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Svetlana Moshkovich während der Spiele in Paris im Paralympischen Dorf.

© IMAGO/GEPA pictures

Sibirien sagt Servus: Moshkovich startet bei den Paralympics nicht mehr für Russland

Athleten aus Russland starten in Paris unter neutraler Flagge. Bis auf Svetlana Moshkovich, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Staatsbürgerschaft wechselte.

Von Anna Höhne

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Freiheit. Für Para-Radsportlerin Svetlana Moshkovich hart erkämpft und hochgeschätzt. Die gebürtige Russin geht bei den Paralympics für ihre neue Heimat Österreich an den Start. Damit wird sie die einzige in Russland geborene Sportlerin sein, die in Paris ohne Auflagen an den Sommerspielen teilnehmen darf. Ihre früheren Mannschaftskollegen und die Vertreter von Belarus treten vereinzelt als neutrale Athleten an.

Seit den Winterspielen 2014 in Sotschi waren die russischen Farben bei den Paralympics nicht mehr vertreten. 2016 wurde das Land wegen Staatsdopings ausgeschlossen, 2018 und 2021 war eine Teilnahme nur unter neutraler Flagge erlaubt, 2022 wurde Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine erneut verbannt. Im selben Jahr beantragte Moshkovich die neue Staatsbürgerschaft.

Für die 40-Jährige handelte es sich dabei laut eigener Aussage um eine sportliche Entscheidung: „Mein Lebensmittelpunkt liegt seit neun Jahren in Österreich und mein Trainer wohnt in Deutschland“, erzählt Moshkovich Anfang Juni in einem Videotelefonat: „Daher war das für mich die logische Entscheidung, Österreich auch was zurückzugeben.“

Moshkovich wurde in Krasnojarsk, einer ostsibirischen Millionenstadt in Russland, geboren und wuchs dort auf. Nach der Schulzeit belegte sie die Studienfächer Englisch und Deutsch. 2004 kam es dann zu einem schweren Autounfall, bei dem ihr Lebenspartner starb und die damals 20-jährige Moshkovich mit einer Querschnittlähmung überlebte. Sie habe mehrere Jahre gebraucht, die traumatischen Ereignisse zu verarbeiten.

Hier fühlte ich mich auch als Rollstuhlfahrerin in die Gesellschaft aufgenommen.

Svetlana Moshkovich über ihre neue Heimat

2007 reiste Moshkovich für eine OP an der Wirbelsäule nach Deutschland – und „seitdem war für mich klar, wo ich meine Zukunft gestalten möchte. Hier fühlte ich mich auch als Rollstuhlfahrerin in die Gesellschaft aufgenommen.“ Auch das Handbiken probierte sie erstmals in Deutschland aus und war „auf Anhieb von dem Gefühl der Freiheit fasziniert“. Ein Handbike hat drei Räder und beim Fahren wird die Kraft der Arme genutzt, um die Kette anzutreiben.

Zwei Jahre darauf verließ Moshkovich ihre Heimat und kam für ihr Studium wieder nach Deutschland. Das deutsche Handbike-Team von Prothesenhersteller Ottobock unterstützte sie in den beiden darauffolgenden Jahren bei ihren ersten Rennen.

2011 suchte sie schließlich den Kontakt zum Russischen Paralympischen Komitee und startete fortan als erste Handbikerin für das Land. Die Bronzemedaille im Einzelzeitfahren bei den Paralympics 2012 in London ist bis heute ihr größter Erfolg. Bei den vergangenen Spielen in Tokio wurde sie Vierte im Straßenrennen. Damals noch als neutrale Athletin Russlands.

Diesem Dasein blickten ihre ehemaligen Landsleute in Paris erneut entgegen. Laut der russischen Nachrichtenagentur Tass nimmt Russland mit 92 Sportlern teil. Mannschaften sind nicht zugelassen. Ebenfalls ausgeschlossen sind Athleten, die den Krieg in der Ukraine aktiv unterstützt haben. Auch die Medaillen werden nicht offiziell gezählt. Sollte jemand aus Russland oder Belarus Gold gewinnen, erklingt bei der Zeremonie die paralympische Hymne.

Moshkovichs ehemaliger Teamkollege Alexey Obydennov gehört zu den Athleten, die nach einer Überprüfung ihrer politischen Neutralität nicht nach Paris kommen dürfen. Der Para-Radsportler hatte in den sozialen Medien Putin und den Krieg verherrlicht. Die Entscheidung des Internationalen Paralympischen Komitees kommentierte er mit den Worten: „Die Heimat ist wichtiger als Paris!“ Moshkovich habe kaum noch Kontakt zu den alten Weggefährten. Sie sei durch ihren Wohnsitz im Ausland ohnehin eher eine Einzelgängerin im Team gewesen.

Svetlana Moshkovich ist früher für Russland gestartet. Heute möchte sie ihrer neuen Heimat Österreich „etwas zurückgeben“.

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Dass Russland überhaupt schon wieder Athleten entsenden darf, obwohl der Krieg gegen die Ukraine weiterhin viele Tote fordert, war das Ergebnis einer Abstimmung im vergangenen Herbst. Die Nationalverbände aller Länder haben darüber entschieden. Der Deutsche Behindertensportverband hatte sich für einen weiteren Ausschluss starkgemacht. „Das ist kein gutes Zeichen, was wir da in die Welt aussenden“, sagt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher zu dem für ihn überraschenden Entschluss und spricht von einem sportpolitischen Skandal. Eine Überprüfung auf politische Neutralität hält er sowieso für „Augenwischerei“: „Das sind doch alles Staatssportler.“

Moshkovich will sich zu der Thematik nicht äußern. Seit 2015 wohnt sie über 5000 Kilometer Luftlinie von ihrer Heimat entfernt und genießt in Innsbruck nun die Vorzüge ihrer neuen Staatsbürgerschaft. Als ehemalige Flugbegleiterin in der Zeit vor ihrem Unfall und Tochter eines Piloten hat das Reisen für sie eine große Bedeutung – andere Sprachen und Kulturen kennenzulernen seien für sie ein wichtiger Ausgleich zum Leben als Profisportlerin.

Während es den Teilnehmenden aus Russland in Paris untersagt ist, an der Eröffnungs- und Abschlusszeremonie teilzunehmen, war Svetlana Moshkovich zu Beginn der Paralympics die Champs-Élysées entlanggerollt und konnte die feierliche Stimmung aufsaugen. Ein weiteres Stück Freiheit für die Österreicherin aus Sibirien.

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