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© privat

Erlebnisbericht: Zum ersten Mal beim Fußball - und dann unter Schalkern

Sie war noch nie beim Fußball. Und dann fiel Katja Reimann bei ihrem ersten Besuch bei Hertha im Olympiastadion auch noch unter die Schalker. Hier ihr Erlebnisbericht.

Samstagmittag um kurz nach eins. Vor dem Olympiastadion stehen noch mehr Polizisten als Fußballfans. Gleich soll ich hier zwei Jungs treffen, die mir ihre dritte Karte verkaufen wollen. Dietmar und Joel, Vater und Sohn, 42 und 12 Jahre alt - aus Bottrop. Ich bin unruhig, denn ob ich den Streifen Papier wirklich bekomme, steht für mich noch längst nicht fest.

Die zwei, Freunde vom Freund eines Kollegen, gehen auch nicht mit jedem Mädchen ins Stadion, das habe ich schon gemerkt. "Sie waren noch nie beim Fußball?", hat Dietmar am Telefon gefragt. Nein, das heißt, doch: Ende der Neunziger, im Westfalenstadion. Schweigen in der Leitung. Falsche Antwort, der Mann ist doch Schalke-Fan! "Aber sie sind nicht ideologisch vorbelastet?", fragt er schließlich. Nein. "Wo kommen sie denn her?". Aus der Nähe von Köln. Wieder Schweigen. "Woher genau?". Ich nenne ihm den Namen der Kleinstadt, in der ich geboren wurde. "Das ist ja ne Ecke weg von Köln", sagt er erleichtert. Nun bin ich gespannt. Da sind die zwei. Kurz werde ich abgecheckt, dann wechseln Karte und Geld ihre Besitzer. Los geht's.

Zu spät für eine Karte im Hertha-Block
 
So stehe ich also im Schalke-Fanblock. Und auch wenn ich finde, dass die Spieler aus Gelsenkirchen in ihren quietschorangefarbenen Trikots ein bisschen aussehen wie die Ordner am Spielfeldrand - was ich hier natürlich nie laut sagen würde - ich bin heute für den S04. Oder tue zumindest so. Denn eigentlich bin ich eine Erfolgstouristin, eine von denen, die nur dann ins Stadion gehen, wenn mit einem historischen Ergebnis zu rechnen ist. Nämlich heute. Ich gebe es zu: ich wollte als Neuberlinerin etwas abhaben von der euphorischen "Vielleicht-schaffen-wir-es-ja-Meister-zu-werden-Stimmung" bei Hertha, wollte eigentlich im sonnigen Teil des Stadions sitzen, bei den Berliner Fans. Aber da war es nicht mehr so einfach eine Karte zu bekommen. Ich kam zu spät. Stattdessen stehe ich nun, "Kohle zu unseren Füßen, oooohooo", ausgerechnet bei deren Lieblingsfeind. Der diese Feindschaft, das erfahre ich nebenbei, übrigens gar nicht richtig nachvollziehen kann.

"Hertha ist uns total wurscht", sagt Dietmar neben mir. Und überhaupt: wo liegt schon Berlin? Seine königsblauen Jungs pflegen aus naheliegenden Gründen ganz andere Feindschaften. Mit den "Zecken" vom BVB natürlich - intensivst. Meine blonden Haare werden in Kombination mit meiner schwarzen Jacke gleich bereitwillig als Dortmunder schwarz-gelb missverstanden. Ich soll lieber aufpassen was ich anziehe, sagt mir einer und guckt böse. Mein Verweis auf die blauen Turnschuhe an meinen Füßen beruhigt ihn. Ansonsten sind wir entspannt. Für "uns Schalker" gehts an diesem Samstag um nichts mehr. Höchstens darum, den Berlinern einen Sieg so schwer wie möglich zu machen. Am Geländer über unseren Köpfen hängen halbnackte Ultras. Sie schreien: "Wir versauen euch die Meisterschaft". Das finde ich etwas hart, aber nun gut.

Orangefarbene Männchen

Allerdings brauche ich die Berliner nicht in Schutz nehmen, denn bei unseren orangefarbenen Männchen auf dem Rasen kommt die Botschaft offenbar sowieso nicht an. "Warum trauen sie sich denn nicht?", frage ich Joel, als sich mal wieder so gut wie alle Schalker Spieler vor dem Berliner Tor versammeln und keiner schießt. Joel zuckt mit den Schultern. Mein Nebenmann sagt genervt: "Die warten immer alle, dass der Kuranyi das macht." Doch der, das sehe sogar ich, macht gar nichts.

Der einzige, der in der ersten Halbzeit offenbar richtig Lust zum Fußballspielen hat ist Marko Pantelic. Aber leider, pardon, zum Glück, ist "unser" Torwart, Manuel Neuer, ziemlich gut - und die Schiedsrichter mögen uns auch. Beim Tor von Pantelic wedeln sie wild mit ihren gelben Abseitsfähnchen. Und viel mehr Action gibt das Spiel anschließend nicht mehr her. "Spielen die um die Meisterschaft oder wir?", fragt einer neben mir.

"Jetzt soll endlich mal was passieren"

Ich schaue mich ein bisschen um, zwei Reihen vor mir knipst ein älterer Herr Fotos für seine Fan-Webseite, ein paar Plätze weiter sind zwei ins Gespräch vertieft, Joel ist nach den ersten 42 Minuten genervt: "Jetzt soll endlich mal was passieren."

Für Freude sorgt nur der Wolfsburger Spielstand, der gelegentlich auf den großen Anzeigetafeln eingeblendet wird. Wolfsburgs Noch-Trainer Felix Magath ist bei Schalke schon eingemeindet. "Mit dem werden wir nächstes Jahr Meister", erklärt mir Joel.

Das Spiel wird zur Nebensache

Und bis dahin ist erst mal Schluss mit Aufregung. In der zweiten Halbzeit feiert unser Block eine fröhliche Party - nur interessiert sich fast keiner mehr wirklich für das Spiel. Längst stehen hier und dort Grüppchen zusammen und quatschen, die meisten kennen sich. Dietmar klettert ein paar Reihen tiefer, zu Tina und Heiko, die zu Hause, auf Schalke, immer eine Reihe hinter ihm sitzen. Auch bei den Berliner Fans gegenüber ist offenbar die Luft raus. Von denen hört man gar nichts mehr. Haben die schon aufgegeben?

Kurz vor Abpfiff halten wir nochmal die Luft an. Ecke für uns, Kuranyis Chance - vertan. "Naja", sagt Dietmar, "wir haben ja alles erreicht, was wir wollten: Berlin wird auch nicht Meister". Ich  lächle diplomatisch und gehe mit meinen Schalkern noch ein Bier trinken. Draußen in der Sonne vorm Stadion, ganz entspannt.

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