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Helfer hängen das Bild von Marco Reus während der DFB-Pressekonferenz an die Außenwand des Fußballmuseums.

© Ina Fassbender/dpa

Löw nominiert den WM-Kader: Wer in Russland den Titel verteidigen soll - und wer nicht

Bundestrainer Joachim Löw hat seinen vorläufigen Kader für die Fußball-WM 2018 bekannt gegeben. Auch Überraschungen sind dabei. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

In exakt 33 Tagen beginnt für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft die Mission Titelverteidigung. Seit Dienstagmittag herrscht ein bisschen mehr Klarheit, mit wem Joachim Löw dieses Unternehmen bei der Weltmeisterschaft in Russland angehen wird. Im Fußballmuseum in Dortmund gab der Bundestrainer seinen vorläufigen WM-Kader bekannt, mit dem er in der kommenden Woche die Vorbereitung beginnen wird.

Gibt es eine Überraschung?

Seitdem Jürgen Klinsmann zur WM 2006 den damals völlig unbekannten David Odonkor nominiert hat, glaubt die Öffentlichkeit vor jedem großen Turnier, ein Anrecht auf einen Überraschungskandidaten zu besitzen. Auch in den vergangenen Wochen sind wieder einige Namen genannt worden. Der von Nils Petersen war nicht darunter. Auf der Odonkor-Skala erhält Klinsmanns Nachfolger Löw daher neun von zehn möglichen Punkten für Petersens Nominierung.

Der Freiburger nimmt den Platz ein, den viele eigentlich für Sandro Wagner vorgesehen hatten. Doch während Wagner im Winter von der TSG Hoffenheim zu den Bayern gewechselt ist, um seine WM-Chancen zu verbessern, ist Petersen erst durch seinen Weggang von den Bayern ein Kandidat für Löw geworden. Nach lediglich neun Spielen für die Münchner in der Saison 2011/12 landete Petersen über Bremen beim SC Freiburg – „einer Mannschaft, die sich wahrlich nicht wahnsinnig viele Torchancen herausspielt“, wie Löw sagte.

Dennoch erzielte er in dieser Saison 15 Tore und war damit der beste deutsche Stürmer in der Bundesliga. Als ernsthaften Kandidaten für den WM-Kader hatten ihn trotzdem nur wenige auf dem Zettel. Der 29-Jährige ist noch nie für die deutsche Nationalmannschaft aufgelaufen. Allerdings gehörte er 2016 dem Olympiateam an, das in Rio die Silbermedaille gewann.

„Mein Gefühl sagt mir, dass er mit der Aufgabe wachsen kann“, erklärte Löw, der das Ressort Strafraumstürmer mit Mario Gomez besetzt und darauf verzichtet hat, in Sandro Wagner einen weiteren Vertreter dieser Spezies in sein Aufgebot zu berufen. Ein komplett anderer Stürmertyp wäre Lars Stindl gewesen, doch der Gladbacher fällt verletzt aus. Petersen ist so etwas wie eine Kompromisslösung, zumal er in Freiburg oft bewiesen hat, dass er auch als Einwechselspieler wertvoll sein kann. „Er ist ein sehr guter Joker“, sagte Löw. „Von ihm erwarte ich mir einiges.“

Wer fehlt?

Nach Mario Gomez kam Leon Goretzka, dann Ilkay Gündogan. Die nominierten Spieler wurden in alphabetischer Reihenfolge auf der Videoleinwand präsentiert, und spätestens als Gündogan auftauchte, war klar, dass Mario Götze nicht mit nach Russland fährt. Der Finaltorschütze von Rio hatte es am Abend vorher von Bundestrainer Löw erfahren. Eine Überraschung war es nicht. „Es war nicht unbedingt seine Saison“, sagte Löw. Auch Götzes Dortmunder Teamkollege André Schürrle, Vorlagengeber im Finale vor vier Jahren, steht nicht in Löws Aufgebot; er ist beim BVB ebenfalls deutlich unter seinen Möglichkeiten geblieben. Insgesamt haben es neun Weltmeister von 2014 in den vorläufigen WM-Kader geschafft; von der EM vor zwei Jahren sind noch 15 Spieler dabei.

„Manchmal hat man nicht so die Argumente“, sagte Löw zu der Entscheidung, warum ein Spieler dabei ist und ein anderer nicht. Für Götze und Schürrle galt das eher nicht. Eher für Sandro Wagner, dem der Bundestrainer „vollen Einsatz“ und einen „sehr guten Charakter“ bescheinigte. „Es hängt manchmal eben auch an Kleinigkeiten“, sagte Löw. „Mein Job als Bundestrainer ist eben auch, manchmal Träume platzen zu lassen.“ Bei Emre Can (FC Liverpool) war es eher dessen Körper, der den Traum von der WM platzen ließ. Der Mittelfeldspieler ist seit Mitte März wegen anhaltender Rückenbeschwerden zur Untätigkeit verdammt. „Er wäre eine zu große Unbekannte für uns“, erklärte Löw.

Wie plant der Bundestrainer mit Manuel Neuer?

Manuel Neuer hat sogar seit September kein Fußballspiel bestritten. Trotzdem ist es keine Überraschung, dass der Torhüter des FC Bayern zumindest dem vorläufigen WM-Kader angehört. Löw wird sich bis zuletzt die Option offenhalten, seinen Kapitän mit nach Russland zu nehmen. „Im Moment sieht alles gut aus“, berichtete der Bundestrainer. „Manuel sagt, er kann alles machen.“ Der Mittelfußbruch sei vollständig verheilt. Neuer soll laut Löw in dieser Woche bei den Bayern ins Mannschaftstraining einsteigen, in der Vorbereitung in Südtirol müsse der Torhüter dann zeigen, dass sein Fuß „auch bei uns die volle Belastung toleriert“.

So ähnlich hatte der Bundestrainer auch schon bei den jüngsten beiden Länderspielen im März geklungen. Seitdem hat sich wenig geändert: Neuer hat immer noch nicht gespielt. Löw berichtete, dass er ständig im Austausch mit seinem Kapitän sei und erst vor zwei Tagen mit ihm gesprochen habe. Die Personalie besitzt höchste Priorität – obwohl der mutmaßliche Ersatzmann Marc-André ter Stegen beim FC Barcelona seine Befähigung für den Job längst nachgewiesen hat.

„Beide Seiten wissen um ihre Verantwortung“, sagte Löw, der ein offenes und ehrliches Gespräch mit Neuer ankündigte. Der Bundestrainer wiederholte das, was Neuer selbst in der vergangenen Woche gesagt hatte: „Ohne Spielpraxis in so ein Turnier zu gehen, das ist schier unmöglich.“ Das heißt: Neuer müsste spätestens am 2. Juni einsatzfähig sein, wenn die Nationalmannschaft in Klagenfurt gegen Österreich spielt. Der letzte Test (am 8. Juni gegen Saudi-Arabien) findet nach der offiziellen Meldefrist für den endgültigen WM-Kader statt.

Auf die Frage, ob Neuer im Falle einer WM-Teilnahme automatisch die Nummer eins sei, reagierte Löw ausweichend. Er wolle keine Wenn-dann-Szenarien an die Wand werfen. „Manuel ist ein außergewöhnlich guter Torhüter, und er ist unser Kapitän.“ Den Rest kann sich jeder denken.

Wer muss noch zittern?

Auf jeden Fall ein Torhüter. Sollte Neuer sich einsatzfähig melden, würde es vermutlich Kevin Trapp treffen, der in dieser Saison nicht mal bei seinem Verein Paris St. Germain Stammtorhüter war. Da Löw am 4. Juni nur 23 Spieler für die WM melden darf, muss er zudem drei Feldspieler aus seinem vorläufigen 27-Mann-Kader streichen. In der Vergangenheit sind ihm solche Entscheidungen zum Teil abgenommen worden. Marco Reus zum Beispiel verletzte sich sowohl vor der WM 2014 als auch vor der EM 2016 jeweils in der Vorbereitung. Angesichts solcher Erfahrungen sei es „selbstverständlich, da etwas Luft zu lassen“, sagte Löw.

Auf den ersten Blick ist der Kader in der Innenverteidigung mit sechs Kandidaten überbesetzt. Es ist als Vorsichtsmaßnahme zu verstehen, da sich Jérôme Boateng noch in der Reha befindet. Löw ist zuversichtlich, dass Boatengs Muskelverletzung „im Laufe des Trainingslagers ausgeheilt sein“ wird. Der Münchner sei nicht so eins zu eins zu ersetzen. So müssen der Gladbacher Matthias Ginter und Jonathan Tah (Leverkusen) wohl noch um ihre WM-Teilnahme bangen.

Auch Mittelfeldspieler Sebastian Rudy ist ein Wackelkandidat. Sein Vorzug: Er käme als Ersatz für Rechtsverteidiger Joshua Kimmich infrage. Von den Offensivspielern ist am ehesten Julian Brandt gefährdet. Für den Leverkusener wäre es besonders bitter: Er ist schon 2016 aus dem vorläufigen Kader gestrichen worden.

Warum hat der DFB die Verträge mit Löw und Bierhoff vorzeitig verlängert?

Weil der Verband die Aufregung während der WM 2010 noch in guter, respektive schlechter Erinnerung hat. Damals hatte Löw die Verhandlungen mit dem DFB vor der WM offiziell auf Eis gelegt, woraufhin das Thema „Bleibt er oder geht er?“ das gesamte Turnier überlagerte. Der eigentliche Grund aber ist, dass der DFB von Löw und Oliver Bierhoff, dem Manager der Nationalmannschaft, vollends überzeugt ist. Der Bundestrainer sei „ein glaubhaftes Gesicht des deutschen Fußballs“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel. „Wir legen im DFB großen Wert auf Kontinuität, Qualität und Vertrauen. Wir möchten lange Linien ziehen.“ Die Linie mit Löw wird nun noch einmal von 2020 bis zur nächsten WM 2022 verlängert. Bierhoff, 50, soll sogar bis 2024 blieben. Er wäre dann insgesamt 20 Jahre im Amt.

„Den Planungshorizont von vier Jahren finde ich ideal“, sagte Löw, der davon ausgeht, dass es nach der WM einen Umbruch in der Mannschaft gibt, weil viele erfahrene Spieler aufhören könnten. Diesen Umbruch würde er gerne noch gestalten. Bierhoff wiederum ist mit dem Projekt Akademie betraut, das er immer wieder als Jahrhundertprojekt bezeichnet. „Wir haben noch einiges vor“, sagte er.

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