zum Hauptinhalt
Die K-Pop-Band „Big Ocean“ hat fast 900.000 Follower auf Instagram – und setzt sich für die Sichtbarkeit von Menschen mit Beeinträchtigung ein.

© REUTERS/SOO-HYEON KIM

Paralympische Popkultur: Eine koreanische Band rührt die Werbetrommel für die Spiele

Die K-Pop-Band „Big Ocean“ hat fast 900.000 Follower auf Instagram – und setzt sich für die Sichtbarkeit von Menschen mit Beeinträchtigung ein.

Von Helen Päßler

Stand:

Zwei junge Koreaner sitzen vor ihrer Handykamera. Sie halten ihr Abendessen in die Linse, sprechen in einer Mischung aus Koreanisch und Englisch. Eine kleine Regelkunde gibt es für die rund 250 Zuschauenden des Livestreams noch, dann drehen sie die Kamera von sich weg und richten sie auf den Bildschirm vor ihnen.

Die zwei jungen Männer sind Bandmitglieder der K-Pop-Band „Big Ocean“. Es läuft das Viertelfinale der Männer im Rollstuhltennis bei den Paralympischen Spielen in Paris. Jeden Tag veranstaltet die Band, deren drei Mitglieder selbst mit einer Beeinträchtigung leben, sogenannte „Viewing Partys“ auf ihrem TikTok-Account. Die Mitglieder der Band leben selbst mit einer Beeinträchtigung.

Wie im K-Pop, südkoreanischer Popmusik, üblich, wurden die drei Bandmitglieder gecastet und einem harten Training unterzogen, um auf dem umkämpften Markt erfolgreich sein zu können. Sie alle hätten dabei unterschiedliche Motivationen gehabt. Hyunjin, einer der Bandmitglieder, sagte koreanischen Medien gegenüber, dass Menschen Hoffnung und positive Energie geben wolle.

Um ihre Musik so inklusiv wie möglich zu gestalten, übersetzt „Big Ocean“ ihre Lyrics in mehrere Gebärdensprachen, unter anderem die koreanische und amerikanische Gebärdensprache. Koreanischen Medien schreiben, die Band habe die Mission, ihr eigenes Genre, den S-Pop (für Sign language, dt.: Gebärdensprache) zu kreieren.

Damit die drei jungen Männer auch auf Bühnen auftreten können, hat das Management der Band, das sich ausschließlich auf Künstlerinnen und Künstler sowie Sportlerinnen und Sportler mit Beeinträchtigungen spezialisiert, besondere Lösungen bereitgestellt. Weil es für die Musiker aufgrund ihrer Hörbeeinträchtigung schwierig ist, den Takt zu halten, tragen die Künstler zum Beispiel vibrierende Smartwatches, ein Metronom gibt Lichtsignale.

Um auf Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen, machte „Big Ocean“ während der Paralympics kräftig Werbung für die Spiele in Paris. Mit knapp 900.000 Followern auf Instagram ist die Band im Vergleich zur wohl bekanntesten K-Pop-Band „BTS“ (über 75 Mio. Follower) zwar noch recht klein, verfügt aber dennoch über eine beachtliche Reichweite. Und: Wer zur virtuellen „Viewing Party“ kommt und ein Screenshot seiner Teilnahme postet, hat sogar die Chance, ein personalisiertes Video von einem der Mitglieder zu gewinnen – in der K-Pop-Szene ein kostbarer Schatz, der sicherlich den einen oder anderen Fan dazu bewegen wird, die Paralympics einzuschalten.

Marcus S. Kleiner, Kommunikations- und Medienwissenschaftler an der SRH Berlin University of Applied Sciences, glaubt, dass solche Aktionen Aufmerksamkeit für die Spiele und Themen rund um Inklusion generieren können. „Die marginalisierte Wahrnehmung der Paralympics ist ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt der 51-Jährige. Einige Themen seien in der Aufmerksamkeitsökonomie mehr oder weniger durchgefallen und gesamtgesellschaftlich ausgeblendet worden.

Neben einem Spiegel der Gesellschaft sei die (Nicht-)Repräsentation von Menschen mit Behinderungen allerdings auch ein Abbild gesellschaftlicher Wunschvorstellungen. Beispielsweise dem Wunsch nach Gesundheit, fügt Michael Fischer vom Zentrum für Populäre Kulturen und Musik der Universität Freiburg hinzu. Insofern sei die Popkultur in gewisser Weise ehrlich – sie reproduziere das, was die Mehrheit der Gesellschaft sehen möchte, erklärt er.

Eine Gefahr, dass die Gesellschaft sich in einer Art Hamsterrad aus „perfekten“ Wunschvorstellungen und der Reproduktion dieser befindet, sieht Fischer jedoch nicht. Die Veränderungen beispielsweise im Bereich der Werbung, die nun auch Körper präsentiere, die mit diesen Wunschvorstellungen brächen, zeigten, dass ein Wandel hin zu inklusiveren popkulturellen Leitbildern möglich sei – auch wenn dieser sicherlich noch Zeit benötigen werde.

Ein weiterer Schritt in diesem Prozess ist möglicherweise die Band „Big Ocean“ mit ihrem Ziel der Schaffung eines inklusiven Musikgenres. Die Popularität des K-Pop könne dabei helfen, eine Community zu aktivieren, die mit Inklusion und den Paralympischen Spielen sonst keine Berührungspunkte hätten, sagt Kleiner.

Einig sind sich beide Experten in ihrer Einschätzung, dass die Aufmerksamkeitslenkung bei Bands wie „Big Ocean“ aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nachhaltig sein wird. Laut dem Berliner Professor liegt das daran, dass die Paralympics lediglich das Sekundärereignis seien. Im Vordergrund stehe die Bindung an die Band, die durch die positiv besetzte soziale Agenda sogar noch verstärkt werde, während die Aufmerksamkeit für die Paralympics mit der Zeit wieder verschwände. Als Beispiel dafür führt Kleiner das Projekt „Band für Afrika“ an, mit dem deutsche Künstlerinnen und Künstler Spendengelder für afrikanische Länder sammeln wollten – und dann schnell wieder aus dem Fokus der Öffentlichkeit gerieten.

Hinzukommt, dass sich die Band „Big Ocean“ mit ihrer Musik im K-Pop-Bereich bewegt – einem sehr spezifischen Genre. Kleiner erklärt, dass deswegen nicht davon auszugehen sei, dass sich aus dem Vorstoß dieser Band ein globales Phänomen entwickele, selbst wenn sie auf dem koreanischen Markt erfolgreich werden sollten.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Popkultur grundsätzlich nichts zum gesellschaftlichen Wandel beitragen kann. „Die Popkultur war schon immer eine Agentin für Diversität“, erklärt Kleiner. Im Hip-Hop sei ethnische Diversität beispielsweise schon lange Normalität. Fischer betont insbesondere die Vorbildfunktion des Starkults für viele Menschen. Kulturelle Leitbilder entstünden in der Werbung, in Filmen, in der Popmusik und alleine die Debatte darum, welche Körper medial präsentiert werden, zeige, wie wirkungsvoll diese Darstellung sein kann.

Gerade im Bereich der Popmusik sieht Kleiner allerdings noch Nachholbedarf. „Die Inklusion ist ein blinder Fleck der Popkultur, insbesondere in der Musik“, erklärt er. Das läge vor allem an der sehr begrenzten Zeit eines Musikstücks. In zwei bis drei Minuten sei es schwierig, persönliche Geschichten zu erzählen, weswegen häufig auf Verallgemeinerung und Systemkritik zurückgegriffen werde. Kleiner selbst würde sich freuen, wenn Themen in der Popmusik individualisiert würden. „Die Gesellschaft braucht mehr Diversität und sie kann die Popkultur dafür nutzen“, sagt er.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })