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Vor der Fußball-WM in Russland: Das finale Casting der Nationalmannschaft

Das Spiel gegen Österreich ist für die Wackelkandidaten im deutschen Team die letzte Chance, sich zu empfehlen.

Der Ball zischte sauber über den Rasen. Von Manuel Neuer zu Kevin Trapp, zurück zu Neuer, von dort zu Andreas Köpke, zurück zu Neuer, von dort zu Bernd Leno, immer zwischen drei versetzt angeordneten Spielerdummies aus Stahl hindurch. Auch Torhüter verfügen heutzutage über stabile fußballerische Fähigkeiten. Das war am Freitagvormittag in Eppan gut zu beobachten, als die Keeper der Nationalmannschaft auf dem Trainingsplatz ihr Tagesprogramm aufnahmen. Marc-André ter Stegen ist auch ein anerkannt guter Torhüter; aber das war zunächst nicht zu sehen – weil er am Rand des Strafraums ein ausführliches Gespräch mit Bundestrainer Joachim Löw führte.

Sieben Minuten standen sie so da und redeten. Dann legte Löw dem Torhüter des FC Barcelona den linken Arm auf die Schulter und schlug mit der rechten Hand mit ihm ein. Auf der Tribüne lauerten die Fotografen, ihre Kameraverschlüsse bekamen Schnappatmung. War’s das jetzt für Marc-André ter Stegen und seinen Traum, bei der Weltmeisterschaft in Russland Deutschlands Nummer eins zu sein?

Botschaften werden überall vermutet

Die Dinge spitzen sich zu, die Nervosität steigt. An diesem Samstag findet das finale Casting vor der endgültigen Kadernominierung für Russland statt. In Klagenfurt trifft die Nationalmannschaft auf Österreich (Beginn 18 Uhr, live im ZDF). Am Sonntag wird Löw sich mit seinem Team zur finalen Beratung zusammenfinden und am Montag die betroffenen Spieler informieren. Einen Torhüter und drei Feldspieler muss der Bundestrainer bis zum Mittag noch aus seinem bisherigen Aufgebot streichen. Jede Begebenheit am Rande könnte also eine versteckte Botschaft enthalten.

Als Löw am Freitagmittag im Pressezelt in Eppan auf dem Podium saß, wurde er als erstes zu seinem ausführlichen Zwiegespräch mit ter Stegen befragt. „Wir haben ein bisschen geplaudert über Barcelona, über seine Saison und das Champions-League-Aus gegen Rom und wie gut er war“, berichtete der Bundestrainer und ließ danach eine feurige Lobrede auf den früheren Gladbacher folgen. Falscher Alarm also?

Dass Marc-André ter Stegen dem WM-Aufgebot angehören wird, steht außer Frage. Allein sein Status ist noch nicht abschließend geklärt. Der entscheidet sich am Samstagabend in Klagenfurt. Oder genauer: Manuel Neuer entscheidet darüber. Der Münchner soll erstmals seit mehr als acht Monaten wieder ein richtiges Fußballspiel bestreiten. „Wenn alles okay ist, wird er von Anfang an im Tor stehen“, kündigte Joachim Löw an. Bei Neuer sei im Trainingslager alles nach Plan gelaufen, er habe jede Einheit absolviert, müsse nun nur noch zeigen, „ob er alle Abläufe beherrscht“, sagte Löw. „Das Spiel ist sicherlich gut und hilfreich für uns und für ihn.“

Nicht nur für Neuer, den Kapitän, ist es die letzte Gelegenheit, finale Zweifel auszuräumen. „Von einem Spiel kann nicht alles abhängen, es ist nicht der Maßstab aller Dinge“, sagte Löw, „aber es spielt in die Entscheidung rein.“ Mats Hummels und Thomas Müller, die über die Saison am intensivsten beansprucht worden sind, bleiben in Eppan; sonst aber will Löw noch einmal so vielen Spielern wie möglich die Chance geben, sich zu empfehlen. Das Wechselkontingent werde er auf jeden Fall ausschöpfen, vielleicht sogar schon zur Pause zwei oder drei Spieler tauschen.

An der Sachlage hat sich für Außenstehende seit Beginn der Vorbereitung wenig geändert. Die meisten Trainingseinheiten fanden, genau wie die beiden Tests gegen die U 20, unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Wackelkandidaten von vor zehn Tagen sind also auch die Wackelkandidaten von heute. Vorausgesetzt alle bleiben gesund, wird es mindestens einen Innenverteidiger (Jonathan Tah und/oder Matthias Ginter) erwischen, möglicherweise Sebastian Rudy und Julian Brandt oder Leroy Sané.

Löw spricht sich für Petersen aus

Auch Nils Petersen, der gegen Österreich sein Länderspieldebüt feiern wird, stand auf der schwarzen Liste an prominenter Stelle, und nach den Eindrücken aus dem einzigen öffentlichen Training schien das nur gerecht zu sein. Der Stürmer vom SC Freiburg hatte arg zu kämpfen mit dem für ihn ungewohnten Niveau. Doch am Freitag sprach Löw dem 29-Jährigen schon fast so etwas wie eine WM-Garantie aus. „Es war klar, dass er erst mal schauen musste und zwei, drei, vier Tage braucht“, sagte der Bundestrainer. „Aber er hat sich jeden Tag ein bisschen entwickelt. Der Eindruck ist immer besser geworden.“ Petersen sei variabel, läuferisch gut, immer anspielbar, „der steht nicht nur vorne, er arbeitet auch viel“.

Am Sonntagabend wird Löw mit seinen Assistenten noch einmal diskutieren, Argumente austauschen, sich die Köpfe heiß reden. „Manchmal ist es auch nur ein Bauchgefühl“, sagte er. Der unangenehme Teil kommt dann am Montag nach dem Frühstück. Wer zwischen neun und halb elf einen Anruf vom Bundestrainer bekommt oder auf dem Hotelflur von ihm abgefangen wird, der weiß in der Regel, was ihm blüht. „Es ist kein schönes Gefühl“, sagte Löw. Nicht für ihn, vor allem aber nicht für die Spieler. „Es bricht eine kleine Welt zusammen.“ Aber manchmal ziehe ein Spieler auch die richtigen Schlüsse „und schwimmt zu neuen Ufern“. So wie Marc-André ter Stegen, den es vor sechs Jahren, mit gerade 20, erwischt hat. In Russland ist er nun schon die Nummer zwei. Mindestens.

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