zum Hauptinhalt
Beim Platzsturm im Hamburger Volksparkstadion gab es viele Verletzte.

© IMAGO/Lucca Fundel

Verfrüht, folgenschwer oder gar kriminell: Denkwürdige Platzstürme im Fußball

Kaum ein Aufstieg oder Titelgewinn, ohne dass Fans jubelnd auf das Spielfeld rennen. Der Platzsturm im Fußball ist umstritten – und in manchen Fällen mehr als grenzwertig. Eine Auswahl.

Stand:

Der Hamburger SV ist nach sieben Jahren zurück in der Fußball-Bundesliga. Ein Aufstieg ohne Platzsturm ist mittlerweile kaum noch vorstellbar und so drängten auch im Volksparkstadion nach Abpfiff Tausende Fans auf den Rasen. Es wurde gesungen, gefeiert und getrunken, allerdings gab es auch unschöne Szenen. Laut einem Feuerwehrsprecher mussten infolge der Aufstiegsparty 44 Menschen medizinisch versorgt werden, 20 wurden schwer verletzt, ein Mann kam mit lebensbedrohlichen Verletzungen ins Krankenhaus.

Es ist ein schmaler Grat zwischen ausgelassener Feier, drohenden sportlichen Konsequenzen und gefährlicher Eskalation. Das zeigen auch etliche Beispiele aus der Vergangenheit.


Relegation zwischen Düsseldorf und Hertha – 2012

Das Rückspiel zwischen Düsseldorf und Hertha stand kurz vor dem Abbruch und beschäftigte anschließend die Sportgerichte.

© imago/DeFodi

Das Relegationsrückspiel zwischen dem damaligen Zweitligisten Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC beschäftigte das Sportgericht noch lange. Nach dem 2:1 der Fortuna im Hinspiel im Berliner Olympiastadion eskalierte die Situation im Rückspiel.

Beide Fanlager warfen schon früh in der zweiten Hälfte Bengalos auf den Rasen und brachten das Spiel an den Rand des Abbruchs. In der Schlussphase drängten beim Stand von 2:1 immer mehr Düsseldorfer Fans in den Innenraum und etwa anderthalb Minuten vor dem Ende der siebenminütigen Nachspielzeit stürmten mehrere Hundert Fortuna-Anhänger das Spielfeld, vermutlich hatten sie einen Foulpfiff für das Spielende gehalten. Sie zündeten weitere Bengalos, rissen Teile des Rasens und eine Eckfahne heraus.

Schiedsrichter und Mannschaften flohen in die Kabinen, das Spiel wurde nach langer Unterbrechung zu Ende geführt. Anschließend gab es Auseinandersetzungen zwischen den Teams, auch Schiedsrichter Wolfgang Stark soll beleidigt und attackiert worden sein. Hertha BSC legte Einspruch gegen die Wertung des Spiels ein, vergeblich.

Der Berliner Linksverteidiger Lewan Kobiaschwili wurde bis zum Jahresende gesperrt, er soll Schiedsrichter Stark einen Faustschlag in den Nacken versetzt haben. Zusätzlich zahlte er eine Geldstrafe in Höhe von 60.000 Euro. Gegen die Fortuna wurde für die ersten beiden Heimspiele der Folgesaison ein teilweiser Zuschauerausschluss verhängt.


Roda Kerkrade ergeht es wie Schalke 04 – 2024

Roda Kerkrade feierte wegen eines Missverständnisses zu früh und verspielte den Aufstieg am letzten Spieltag.

© dpa/Marcel van Hoorn

In Kerkrade gab es weder Verletzte noch ein großes sportgerichtliches Nachspiel, aber ein menschliches Drama für Tausende Fans. Am vorletzten Spieltag der Saison 2023/24 befand sich Roda Kerkrade im Fernduell mit dem FC Groningen um den Aufstieg in die niederländische Eredivisie. Kerkrade gewann 2:0 gegen Cambuur Leeuwarden und wartete auf Nachrichten vom parallel stattfindenden Spiel zwischen Groningen und Telstar Velsen.

In der fünften Minute der Nachspielzeit fiel dort der 1:1-Ausgleich – und das Unheil nahm seinen Lauf. Kerkrades Stadionsprecher sagte fälschlicherweise durch, dass Velsen das 2:1 erzielt hätte. Damit wäre Roda der Aufstieg nicht mehr zu nehmen gewesen. Die Fans stürmten auf das Spielfeld und feierten. Bis sie wie 2001 die Anhänger von Schalke 04 mitbekamen, dass es dafür noch gar keinen Grund gab.

Es sei ein Missverständnis gewesen, sagte Stadionsprecher Wim Frijns kurz darauf „ESPN“. „Ich bin ein bisschen dumm gewesen, bin aber überzeugt, dass es nächste Woche wieder gut wird.“ Wurde es nicht. Am letzten Spieltag traf Kerkrade auf den drei Punkte dahinter platzierten Verfolger Groningen, verlor 0:2 und verpasste den Aufstieg wegen des schlechteren Torverhältnisses.


Clint Eastwood in Saloniki – 2018

Iwan Savvidis wurde nach dem Eklat im Spiel gegen AEK Athen mit einem dreijährigen Stadionverbot belegt.

© AFP/SAKIS MITROLIDIS

Ob Fans etwas auf dem Rasen zu suchen haben, kann man grundsätzlich infrage stellen. In den bisherigen Fällen geschah der Platzsturm aber zumindest aus überbordender Freude. Es gibt aber auch viele andere Fälle, die grob unsportlich und in manchen Fällen schlicht kriminell sind.

Ein ebensolcher ereignete sich 2018 in Griechenland. Als im Topspiel zwischen Paok Saloniki und AEK Athen kurz vor Schluss der vermeintliche Siegtreffer aberkannt wurde, stürmte Paok-Präsident Iwan Savvidis auf das Spielfeld. Begleitet von sieben Bodyguards und deutlich sichtbar mit Pistole im Holster bedrängte er den Schiedsrichter.

Er hat den Schiedsrichter direkt vor mir bedroht. So etwas erwartet man in einem Clint-Eastwood-Film.

AEK-Trainer Manolo Jiménez

„Er hat den Schiedsrichter direkt vor mir bedroht. Ich bin fassungslos. So etwas erwartet man in einem Clint-Eastwood-Film“, sagte AEK-Trainer Manolo Jiménez.

Das Spiel wurde schließlich abgebrochen und es folgte eine Debatte über Gewalt in den Fußballstadien, die bis ins Parlament reichte. Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras ließ die Meisterschaft für fast einen Monat unterbrechen. Das Spiel wurde später mit 3:0 für AEK gewertet, Paok wurden drei Punkte abgezogen. Das Sportgericht bestrafte Savvidis, der zu den reichsten Russen gehört und als Freund von Wladimir Putin gilt, mit einem dreijährigen Stadionverbot und einer Geldstrafe in Höhe von 100.000 Euro.


Videobeweis nach zwei Stunden bei Olympia – 2024

Wütende marokkanische Fans protestierten gegen den Ausgleich der Argentinier – zwei Stunden später wurde dieser zurückgenommen.

© IMAGO/Frederic Chambert

Das Eröffnungsspiel des Olympischen Fußballturniers in Paris endete denkwürdig. Marokko hatte bereits mit 2:0 gegen Argentinien geführt, ehe die Südamerikaner verkürzten. In der 16. Minute der Nachspielzeit traf Cristian Medina zum vermeintlichen 2:2, woraufhin marokkanischen Fans das Spielfeld stürmten. Es ertönte ein Pfiff und die Mannschaften flohen in die Kabinen.

Der Liveticker vermeldete das Spielende, doch nach einigen Minuten hieß es, das Spiel sei nur unterbrochen worden. Etwa zwei Stunden später kehrten die Teams auf den Rasen zurück, die Zuschauer hatten das Stadion bereits verlassen.

Bevor er das Spiel wieder freigab, konsultierte Schiedsrichter Glen Nyberg den Videobeweis – und nahm das Tor wegen einer Abseitsstellung rund zwei Stunden nach seiner Erzielung zurück. Marokko gewann 2:1 und Argentiniens Trainer Javier Mascherano, der im Profifußball viel erlebt hat, sagte: „Das war der größte Zirkus, den ich je in meinem Leben gesehen habe.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })