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Radkolumne „Abgefahren“: Warum ich dem geistigen Alter nicht davonradeln kann
Sinnfreie Anglizismen und Sechstagerennen, die keine Rennen über sechs Tage sind: Unser Kolumnist versteht die (Rad-)Welt nicht mehr.

Stand:
Alt werden ist ein schleichender Prozess. „Auch die alten Rad-Profis werden jedes Jahr ein Jahr älter“, lautet ein komplett sinnbefreiter, aber immerhin wahrer Radfahrer-Spruch. Ich habe das Thema bisher immer an meinen Leistungswerten fest gemacht. Diese sind nach wie vor auf niedrigem Niveau noch ganz okay. Und da auch meine absolut unbestechlichen und emotionslosen Trainings-Apps mein Fitnessalter zehn Jahre zurückdatieren, sollte ich physisch noch eine Weile durchhalten können.
Doch keine dieser Apps scheint das geistige Altern zu tracken. Zuletzt ließen mich zwei Nachrichten aus der Welt des Radsports zur Erkenntnis gelangen: Ich bin jetzt endgültig zu alt für diese Welt.
Im Rahmen einer Gala stellte der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) seinen neuen Namen vor. Der Dachverband der organisierten Radsportler in Deutschland nennt sich jetzt ganz griffig „German Cycling“. Im besten Werber-Sprech lieferte BDR-Präsident Rudolf Scharping dann auch gleich die Erklärung für den Namenswechsel: „Aufbauend auf dem beachtlichen Erbe und der Geschichte unseres 1884 gegründeten Verbandes nutzen wir die Chance, eine neue, zeitgemäße und wertebasierte Identität für den Radsport in Deutschland zu kreieren.“
Davon abgesehen, dass sich mein persönlicher Commitment-Faktor in Sachen Anglizismen-Verwendung in Grenzen hält, habe ich den Satz aus Verständnisgründen dreimal gelesen. Was das mit dem neuen Namen und dem Logo zu tun hat, habe ich am Ende leider immer noch nicht begriffen.
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Zudem hätte der Verband beim „Rebranding Prozess“ sehr viel Geld für die sicher nicht ganz billige Beratungsleistung der Kommunikationsagentur sparen können. Der teilweise deutschsprechende Schweizer Radsport-Verband nennt sich bereits seit 2000 „Swiss Cycling“, die Österreicher firmieren seit 2023 unter „Austria Cycling“. Ganz abgesehen von den sowieso englischsprachigen Beispielen wie „British Cycling“ und „USA Cycling“.
Sechstagerennen, ohne sechs Tage zu fahren?
Ebenfalls Zweifel an meiner geistigen Flexibilität kamen mir bei einer Regeländerung des Weltradsport-Verbandes UCI. Die Sechstagerennen müssen ab Januar 2025 nicht mehr über sechs Tage gefahren werden, dürfen aber weiter Sechstagerennen genannt werden. Die UCI stellt den Organisatoren frei, „die Dauer und das Programm“ einer Sechstage-Veranstaltung zu gestalten.
Die Veranstalter des sogenannten „Berliner Sechstagerennens“ wird das sicherlich freuen. Im kommenden Jahr sollen die Räder im Velodrom beim „Sixdays-Weekend“ (zu Deutsch: Sechstage-Wochenende) wieder nur über zwei Tage bewegt werden. Die Sieger des ersten Berliner Sechstagerennens Floyd MacFarland und Jimmy Moran drehen sich vermutlich kopfschüttelnd in ihren Gräbern um.
Die traurige Gewissheit, dass mich das Alter offenbar erwischt hat, wirkte nach und hatte mich zu einem gebundenen Buch greifen lassen. „Der Plan“ heißt das Werk des niederländischen Autors Nando Boers. Drei Jahre lang begleitete er das Team Jumbo-Visma bis zum Tour-Sieg 2022. Es handelt vom modernen Radsport. Den verstehe ich jedenfalls noch.
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