Huub Stevens im Interview: „Manche Profis sind fast noch Kinder“
Der neue HSV-Trainer Huub Stevens über seinen Wertekanon für junge Millionäre und die Null, die stehen muss
Stand:
Herr Stevens, haben Sie abgenommen?
Ja. 15 Kilo. Meine Figur hatte vor einer Weile bedrohliche Ausmaße angenommen. Also habe ich mich aufs Fahrrad gesetzt, weniger getrunken und bewusster gegessen. Ich will doch ein Vorbild sein.
Das gelingt Ihnen offenbar gut. Seit fünf Wochen trainieren Sie den Hamburger SV, und Ihr Torwart Frank Rost spricht schon von einer neuen Mentalität im Team.
Das ist ein großes Wort. Ich finde, es läuft normal. Der HSV ist aber nicht da, wo ich ihn haben will, noch lange nicht. Das schafft man nicht in fünf Wochen. Ich habe hier und da ein paar Veränderungen herbeigeführt.
Welche Veränderungen?
Vor meiner Zeit war es normal, dass die Spieler bis zehn, halb elf vor einem Spiel im Hotel schlafen können. Da habe ich gesagt: Also, Jungs, bitte, das machen wir nicht mehr! Ich habe da meine Prinzipien. Um acht Uhr wird geweckt, um halb neun sitzen alle am Frühstückstisch. Wir treffen uns jetzt auch nicht erst in letzter Sekunde vor dem Training, sondern eine Stunde vorher. Und wir haben ein paar Liegen besorgt, damit die Spieler zwischen den Einheiten ausruhen können und nicht nach Hause fahren müssen. Wir essen auch gemeinsam auf dem Trainingsgelände. Organisation ist alles.
Der Erfolg spricht für Sie. Nach zuletzt vier Siegen hintereinander wird in Hamburg schon vom UI-Cup gesprochen.
Das werden Sie von mir nicht hören. Wir sind im Abstiegskampf. Hier hebt keiner ab, dafür sorge ich. Wenn doch einer meint, er müsste träumen, dann brauche ich ihn nur zu fragen, was er in den vergangenen acht Monaten geleistet hat. Nichts! Ich bin nicht der Spielverderber beim HSV, ich will Spaß vermitteln, aber ohne Härte geht es nicht. Wir brauchen 40 Punkte und haben gerade mal 27.
Sie haben seit 2005 als Trainer in der holländischen Ehrendivision bei Roda Kerkrade gearbeitet, die Bundesliga aber nie aus den Augen verloren. Wie haben Sie den Hamburger Absturz aus der Ferne erlebt?
Ehrlich gesagt, ich habe in den Niederlanden nicht so viel von Hamburg mitbekommen. Aber ich wusste, dass viel Qualität in der Mannschaft steckte. Ich frage mich noch heute, was da schiefgelaufen ist. In siebzehn Spielen zwölf Unentschieden, nur ein Sieg – wie ist das möglich?
Hatten die Spieler eine Erklärung dafür?
Das verrate ich Ihnen doch nicht. Ich höre mir erst an, was die Spieler zu sagen haben, danach mache ich mir ein Bild. Es ist hier beim HSV wie bei allen Klubs in dieser Zeit. Manche Profis sind fast noch Kinder. Junge Leute, die große Autos fahren und viel Geld verdienen. Damit muss ein junger Mensch erst mal klarkommen. Ich war in diesem Alter stolz, dass ich überhaupt einen Vertrag bekam. Jeden Tag bin ich mit dem Fahrrad zum Trainingsplatz gefahren. Das Geld war klein, sehr klein, und ich habe alles zu Hause abgegeben. Wir waren eine große Familie, fünf Brüder.
Ihr Vater starb, als Sie 17 waren.
Er war Bergmann und kam bei einem Unfall ums Leben. Mein Vater hat noch ein Jahr erleben können, wie sein Sohn Profi wird. Darüber bin ich glücklich, das macht mich stolz. Meine beiden kleinen Brüder waren vier und sechs, die beiden älteren waren aus dem Haus. Also haben meine Mutter und ich uns um die Kleinen gekümmert. Das war nicht einfach. Aber du lernst, was wirkliche Verantwortung ist. Das waren leider sehr lehrreiche Jahre. Deshalb lege ich großen Wert darauf, dass meine jungen Spieler lernen, was für einen schönen Beruf sie haben.
Wie vermitteln Sie angehenden Millionären diese Werte?
Du musst die Jungs provozieren, damit sie wissen, was sie jeden Tag leisten. Ich bin mit Schalke unter Tage gegangen, in ein Bergwerk, mit Helmen und Lampen. Vielleicht besuchen wir mal den Hamburger Hafen, damit die Jungs sehen, wie andere Männer jeden Tag hart schuften müssen. Das schärft die Sinne.
Es heißt, Ihr Vorgänger Thomas Doll sei zu nett zu den Spielern gewesen.
Ich habe Respekt vor seiner Arbeit. Die Verantwortung für das, was auf dem Platz geschieht, liegt zuerst bei der Mannschaft. Thomas Doll schießt keine Tore für den HSV, und ich schieße auch keine.
Sie kennen Dolls Situation aus eigener Erfahrung. Als Sie Berlin vor drei Jahren verlassen mussten, stand Hertha BSC auf dem vorletzten Platz. Unter Ihrem Nachfolger Hans Meyer wurde die Mannschaft noch Zwölfter …
… und ich habe mich sehr darüber gefreut. Für Hertha und für Hans. Wir beide kennen uns schon aus Holland. Er hat Twente Enschede trainiert, ich Roda Kerkrade. Der Kontakt ist nie abgerissen. Haben Sie mal Thomas Doll gesprochen?
Ja, am Telefon. Und er hat mir nach einem Sieg eine SMS geschrieben und gratuliert. Thomas ist froh, dass wir die letzten Spiele gewonnen haben.
Ihr Comeback in der Bundesliga verlief sehr kurios. An einem Freitagabend haben sie sich mit dem HSV geeinigt. Am nächsten Tag saßen Sie schon auf der Bank, ausgerechnet im Spiel bei Ihrem früheren Verein Hertha BSC.
Ich habe mich am Abend mit dem Spielerrat zum Essen getroffen. Die Jungs haben gefragt: Trainer, sitzen Sie morgen auf der Bank? Ich habe gesagt, mehr als Unterstützung kann ich nicht geben, ich habe euch nicht mal im Training gesehen.
Wann ist der HSV an Sie herangetreten?
Am Montag vor dem ersten Spiel in Berlin hat sich ein Bekannter am Telefon gemeldet und gesagt: Der HSV hat Interesse. Darf ich deine Telefonnummer weitergeben?
Sie hatten einen Vertrag in Kerkrade …
… aber es war bekannt, dass ich nach dieser Saison aufhören wollte. Danach sollte ich Sportdirektor werden, aber dafür bin ich noch zu ehrgeizig. Ich wollte noch einmal in die Bundesliga.
Hat Ihre Frau nicht protestiert? Weil sie so schwer erkrankt war, haben Sie vor anderthalb Jahren den 1. FC Köln verlassen.
Meiner Frau geht es wieder gut. Natürlich war sie einverstanden, sie war bei dem Gespräch mit dem HSV dabei und hat Kaffee gekocht.
Schalke, Hertha, Köln, Hamburg – in Deutschland sind Sie immer gefragt. Warum waren Sie nie bei einem großen Klub in Ihrer Heimat? Bei Ajax, Feyenoord oder Eindhoven.
Moment, ich war 18 Jahre lang beim PSV Eindhoven!
Als Spieler und Jugendtrainer …
... und für zehn Spiele Cheftrainer, als ich Bobby Robson während einer Krankheit vertreten habe. Später wollte mich der PSV noch einmal, hat sich aber für Ronald Koeman entschieden. Das lief stillos ab, ich fühlte mich nicht angemessen behandelt, immerhin habe ich als Spieler und Trainer 18 Jahre lang für den Verein gearbeitet. Ob ich in Deutschland mehr geschätzt werde? Vielleicht.
In Deutschland kursieren zwei Vorurteile über Sie. Das eine besagt, dass Sie sehr streng sind und nicht lachen können.
Das sind Momentaufnahmen vor der Kamera, die sich die Leute merken. Ich werde doch nur nach einem Spiel gefilmt, da bin ich total angespannt. In Deutschland werden die Menschen gern und schnell in Schubladen gesteckt und nicht mehr rausgelassen. Auf meiner Schublade steht: harter Hund.
Das zweite Vorurteil basiert auf einem Satz, den Sie zu Ihrer Schalker Zeit gesagt haben.
Die Null muss stehen! Ich habe diesen Satz nur einmal gesagt, vor einem Europapokal-Spiel gegen Valencia. Es war ein guter, ein wichtiger Satz. Wir haben zu null gespielt, sind weitergekommen und haben am Ende den Uefa-Cup gewonnen.
Seitdem haben Sie Ihren Ruf weg als humorloser Defensivfanatiker. Ihre Bilanz beim HSV scheint dieses Vorurteil zu bestätigen. In den letzten vier Spielen hat der HSV nur ein Gegentor kassiert.
Stimmt. Aber wir haben im selben Zeitraum auch neun Tore selbst geschossen. Was sagen Sie dazu?
Das Gespräch führten André Görke und Sven Goldmann.
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