der überragenden Stimmung in der Nationalmannschaft, wir pushen uns da gerade gegenseitig hoch. Vor zwei Jahren ist Leopold Reimann aus Berlin zu uns gestoßen, ein ehemaliger Para-Ruderer, bei dem man richtig merkt, dass er aus dem Leistungssport kommt. Der geht auch gerne zweimal am Tag trainieren – und dann denke ich natürlich, Mist, dann muss ich heute auch noch mal los (lacht). Ich schätze, das hat mir diese Saison noch mal locker zehn Prozent an Leistungssteigerung gebracht.
Also könnte es für die Nationalmannschaft endlich mal wieder für die Paralympics reichen? Die bisher einzige Teilnahme – 2006 in Turin unter anderem mit Udo Segreff – liegt ja bald 20 Jahre zurück.
Die vergangenen beiden Winterspiele haben wir ja unglaublich knapp verpasst: einmal wegen eines Penaltys, das andere Mal wegen eines Gegentreffers in der Verlängerung! Und 2022 in Peking war es ja sogar so, dass wir nach dem Ausschluss der Russen (wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine, Anm.d.R.) eigentlich hätten nachrücken können – doch die Entscheidung fiel erst einen Tag vor der Eröffnungsfeier und es war zu knapp.
Unsere Chance auf eine Paralympics-Teilnahme war noch nie so groß wie jetzt.
Felix Schrader
Macht Ihnen da nicht manche Sportdoku Hoffnung, in der dem Triumph oft schmerzhafte Niederlagen oder besonders widrige Umstände vorausgehen?
Daran glaube ich fest. Es sind die bitteren Niederlagen, wo nur ein paar Prozente gefehlt haben, an denen man wachsen kann und die einem verdeutlichen: Was ich bisher für meinen Traum getan habe, reicht anscheinend nicht aus – ich muss noch mehr machen!
Das meinen Sie wahrscheinlich auch mit der Besessenheit der großen Sportler, von der Sie eingangs sprachen …
Mit dem Physiotherapeuten der Nationalmannschaft, der auch in Hannover wohnt, habe ich in den zurückliegenden Monaten etliche Zusatzschichten abgerissen. Im Fitnessstudio habe ich noch mit einem weiteren Personal Trainer gearbeitet, dazu noch Sessions am Olympiastützpunkt. Ich habe alles dafür gegeben, dass wir uns jetzt die Kirsche holen und das mit den Paralympics endlich schaffen.
An diesem Samstag, wenn für das deutsche Team die WM in Buffalo beginnt, bietet sich die nächste Chance: Um sich für die Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo zu qualifizieren, ist in dem Achterfeld eine Top-Fünf-Platzierung nötig.
Die Tschechen, Chinesen, Amerikaner und Kanadier sind Vollprofis im Para-Eishockey, die werden ziemlich sicher die ersten vier Plätze belegen. Wir kämpfen also mit Südkorea, der Slowakei und Norwegen um Platz fünf.
Wie stehen da die Chancen?
Von den vier Teams kann eigentlich jedes jeden schlagen – deswegen sagen wir auch: Unsere Chance auf eine Paralympics-Teilnahme war noch nie so groß wie jetzt. Normalerweise sind die Russen (in den Teamsportarten weiter ausgeschlossen, Anm.d.R.) ja noch dabei, auch Vollprofis und uns klar überlegen.
Was meinen Sie genau damit – Vollprofis?
In diesen Ländern sind die Spieler zwar bei irgendeiner Firma angestellt oder studieren, aber bei denen ist Prio Nummer eins ganz klar, dass sie dreimal am Tag aufs Eis kommen. Die machen nichts anderes als Hockeyspielen und verdienen damit ihr Geld. Das gibt es bei uns nicht. Wir verdienen mit dem Sport keinen einzigen Cent. Wir sind alle voll berufstätig und müssen teilweise sogar an unseren Jahresurlaub ran, um überhaupt bei der WM dabei sein zu können. Ich bekomme von der Sparkasse zum Glück Sonderurlaub. Ansonsten würde mir meine Freundin aber auch was erzählen (lacht).
Beim Hallenbetreiber in Hannover steht Para-Eishockey ganz unten auf der Liste.
Felix Schrader zur Trainingssituation der Ice-Lions
Auf wie viele Eiszeiten pro Woche kommen Sie?
Das ist in Hannover seit vielen Jahren leider ein absolutes Problem: Wir haben hier nur einmal die Woche Eis! Und das auch noch zu einer richtig besch… Zeit! Trainingsbeginn ist dienstags um 22:30 Uhr, wir sind dann bis 0 Uhr auf dem Eis. Plus duschen und den Weg zurück in die Stadt – die Halle liegt etwas außerhalb – können Sie sich ausmalen, wie man dann am nächsten Tag bei der Arbeit unterwegs ist. Beim Hallenbetreiber stehen wir ganz unten auf der Liste.
In der Stadt des deutschen Rekordsiegers? Vor einer WM?
Kaum zu glauben, oder? Aus der Politik haben wir jetzt schon so oft gehört, ja, ja, wir kümmern uns und helfen euch. Aber es tut sich nichts. Und mit WM-Vorbereitung brauchen Sie hier gar nicht erst kommen. Nach dem Saisonaus der Scorpions (Oberliga-Klub aus Hannover im Eishockey, Anm.d.R.) wurde hier Ende April sogar abgetaut, es gibt seitdem gar keine Eisfläche mehr, auf der wir hätten trainieren können.
Sie machen Witze.
Nein, leider nicht. An den Wochenenden waren wir meist mit der Nationalmannschaft unterwegs, zum Beispiel in München im neuen SAP Garden – wo es übrigens bis Ende August auf drei Trainingsflächen Eis gibt. Aber für das Heimtraining in Hannover mussten wir unsere Schlitten teilweise mit Rollen umbauen, sodass wir uns hier auf dem Vereinsgelände, da ist so ein großer Asphaltplatz, wenigstens annähernd wettkampfgetreu bewegen konnten. Das geht zwar extrem aufs Material, aber so konnten wir zumindest ein bisschen Schusstraining absolvieren und ein paar Sprints abliefern.
Wenn es die Dokumentation „Der Schrader“ irgendwann einmal geben sollte – auf einem Asphaltplatz soll sie bitte nicht enden. Welche Szene wünschen Sie sich für den Schluss?
Na das sollte doch unbedingt eine Eröffnungsfeier bei den Paralympics sein: Athleten aus aller Welt, die deutsche Fahne, dahinter meine Mannschaft, Gänsehaut – das will ich unbedingt erleben!
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