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Tristesse im Land des viermaligen Weltmeisters: „Die WM ohne Italien ist wie Rom ohne Kolosseum“
Die WM in Katar ist in Italien trotz der zweiten verpassten Qualifikation in Folge ein Thema. Statt Begeisterung ist allerdings ganz viel Wehmut zu spüren.
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Auf der Leinwand läuft das Spiel der deutschen Mannschaft gegen Spanien, der Laden ist gut gefüllt, an der Bar wird Birra Messina und Grappa bestellt. Was soll man auch machen an einem regnerischen Sonntagabend in einem kleinen sizilianischen Bergdorf? Eine besondere Passion für das Geschehen in Katar ist dennoch kaum zu spüren und da geht es den 800 Einwohnern auch nicht anders als den fast 60 Millionen Italienern im Rest des Landes.
Die Spiele werden eher pflichtschuldig nebenbei verfolgt – es ist schließlich eine Weltmeisterschaft und Italien ein fußballbegeistertes Land. Eigentlich. Denn „die WM ohne Italien ist wie Rom ohne Kolosseum“, sagt Francesco Totti, Weltmeister von 2006 und der größte Fußballer, den die Ewige Stadt je hervorgebracht hat.
Das staatliche Fernsehen hat für das Turnier mit mehr als 100 Mitarbeitern vor Ort trotzdem groß aufgefahren, nachdem die WM in Russland noch bei Berlusconis Privat-Sendergruppe Mediaset lief. Der Rai blieb allerdings auch nicht viel anderes übrig, schließlich hat sie Berichten zufolge für die Übertragungsrechte rund 160 Millionen Euro gezahlt – in der festen Überzeugung, dass Italien als amtierender Europameister natürlich mitspielen würde. Vor einem Jahr beim begeisternden EM-Triumph schauten das Finale noch 20,6 Millionen Menschen.
Doch selbst im Vergleich zur WM vor vier Jahren, als Italien ebenfalls nicht qualifiziert war, sind die Einschaltquoten bei den bisherigen Vorrundenspielen um 20 Prozent gesunken. Beim Spiel der deutschen Mannschaft gegen Spanien schauten immerhin 7,6 Millionen Menschen zu. Das DFB-Team steht bei den Tifosi dennoch nicht sonderlich hoch im Kurs.
In einer Umfrage der „Gazzetta dello Sport“ wünschten 35 Prozent der Teilnehmer Argentinien um Superstar Lionel Messi den Titel, gefolgt mit großem Abstand von Rekordweltmeister Brasilien (6 Prozent). Das hat auch damit zu tun, dass für die südamerikanischen Titelanwärtern zahlreiche Spieler aus der Serie A auflaufen.
Wenn man schon nicht mit der Squadra Azzurra mitfiebern kann, dann zumindest mit den Lieblingsspielern
Es ist eine Strategie der Italiener, um irgendwie doch noch einen emotionalen Zugang zu diesem kontroversen Turnier zu finden. Wenn man schon nicht mit der Squadra Azzurra mitfiebern kann, dann zumindest mit den eigenen Lieblingsspielern. Allein bei Rekordmeister Juventus Turin stehen elf WM-Teilnehmer unter Vertrag, insgesamt sind immerhin stolze 65 Profis aus der Serie A in Katar im Einsatz.
Doch all diese Zahlen bilden die seltsame Stimmung im Land nur ungenügend ab. Eine WM ohne Italien, daran will sich trotz des zweiten Qualifikationsunfalls in Folge niemand gewöhnen. „Bei der WM sucht die Welt verzweifelt nach einem gemeinsamen Nenner, und gelegentlich gelingt es ihr auch. Nicht da zu sein, ist ein kleiner Schmerz“, beschrieb Beppe Severgnini, einer der bekanntesten Journalisten des Landes, das italienische Dilemma im „Corriere della Sera“.
Dazu kommt der Austragungszeitpunkt im Herbst. Im Sommer findet das Leben in Italien fast ausschließlich draußen statt, Bars und Restaurants bauen ihre Fernseher auf, es wird diskutiert, mitgefiebert und gefachsimpelt. Dieses verbindende Element fehlt nun zu großen Teilen, schließlich sind November und Dezember auch im Süden Europas nicht gerade die angenehmsten Monate.
Und ganz ohne Italiener geht es dann doch nicht bei der Weltmeisterschaft in Katar: Mario Ferri, auch „der Falke“ genannt, stammt aus der Pescara an der Adria. Er war in der Vergangenheit mehrfach durch Flitzer-Aktionen aufgefallen und hatte am Montagabend beim Spiel Portugal gegen Uruguay seinen großen Auftritt als er im „Superman“-T-Shirt mit Botschaften und einer Regenbogenfahne über den Rasen lief (siehe Kommentar auf Seite 34).
Seinen wohl ersten bekannter Auftritt hatte er schon im Jahr 2009. In einem Länderspiel zwischen Italien und den Niederlanden setzte er sich dafür ein, dass der damalige italienische Stürmer Antonio Cassano in den Kader der WM 2010 berufen wird – ohne Erfolg. Cassano selbst eskortierte den „Falken“ vom Platz und sagte dem Offiziellen: „Er ist ein guter Junge, ich bürge für ihn.“
Aber das ist natürlich nur ein Nebenschauplatz, ohnen sportlichen Wert für die fußballbegeisteren Menschen im Land des Europameiisters. Eine beruhigende Nachricht gibt es aus Italien aber doch. Gut unterrichtete Quellen versichern, dass das Kolosseum immer noch an seinem angestammten Ort steht. Was sind schon (mindestens) zwölf Jahre ohne WM für ein fast 2000 Jahre altes Wahrzeichen.
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