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Bei der Mecklenburger Seenrunde fahren mehrere Tausend Radfahrer 300 Kilometer an einem Tag durch die Mecklenburger Seenplatte.

© MSR/Florian Selig

Training für die Tour des Lebens: Mein Rad-ab-Abenteuer

Bei der „Mecklenburger Seen-Runde“ fahren ein paar Tausend Verrückte 300 Kilometer – an einem Tag. In diesem Jahr bin ich dabei. Die Frage ist, wie lange.

Stand:

Wenn Detlef Koepke einst meine Handynummer weggeworfen hätte, hätte ich jetzt ein Problem weniger. Wir waren uns 2018 bei einer Radtour durch Mecklenburg begegnet, und Koepke hatte schon damals signalisiert, dass wir noch voneinander hören würden. Im Herbst war es so weit.

Koepke rief an mit der Nachricht, dass die Tagesspiegel-Leser vom lebensverändernden Effekt der Mecklenburger Seen-Runde (MSR) erfahren sollten. Davon, wie man zu einem insgesamt fitteren, robusteren Menschen wird und seine mentalen Grenzen verschiebt, indem man die körperlichen einmal ausreizt. Um das zu verstehen, müsse man – genauer gesagt: ich als Berichterstatter – einmal mitgefahren sein.

Die MSR führt als 300-Kilometer-Loop durch die Mecklenburger Seenplatte, was klar für die Teilnahme spricht. Was ebenso klar dagegenspricht: Die 300 Kilometer werden an einem einzigen Tag gefahren, und der Preis der wunderbaren Landschaft aus Hügeln und Seen sind 1600 Höhenmeter.

Start und Ziel ist der Mecklenburger Seenrunde ist in Neubrandenburg.

© MSR/André Klevenow

Wir verblieben so, dass ich es mir überlegen wollte, woraufhin mich der Hansdampf Koepke zu meinem Entschluss beglückwünschte. Der Geschäftsführer der Koepke GmbH, der sich seit unserem Treffen in einen Burnout hinein- und wieder herausgearbeitet hatte, lobte mein Mindset und buchte mir einen Startplatz. Der Termin ist am langen Wochenende nach Himmelfahrt; gestartet wird in Blöcken ab Freitagabend 20 Uhr im Stadtpark von Neubrandenburg. Bis Samstag um Mitternacht muss man angekommen sein, sonst holt einen der Besenwagen.

Die Inspiration zur MSR hat Koepke sich in Schweden geholt, wo bei der „Vätternrundan“ seit 1966 ein paar Tausend Verrückte die 315 Kilometer um den zweitgrößten See des Landes fahren. 2014 hat er die Premiere in Meck-Pomm organisiert. Damals fuhren knapp 2000 Leute mit; jetzt seien 4500 angemeldet, davon 3700 für die große Runde.

Es sind vor allem echte Radsportler, aber Koepke buhlt weniger um rasende Rudel (die kommen eh) als um Normalos, die auch mal in die Landschaft gucken statt nur auf den Tacho. Die Straßen werden für den Autoverkehr nicht gesperrt, aber von den angekündigten 700 Helfern sollen sich einige auch um Verkehrssicherheit kümmern.

30.000
Radfahrer haben die Mecklenburger Seenrunde seit der Premiere 2014 absolviert.

Der von einem Sportwissenschaftler erstellte Trainingsplan auf der Webseite der MSR erstreckt sich über 24 Wochen, hat also kurz vor Weihnachten begonnen, als es um 16 Uhr dunkel war und das Thema damit erledigt. Muss ja niemand wissen, dass ich gar kein Rennrad habe, sondern ein Trekkingrad mit Beleuchtung. Ich habe mir die Einsteigervariante des Plans ausgedruckt, weil man da sonntags meistens freihat. Fortgeschrittene, die halbwegs würdevoll und zügig ankommen wollen statt nur lebend, müssen auch sonntags ran.

150 Kilometer schaffst du selbst, 100 trägt dich die Gruppe, 50 die Euphorie.

Detlef Koepke, Initiator der Mecklenburger Seenrunde

Den sonnigen März habe ich für ein paar Tagestouren im flachen Berliner Umland genutzt, meist etwas über 100 Kilometer. Egal, wie früh ich gestartet bin: Wenn ich ankam, dämmerte es immer schon. Und ich war mausetot und etwas beunruhigt, aber auch glücklich. Vielleicht ist das der Beginn der von Koepke angekündigten Lebensveränderung. Als ich erwähnte, dass ich im vorigen Jahr mal 140 Kilometer an einem Tag gefahren bin, rief Koepke erfreut ins Telefon: „150 schaffst du selbst, 100 trägt dich die Gruppe, 50 die Euphorie!“ Wäre das also auch geklärt.

Ein Projekt für die Midlife-Crisis? Ja, aber vielleicht nicht das ideale.

Die Resonanz im Bekanntenkreis ist bisher durchwachsen. Meine Mutter sprach: „Mecklenburg im Mai, wie schön!“ Und beim Hinweis auf die 300 Kilometer am Stück: „Das ist ja beknackt!“ Meine Tochter sagt, ich nerve. Meine Frau sagt, ich solle den Termin bitte im Familienkalender eintragen. Ein älterer Kollege, der jeden freien Tag auf dem Rennrad verbringt und von dem ich moralischen Beistand erhoffte, knurrte, ihm sei die MSR zu lang: „Nach spätestens 150 Kilometern will ich vor meinem Bier sitzen.“

Als ich einer Freundin die Tour als mögliches Midlife-Crisis-Projekt vorstellte, riet sie mir zu Alternativen, bei denen der körperliche Verfall weniger zutage tritt. Das war hart, zumal ich mich stets bemühe, mich nicht wie ein Teenie zu benehmen, aber auch nicht meine Altersweisheit zur Schau zu stellen oder jüngere Frauen mit meinem Charme zu belästigen.

Ende Mai kommt die Stunde der Wahrheit. Der Trainingsplan sieht ab April auch mal sechs Stunden am Stück vor, ohne Vollgas. 1000 bis 1400 Trainingskilometer gelten als Versicherung, die Tour zu schaffen. Ich habe mich für 20 Euro extra für eine Gruppe angemeldet, die zur MSR morgens halb vier startet und etwa Tempo 22 fahren soll. Inklusive sieben viertelstündiger Pausenstopps müssten wir demnach vor der „Tagesschau“ wieder in Neubrandenburg angekommen sein. Die Abfahrtszeiten des Besenwagens bekomme ich sicher mit den Teilnahmeunterlagen.

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