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Fußball passt gut in den Kapitalismus, beide eint der konservative Grundgedanke, meint unser Autor.

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Willmanns Kolumne: Der Kampf gegen die Bösewichte von RB Leipzig

Proteste und Boykottaktionen gegen RB Leipzig sind schwer in Mode. Aufstände aber, bei denen die Aufständischen vor allem Geschäfte plündern, um sich Flachbildschirme zu klauen, interessieren unseren Kolumnisten nicht.

Endlich konnten die weltberühmten und sehr zahlreichen Aalener Ultras zum Zweitligastart Anfang August deutschlandweit auf sich aufmerksam machen. Mit einem neuem schwäbischen Bauherrenmodell? Ich bitte euch, Ultras stehen doch für die Veredelung des Balltretens. Sie boykottierten also die Auswärtsfahrt zu der Begegnung ihres Klubs mit RB Leipzig. Ihr werdet mich nun fragen: Wer oder was ist Aalen?

Der VfR Aalen spielt seit zwei Jahren in der Zweiten Liga. Und wie jede Mannschaft verfügt auch Aalen über einen Trupp junger Ultras, die oft und gern darauf hinweisen, wie man unseren unschuldigen Fußball vor den Schrecken des Kapitalismus bewahren kann. Oh, sorry, ich habe etwas Falsches geschrieben. Sie meinen natürlich nicht einfach nur den schnöden Kapitalismus, sondern schlimme Finger wie Red-Bull-Bösewichte, Kühnesenf-Kühne oder Hörgeräte-Kindt-Kindt. Die drei, zum Beispiel, haben sich nämlich Schlimmes vorgenommen! Sie wollen mit ihrem Geld ihre Lieblingsmannschaften ganz nach oben bringen! Entgegen jeder Tradition seit 1848 geht es ihnen nur ums schnöde Gewinnen. Das kann doch nicht wahr sein! Das muss natürlich die Fanseele zum Kochen bringen. Besonders, wenn man selbst Anhänger einer der unbedeutenden Vereine ist.

Fans von Essen, Offenbach oder Magdeburg müssen geborene Verlierer sein

Unbedeutend besagt im Fußballsprech erfolglos. Doch ein unbedeutender Verein kann trotzdem über ein vergleichsweise riesiges Anhängerbukett verfügen. Siehe Rot-Weiss Essen, Kickers Offenbach oder 1. FC Magdeburg. Schon komisch. Die Fans dieser Klubs müssen geborene Verlierer sein. Oder leben sie in derart langweiligen und öden Nestern, dass ihnen der schlechte Fußball ihres Klubs trotzdem noch lieber ist als beispielsweise der Gang in die Oper oder zum Synchronschwimmen? Fast jeder Fan möchte seinen Verein siegen sehen, das liegt in der Natur der Sache. Leider hängt das Siegen nicht vom Sieger-Gen ab. Da hat Olli Kahn geschwindelt. Was er ansonsten natürlich nie tut. Das Sieger-Gen kann man sich kaufen. Wenn man es sich leisten kann. Andernfalls bleibt nur der mühevolle Gang über die Hintertreppe nach oben. Der 1. FC Magdeburg zum Beispiel lauert seit 1989 auf genannter Treppe. Geduckt. Gespannt. Bereit. Immer auf dem Sprung in den Profifußball. Mein alter Verein Traktor Kromsdorf lauert dort im Übrigen auch.

Alles auf Anfang. Aalens Ultras kämpfen also erbittert gegen RB Leipzig. Das so genannte Produkt aus dem Hause Red Bull. Ich habe gerade vergessen, wie der Aalener Zahlemann heißt. Sicher ein Aalener Traditionsunternehmen. Nicht so ein hergelaufener Österreicher, der sich in die Heldenstadt Leipzig EINGEKAUFT hat. In Braunschweig soll es Hirn geregnet haben. Braunschweig ist keine Stadt, die ausschließlich von deutschen Rentnern bewohnt wird. Heute tragen viele Braunschweigfans Shirts mit dem Jägermeisteremblem. Weil es so schön kultig ist, Tradition und so. Weil Jägermeister den Fußball vor fast vierzig Jahren revolutionierte. Und sich dem Unternehmen als Brustsponsor der Eintracht neue Einnahmen erschlossen. Als aber kurz darauf der oberste Jägermeister den Klub in Jägermeister Braunschweig umbenennen wollte, ging das einigen Herren zu weit. Die Herde der gepeinigten Fanseelen, man muss sich das mal vorstellen. Als würde der Fußballgott die guten Fans in den Schlaf wiegen.

Warum solidarisiert sich keiner mit Herrn Kramer aus Gladbach

Der Kopf ist dazu da, um dem Bier und der Wurst, die man anlässlich eines Fußballspiels zu sich nimmt, ein Einfallstor in den  Magen zu sein. Jedenfalls wollen Braunschweigfans das Spiel ihrer Mannschaft bei RB Leipzig boykottieren. Und ihr wollt erste Liga sein? Schimpf und Schande und Häme. Die echtesten der echten Fans wollen das Produkt RB in die Hölle schicken. Warum solidarisiert sich keiner der „aktiven“ Fans mit Herrn Kramer aus Mönchengladbach? Er hat dieser Tage einen sehr klaren und sehr wahren Satz gesagt. Nach Herrn Kramers Ansicht, erinnert ihn das Transfergebaren einiger Klubs an modernen Menschenhandel. Abgesehen davon, dass man das Wort einiger durch das Wort aller ersetzen muss, hat er natürlich recht. Und was sagen die independenten Geister der deutschen Fankultur dazu? Die sind beschäftigt mit der Planung von Anti-RB-Protestmärschen. Aufstände, bei denen die Aufständischen vor allem Geschäfte plündern, um sich Flachbildschirme zu klauen, interessieren mich nicht so.

Wenigstens der Olymp reagierte. Mönchengladbachs Manager Max Eberl und Bayer-Sportdirektor Rudi Völler dementieren und stehen wie ein Mann vorm deutschen Fußball. War alles nicht so gemeint, Kramer bekommt ganz schnell ein neues Auto von Audi, VW, Porsche oder Dacia geschenkt.

Stadionnamen darf man verkaufen, Klubnamen nicht

Fußball passt gut in den Kapitalismus, beide eint der konservative Grundgedanke. Die Ehre, das Glück, die Heimat, der Kampf, die Tradition. Lautere Seelen identifizieren sich gern mit ihrem Klub und dessen geordneten Werten. Stadionnamen darf man verkaufen, Klubnamen nicht? Wieso? Wie kommt ein mittelmäßiger Klub nach oben, nehmen wir beispielsweise den Hamburger SV. Dafür wird des deutschen Fußballfreundes allerliebstes Gespinst, der Verein, in Luft aufgelöst. Im Verein durfte jeder Fan Mitglied sein und so tun als würde er mitbestimmen. Der offensive und gern geträumte Klartraum von der deutschen Meisterschaft. „…9702 stimmberechtigte Vereinsmitglieder waren schließlich um 16.15 Uhr anwesend und stimmten - nach ausführlicher Erklärung des Vorstandsvorsitzenden Carl Jarchow und einer lebendigen, rund zweieinhalbstündigen Diskussion innerhalb der Mitgliedschaft - mit 86,9 Prozent für die Ausgliederung des Geschäftsbereichs Profifußball…“

Ein Klartraum ist ein Traum, in dem der Träumer sich bewusst ist, dass er träumt. Angeblich erlebt jeder fünfte Mensch diese Situation zweimal im Leben. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass bewusstes Träumen und die willentliche Fähigkeit des Steuerns von Trauminhalten erlernbar sind. Dank der Red-Bull-Bösewichte, Kühnesenf-Kühne oder Hörgeräte-Kindt-Kindt wird dieses System nun in die Bundesliga implantiert. Comprende?

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