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Wenig Licht, viel Schatten beim Giro d’Italia: Der deutsche Radsport steckt weiter in der Krise
Nico Denz schönt die deutsche Bilanz bei der Italien-Rundfahrt. Ansonsten hält der Abwärtstrend an, trotz aller Investitionen von Red Bull. Immerhin ein Talent macht Hoffnung.
Stand:
Der 108. Giro d’Italia hat einen Jungstar aus Mexiko hervorgebracht. 13 Tage verbrachte der erst 21 Jahre alte Isaac Del Toro im Rosa Trikot. Als Lernender gekommen, wurde er schnell zum Leader des derzeit weltbesten Radsportteams UAE Emirates.
Obwohl er am Samstag noch die Gesamtführung abgab und hinter dem Briten Simon Yates nur noch als Gesamtzweiter tags darauf zur Showfahrt zwischen Vatikan und Kolosseum in Rom antrat, bildet sein kometenhafter Aufstieg das Kontrastprogramm zur mageren deutschen Bilanz.
Lediglich einen Etappensieg gab es für die zehnköpfige deutsche Abordnung. Der unverwüstliche Nico Denz holte ihn mit einem beeindruckenden Soloritt als Ausreißer. Ebenfalls als Ausreißer stürmte Florian Stork zu einem zweiten Rang.
Im Gesamtklassement kam Stork als bester deutscher Profi auf Platz 20 – durchaus beachtlich, weil dies gewissermaßen als Nebenprodukt der Helferdienste für seinen australischen Kapitän, Michael Storer, gelang. Der Giro wurde für den mittlerweile 28 Jahre alten Ostwestfalen zur Bühne eines späten Durchbruchs. „Mein größter Erfolg bisher“, schätzte er seine eigene Leistung ein. Das Ziel für die nächsten Jahre: „Weiter nach oben kommen.“
Die Zeit der deutschen Supersprinter ist vorbei
So viel Zuversicht kann der deutsche Radsport gerade gut gebrauchen. Denn die Leistungskurve zeigte in den vergangenen Jahren immer weiter nach unten. Die Zeiten der Sprinterfolge durch Marcel Kittel und André Greipel (zusammen 25 Tagessiege bei der Tour de France und elf beim Giro) sind eindeutig vorbei.
Statt sich dank besonderer Explosivität aufs Sprintfinale vorzubereiten, müssen deutsche Etappensieger der Gegenwart viel Energie in Fluchtgruppen aufwenden. Denz ist darin ein Meister. Seinen immerhin dritten Tageserfolg beim Giro holte er als Ausreißer.
Das war vor allem eine Willensleistung – als Reaktion auch auf das verletzungsbedingte Ausscheiden seines mit Gesamtsiegambitionen zum Giro gekommenen Kapitäns Primoz Roglic.
In so einem Projekt Giro-Gesamtsieg steckt die Arbeit von sehr vielen Leuten. Und das ist natürlich schon ein herber Dämpfer, wenn es dann einfach wegbricht.
Nico Denz zur Aufgabe von Favorit und Bora-Kapitän Primoz Roglic
„Der Verlust von so einem Leader zieht noch viel mehr nach sich. In so einem Projekt Giro-Gesamtsieg steckt die Arbeit von sehr vielen Leuten. Und das ist natürlich schon ein herber Dämpfer, wenn es dann einfach wegbricht“, beschrieb er die Situation. „Wir haben dann aber dem Frust keine Chance gegeben und schnell den Schalter umgelegt“, lobte Denz die Moral im Team.
Das immerhin kann Red Bull-Bora-Hansgrohe als positive Erfahrung mitnehmen. Der Negativsaldo aber wiegt schwerer. Die finanzielle Macht durch Hauptgeldgeber Red Bull übersetzte sich bislang eher selten in Erfolge.
Roglic gewann zuvor nur die Katalonienrundfahrt. Jungstar Florian Lipowitz wurde Gesamtzweiter bei der Fernfahrt Paris – Nizza. Ob er mit zur Tour de France darf, ist derzeit noch nicht entschieden. „Er fährt erstmal als Kapitän zur Dauphiné-Rundfahrt und danach entscheiden wir final über den Tour-Kader“, sagte Teamchef Ralph Denk.
Lipowitz ist der deutsche Hoffnungsträger
Lipowitz ist eines der wenigen deutschen Rundfahrttalente überhaupt und inzwischen auch einer der nur noch wenigen deutschen Leistungsträger bei Red Bull. Der Rennstall stellt sich stärker international auf. Auch in den beiden Nachwuchsabteilungen für die U23 und die U19 befinden sich nur insgesamt drei deutsche Talente.
Das vielversprechendste ist Paul Fietzke. Der Cottbuser wurde bei der Internationalen Kids Tour Berlin entdeckt. Das ist Europas Prestige trächtigstes Rennen in den Altersklassen U13 und U15. Zeichen für den niedergehenden Nachwuchsbetrieb ist aber, dass das Rennen, das unter anderem John Degenkolb und Maximilian Schachmann zu den einstigen Siegern zählt, in den Jahren 2023 und 2024 wegen mangelnder Unterstützung der Stadt sowie aufgrund von juristischen Querelen mit dem Verband ausfiel.
Das ist ernüchternd, auch angesichts der Tatsache, dass einst sogar Tadej Pogacar hier teilnahm. 2010 wurde er im Sprintfinale der U13 auf dem Kurfürstendamm Zwölfter. Zehn Jahre später gewann er die Tour de France.
Jetzt im August soll diese immerhin vier Etappen umfassende Rundfahrt der Kleinsten, mit Ku’damm statt Champs Élysées als finaler Paradestrecke, aber wieder stattfinden. Vielleicht mit dem Toursieger 2035. Angesichts des internationalen Starterfelds selbst bei den Jüngsten handelt es sich dabei aber wahrscheinlich nicht um einen deutschen Radsportler.
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