
© dpa/Hendrik Schmidt
„Wir haben versucht, das System auszutricksen“: Norwegens Skispringer gestehen Manipulation bei WM
Ein Video zeigt, wie das Gastgeberland unerlaubterweise das Material verändert. Die Entrüstung ist entsprechend groß. Und es stellt sich die Frage, wie Derartiges künftig verhindert werden kann.
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Sechs Jahre ist es nun her, dass die Nordische Ski-WM im österreichischen Seefeld überschattet wurde von einem Skandal. Im Rahmen der Doping-Razzia „Operation Aderlass“ nahmen die Polizei und ein Sonderkommando Langläufer und Komplizen des Doping-Arztes Mark Schmidt fest.
Bei der Nordischen Ski-WM im norwegischen Trondheim, die an diesem Sonntag zu Ende geht, trüben üble Machenschaften erneut die sportlichen Leistungen. „Es ist für mich eine Verarschung. Es ist eine klare Manipulation und klarer Sportbetrug, ähnlich wie Doping“, wetterte Polens österreichischer Cheftrainer Thomas Thurnbichler. Damit bezog er sich auf manipulierte Anzüge der norwegischen Skispringer, die eine ganze Sportart in ein schlechtes Licht rücken.
Im WM-Einzelspringen von der Großschanze, auf dem bei einem solchen Event immer besondere Aufmerksamkeit liegt, wurden mit Marius Lindvik, Johann André Forfang und Kristoffer Eriksen Sundal gleich drei norwegische Athleten wegen nicht regelkonformer Anzüge disqualifiziert. Vorausgegangen war ein Protest von Österreich, Polen und Slowenien.
Unerlaubte Veränderung der Sprunganzüge
Grundlage dafür ist ein Video, auf dem zu sehen ist, wie an einem Sprunganzug genäht wird. Sie sind wohl unerkannt von den Beteiligten und durch eine Lücke in einem Vorhang aufgenommen worden. Für einen Laien ist die Manipulation schwer erkennbar, aber die Untersuchungen haben den Verdacht bestätigt.
Bei Kontrollen habe man sehen können, dass „etwas nicht regelkonform war“, sagte Sandro Pertile, Renndirektor des Internationalen Skiverbandes (FIS), in der Sportschau. In den Nähten der Anzüge sei ein anderes Material gefunden worden.
Ich habe ein paar Dinge gesehen, wo eine Nation wilde Dinge macht, die völlig untendurch sind.
Stefan Horngacher, Skisprung-Bundestrainer der deutschen Männer
„Anscheinend haben sie vom Knie weg bis zum Schritt auf der Innenseite ein steifes Band eingenäht − das ist nicht erlaubt und das bewirkt eher, dass es steifer wird“, erklärte Österreichs Cheftrainer Andreas Widhölzl die Veränderungen. Die zusätzliche Stabilität hilft den Springern beim Fliegen in der Luft.
Die allgemeine Entrüstung ist entsprechend groß. „Ich habe ein paar Dinge gesehen, wo eine Nation wilde Dinge macht, die völlig untendurch sind. Man kann das nicht unter den Teppich kehren. Die verantwortlichen Leute müssen reagieren“, sagte Stefan Horngacher, Bundestrainer des deutschen Teams.
Norwegisches Team spielt den Vorgang zunächst herunter
DSV-Sportdirektor Horst Hüttel hatte sich ähnlich geäußert: „Ich bin ein Stück weit geschockt. Die Vermutung liegt nahe, dass hier systemisch betrogen wurde“, sagte er der ARD.
Das norwegische Team spielte den Vorgang zunächst herunter. Sportdirektor Jan Erik Aalbu hatte am Samstag gesagt: „Es hat sich nicht um Manipulation des Anzugs gehandelt. Das ist kein Betrug, das ist kein Doping.“
Wir haben alle enttäuscht, die das Skispringen lieben. Ich möchte mich bei den anderen Nationen, den WM-Organisatoren und den Fans entschuldigen. Ich bin selbst schockiert über diese Enthüllungen.
Norwegens Sportdirektor Jan Erik Aalbu
Bei einer Pressekonferenz am Sonntag im Teamhotel räumte das Team den Betrug dann allerdings ein. „Wir haben Änderungen an den Anzügen vorgenommen in dem Wissen, dass sie nicht legal sind. So wie ich das sehe, haben wir betrogen. Wir haben versucht, das System auszutricksen. Das ist inakzeptabel“, sagte Aalbu. Die betroffenen Springer sollen davon nichts gewusst haben. Nach seiner Aussage waren die Anzüge Lindviks und Forfangs betroffen, nicht aber der von Sundal.
Aalbu sagte weiter: „Wir haben alle enttäuscht, die das Skispringen lieben. Ich möchte mich bei den anderen Nationen, den WM-Organisatoren und den Fans entschuldigen. Ich bin selbst schockiert über diese Enthüllungen.“ Cheftrainer Magnus Brevig, der im Manipulations-Video zu sehen war, fehlte bei der Pressekonferenz und soll bereits nach Oslo abgereist sein. Aalbu selbst versicherte, dass er keine Kenntnis von den Manipulationen hatte.
Neben dem Riss, der sich nun in der Sportart auftut und dafür sorgt, dass es ein grundsätzliches Misstrauen in der ohnehin heiklen Materialfrage gibt, stellt sich natürlich die Frage, wie man zukünftig eine solche Manipulation verhindert und wie man die anhalten Debatten um die Skisprunganzüge etwas eindämmen kann.
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Der frühere Vierschanzentourneegewinner Sven Hannawald regte als ARD-Experte eine grundlegende Veränderung bei der Kontrolle ab: „Vielleicht muss die Überwachung der Anzüge so schnell wie möglich auf eine Maschine übergeben werden. So wie es einen Scanner gibt, gibt es vielleicht die Möglichkeit, das von einem Computerprogramm kontrollieren zu lassen. Dem Computer ist es egal, ob das zwei Millimeter sind.“
Der Weltverband Fis gab ein sehr unglückliches Bild ab. Material-Kontrolleur Christian Kathol hatte vor dem Wettbewerb noch angegeben, dass alle Anzüge gecheckt und für regelkonform befunden worden seien. Dann folgten die Disqualifikationen.
„Die unabhängige Ethik- und Compliance-Abteilung der FIS untersucht nun den Verdacht einer illegalen Manipulation der Ausrüstung durch das norwegische Team“, hieß es zunächst in einer Mitteilung des Weltverbandes.
Und so bleibt einmal mehr das Gefühl, dass eine Nordische Ski-WM mit Schlagzeilen endet, die nicht gerade Werbung für den Sport sind. (mit dpa)
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