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Lars Stindl, 29, hat erst vor knapp einem Jahr in der Nationalmannschaft debütiert. Beim Confed-Cup erzielte der Kapitän von Borussia Mönchengladbach im Finale gegen Chile den 1:0-Siegtreffer. Insgesamt traf Stindl in zehn Länderspielen vier Mal.

© AFP

Vor dem Länderspiel gegen Brasilien: Lars Stindl: "Es gibt Wichtigeres als Fußball"

Lars Stindl erzählt im Interview über sein spätes Debüt in der Nationalelf, das 7:1 gegen Brasilien und äußert seinen Respekt für Per Mertesacker

Herr Stindl, erinnern Sie noch, wo und wie Sie das sagenhafte 7:1 gegen Brasilien erlebt haben?

Das weiß ich noch ganz genau. Wir haben uns damals in Hannover mit ein paar Mannschaftskollegen von 96 und privaten Freunden das Spiel angeschaut. Ganz klassisch, wie viele andere auch. Und nach diesem unfassbaren Ausgang war uns Deutschen am nächsten Tag sehr wohl, zum Training zu kommen. Wir hatten ja damals in Felipe und Marcelo auch zwei Brasilianer bei uns in der Mannschaft.

Haben Sie irgendwann mit den Brasilianern mitgelitten?

Natürlich war das ein seltener, ein merkwürdiger Ausgang für ein WM-Halbfinale. Die Brasilianer hatten als Gastgeber unglaublich hohe Erwartungen an diesen Sommer. Aber unsere Mannschaft hat gleich groß aufgespielt und sich nicht beeindrucken lassen von der euphorisch vorgetragenen brasilianischen Nationalhymne. Sie ist gedanklich im Tunnel geblieben, hat sich auf die Aufgabe konzentriert und es sehr gut runtergespielt. Und in der zweiten Halbzeit hat sie dann den nötigen Respekt auf dem Platz gezeigt.

Jetzt sind Sie dran. Rechnen Sie damit, gegen Brasilien spielen zu dürfen?

Ich bin froh, dass ich wieder eingeladen wurde zu diesen beiden besonderen Länderspielen. Und ja, ich hoffe auch auf Einsatzzeit im Olympiastadion.

Von Ihnen ist bekannt, dass Sie eine richtige Fan-Biografie haben. Gehört dazu auch, dass Sie als Kind Fußballbilder gesammelt haben?

Ja, gerade bei Welt- und Europameisterschaften. In diesen Phasen war das akut. Ich müsste mal nachschauen, ob es die Alben noch irgendwo gibt.

Wie sehr hat es Sie berührt, dass Sie im Album zur WM 2018 nicht dabei sind?

Das habe ich auch mitbekommen, aber ich glaube, die Kollegen von Panini sind da etwas beschränkt, weil sie frühzeitig eine Auswahl treffen müssen. Ich kann das absolut verkraften.

Aber die Macher verweisen auf ihre gute Trefferquote.

Ich glaube, ich habe gerade gelesen, dass sie zu 80 Prozent richtig liegen.

Dann beträgt Ihre WM-Chance immerhin 20 Prozent!

Also ehrlich, meine Chance, bei der WM dabei zu sein, mache ich nicht von einem Sammelalbum abhängig.

Was verlangen Sie von sich, um es nach Russland zu schaffen?

In meinem Fall war es nicht unbedingt vorhersehbar, dass ich überhaupt noch zur Nationalmannschaft stoße. Den Sommer mit dem Confed-Cup habe ich nutzen können. Ich habe versucht, meinen Teil beizutragen und meine persönliche Note einzubringen. Das werde ich auch jetzt tun.

Sie sind erst mit 28 Nationalspieler geworden. Ist das eher Fluch oder Segen?

Absoluter Segen. Ich freue mich auch in diesem Alter noch riesig. Das ist nicht gewöhnlich, das gebe ich zu. Heutzutage sind die jungen Spieler sehr gut ausgebildet und haben in ihren Vereinen zum Teil schon tragende Rollen. Aber ich habe kein Problem damit, so spät dazugekommen zu sein. Dadurch kann ich das vielleicht ein bisschen besser einschätzen und noch mehr genießen. Ich weiß, was es bedeutet.

Sie haben 2009 in der U 21 debütiert. Kurz nachdem das Team Europameister geworden war, mit vielen Spielern, die 2014 den WM-Titel gewonnen haben. Hummels, Özil und Boateng gehören zu Ihrem Jahrgang und haben heute zwischen 60 und 80 Länderspiele. Hatten Sie einfach nur Pech?

Nein, ich habe damals einfach noch nicht die Leistung gezeigt wie etwa die genannten drei. Andere waren mir einen Tick voraus. Umso mehr empfinde ich es als Privileg, jetzt dazuzugehören.

Sie haben im Finale des Confed-Cups immerhin das entscheidende Tor erzielt. Gibt es da keinen Bonus?

Ich habe mich riesig gefreut darüber. Aber wir wissen doch, es war ein gutes, ein interessantes Turnier, aber eben keine EM oder WM. Das muss man schon in Relation setzen. Das weiß der Bundestrainer und die Jungs, die dabei waren, wissen es auch.

Aber der Auftritt der Mannschaft war sehr erfrischend.

Das war eine besondere Konstellation im vorigen Sommer. Einige Weltmeister waren zurückgetreten, andere waren verletzt oder wurden geschont. Trotzdem haben sich alle gefreut, dabei zu sein – obwohl das Turnier medial als nicht besonders attraktiv dargestellt wurde. Das waren Spieler, die in der Bundesliga gute Leistungen gezeigt hatten und die dann in Russland einen gewissen Geist entwickelt haben, dieses Turnier zu gewinnen.

Ist dieser Geist noch da?

Soweit ich weiß, herrscht bei der Nationalmannschaft seit langem ein guter Geist. Das war ja auch bei der WM 2014 ein großes Plus, was heute noch alle erzählen. Man braucht ein gutes Gemeinschaftsgefühl, wenn man so lange zusammen ist und erfolgreich sein will.

Sie sind Kapitän bei Borussia Mönchengladbach, waren es vorher bei Hannover 96. Könnte es für die WM von Vorteil sein, dass Sie wissen, wie man sich sozialverträglich in einer Gruppe bewegt?

Wir haben hier viele Jungs dabei, die dieses Thema und ein solches Turnier richtig einschätzen. Jeder möchte sich aufdrängen und ein gutes Bild abgeben. Das ist der ganz normale Ansporn. Aber es geht eben nur in einer guten Gruppe.

Wie war es in ersten Länderspiel nach dem Confed-Cup, als die richtige Nationalmannschaft wieder zusammenkam. Waren die Weltmeister plötzlich die Fremden?

Nein, sie bilden immer noch das Gerüst des Teams. Dass sie berechtigterweise mal ein paar Wochen mehr Urlaub bekommen haben, ist verständlich.

"Es ist super, dass Mertesacker in den Nachwuchs geht"

Lars Stindl, 29, ist Kapitän von Borussia Mönchengladbach. In der Nationalmannschaft hat der Offensivspieler in bisher zehn Länderspielen vier Tore erzielt.

© picture alliance / Thomas Frey/d

Wie nehmen Sie die Diskussionen über einen möglichen WM-Boykott wahr?

Natürlich nehmen wir das wahr. Heute lassen sich die Medien nicht mehr so einfach ausblenden wie früher. Durch die Digitalisierung bekommt man eigentlich alles mit, selbst wenn man keine Zeitung liest. Grundsätzlich ist unsere Aufgabe erst einmal, diesen Sport auszuüben. Eine WM ist ein großes Turnier, dem wir Tag für Tag sportlich entgegenfiebern.

Aber als Teil einer vielbeachteten Elite kann oder muss man sogar Probleme ansprechen.

Richtig, wir haben ja da auch eine andere Reichweite als viele andere. Der DFB macht auch viel und ist auch bei der WM in Brasilien positiv in Erscheinung getreten. Wir machen uns Gedanken, was wir als Spieler machen können.

Haben Sie eigentlich vor dem Anpfiff eines Spiels auch schon mal würgen müssen?

Nein. Sie spielen auf die Äußerungen von Per Mertesacker an. Den Druck empfindet jeder anders. Und jeder hat eine andere Art, mit ihm umzugehen. Ich zum Beispiel brauche vor einem Spiel bestimmte Abläufe, die ich mir über die Jahre angeeignet habe. Ich gehe noch mal in den Kraftraum aufs Fahrrad, um mich zu aktivieren. Das passt für mich.

Wie finden Sie es, dass Mertesacker eine öffentliche Diskussion zum Thema Druck im Fußball angeschoben hat?

Leider gibt es heute zu viel Schwarz und Weiß in der Berichterstattung. Wir versuchen alle, unsere beste Leistung zu zeigen. Und manchmal funktioniert es halt nicht. Auch in anderen Bereichen des Lebens gibt es solche Phasen, nur dass sie bei uns eben öffentlicher sind. Ich finde es gut, dass man darüber spricht, und ich finde es super, dass gerade jemand wie Per mit seinen Erfahrungen in den Nachwuchsbereich geht. Er kann die jungen Leute noch besser darauf vorbereiten, was auf sie zukommt.

Mertesacker war ein wesentlicher Bestandteil dieser Mannschaft …

… nicht nur dieser Mannschaft. Er hat eine Dekade, eine ganze Generation, mitgeprägt. Er ist eine prägende Erscheinung gewesen, und deswegen ist es gut, wenn jemand wie er offen über dieses Thema spricht.

Ist es jetzt im Kreis der Nationalspieler thematisiert worden?

Als das Thema aufkam, haben wir im Verein darüber gesprochen. Und natürlich auch hier.

Hat es Sie gewundert, dass Mertesacker mit der ständigen Angst zu versagen so lange so erfolgreich Fußball gespielt hat?

Nein, nicht verwundert. Ich habe Pers Leistungen immer bewundert. Und jetzt - mit diesem Hintergrund - sage ich erst recht: Chapeau. Glauben Sie es mir, es betrifft ganz bestimmt mehrere Spieler, deshalb ist es so wichtig.

Gucken Sie als Kapitän nun noch einmal anders durch die Kabine?

Grundsätzlich achtet man schon auf seine Mitspieler und versucht mitzubekommen, wenn einer mal in einem Tief steckt. Aber nicht nur auf ein Spiel bezogen, sondern auch über einen längeren Zeitraum. Es war jedenfalls noch nicht so, dass ich bei einem Mitspieler ganz speziell vorgefühlt habe.

Wie schaffen Sie es, sich dem Fußball auch mal zu entziehen?

Das war ein Prozess. Ich habe es auch erst über die Jahre lernen müssen, im Privaten vom Fußball abzuschalten und das Thema nicht an mich ranzulassen. Durch die Geburt meiner Tochter vor knapp zwei Jahren habe ich noch mal einen anderen Blickwinkel bekommen und gelernt, dass es Wichtigeres gibt als Fußball. Gerade im Fall des Misserfolgs muss man das lernen. Zu Beginn meiner Karriere war es sehr schwierig, das nicht an mich heranzulassen, aber seit ein paar Jahren kann ich damit ganz gut umgehen.

Wie empfinden Sie die Aussage von Joachim Löw, die WM werde von der Nationalmannschaft Unmenschliches abverlangen?

Ich glaube, der Bundestrainer meint damit, dass wir vor einer sehr schweren Aufgabe stehen. Alle Mannschaften schauen auf uns als Titelverteidiger, alle haben das Ziel, das zu verändern. Wir sind Weltmeister und Confed-Cup-Sieger, deswegen sind auch hierzulande die Erwartungen extrem hoch. Aber damit konnten wir immer umgehen.

Das gehört gewissermaßen zum Gen-Pool der Nationalmannschaft.

Aufgrund der Erfolge und der Geschichte wird das auch immer so sein. Egal, in welchem Alter man zur Nationalelf kommt.

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