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Herero-Aktivist Israel Kaunatjike und Jan Böhmermann.

© Mike Wolff/Julia Hütner/dpa

Aktion gegen die Hohenzollern: Warum Jan Böhmermann an der Seite der Herero kämpft

Der Bund entschuldigt sich nicht für den Genozid - verhandelt aber über Gemälde? Wahnsinn, sagt der Satiriker. Und mobilisiert jetzt Juristen.

Israel Kaunatjike sagt, er hat nichts gegen den Mann persönlich. Er kennt ihn ja gar nicht, hat nie mit ihm gesprochen, las seinen Namen vor Monaten erstmals in der Zeitung: Georg Friedrich Prinz von Preußen, Ururenkel des letzten deutschen Kaisers.

Wütend wurde Israel Kaunatjike jedoch, als er hörte, was dieser Georg Friedrich verlangt: Entschädigungszahlungen von der Bundesregierung, tausende Kunstwerke aus öffentlichen Museen und dauerhaftes, unentgeltliches Wohnrecht im Potsdamer Schloss Cecilienhof oder zwei anderen Schlossvillen.

Noch ungehaltener wurde Israel Kaunatjike dann, als er erfuhr, dass die Bundesregierung tatsächlich, im Geheimen, seit Jahren mit den Hohenzollern über diverse Forderungen verhandelt. „Was uns jahrzehntelang verwehrt wird“, sagt Kaunatjike, „ist ausgerechnet für die Hohenzollern kein Problem.“ Wenn das nicht ungerecht sei, was bitte dann?

Es gibt eine Verbindung zwischen der Familie Kaunatjike und den Hohenzollern. Es ist, jedenfalls für eine Seite, eine leidvolle. Israel Kaunatjike hat davon erzählt, Donnerstagabend in der Fernsehsendung „Neo Magazin Royale“ bei Jan Böhmermann. Er sagt, er hofft, so würden viele Menschen, auch junge, aufmerksam auf diese Ungerechtigkeit.

Es war der erste Genozid des 20. Jahrhunderts

Ein paar Tage zuvor sitzt der 72-Jährige im Wohnzimmer seiner Parterrewohnung in Berlin-Schöneberg, nicht weit vom Bahnhof Yorckstraße, vor 50 Jahren gelangte er über Umwege in die Stadt. An den Wänden hängen Kunst und Werkzeuge seiner Vorfahren. Pfeil und Bogen, eine Schale für Dickmilch. Kaunatjike ist Nachfahre der Herero. Eines jener Völker, an denen die Deutschen in ihrer Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts verübten. Deutsches Staatsoberhaupt war damals Kaiser Wilhelm II., also Georg Friedrichs Ururgroßvater.

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Ab 1904 ging die „Kaiserliche Schutztruppe“ in Südwestafrika brutal gegen zehntausende Einheimische vor. Schoss auch auf Frauen und Kinder, vertrieb Geflüchtete systematisch von den wenigen Wasserstellen, sodass tausende verdursteten. Insgesamt starben bis zu 80.000 Herero und 10.000 Nama. Bis heute hat sich die Bundesrepublik Deutschland nicht dafür entschuldigt, keine Reparationen gezahlt, nicht einmal anerkannt, dass es diesen Genozid gab. An seinem Esstisch hebt Kaunatjike die Schultern. „Aber mit den Nachfahren des Kaisers verhandelt man ernsthaft über Kunstwerke und dauerhaftes Wohnrecht?“

Seit 15 Jahren kämpft Israel Kaunatjike inzwischen dafür, dass Deutschland den Genozid anerkennt. Er spricht Politiker an, hält Vorträge, spielt in Theaterstücken, engagiert sich im Bündnis „Völkermord verjährt nicht“. Kaunatjike hat gesehen, wie Anträge in den Bundestag eingebracht und abgelehnt werden. Umso dankbarer sei er gewesen, dass Böhmermann ihn nach Köln lud.

Kaunatjike fürchtete zunächst, es könnte vielleicht zu albern werden, die Dringlichkeit seines Anliegens in einer Unterhaltungssendung untergehen. Doch im Gegenteil, sagt er. Wie ernst und präzise dieser Satiriker sei, wie offenkundig es ihm tatsächlich um die Belange der Herero ging, das hat ihn erstaunt.

Kaiser Wilhelm II. betrieb imperialistische Kolonialpolitik.
Kaiser Wilhelm II. betrieb imperialistische Kolonialpolitik.

© dpa

Der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer zählt zu den führenden Kolonialismusforschern in Deutschland. Am Telefon sagt er, die Mehrheit der Deutschen verkläre leider noch immer die eigene Kolonialgeschichte, verniedliche sie geradezu. Weil das Kaiserreich mit seinen 30 Jahren – im Vergleich zu anderen europäischen Staaten – nur kurze Zeit als formale Kolonialmacht agierte, herrsche der Glaube vor, dass der dabei angerichtete Schaden eher gering war.

„Das ist falsch“, sagt Zimmerer. „Tatsächlich wollte das Kaiserreich gerade als imperialer Nachzügler beweisen, dass es das Kolonialisieren vermeintlich ,Wilder‘ besonders gut beherrscht.“ In Deutsch-Südwestafrika beschränkten sich die systematischen Verbrechen nicht auf den Völkermord. „Deutsche Siedler führten sich als Herrenmenschen auf“, sagt Zimmerer, „schreckten weder vor Betrug noch Vergewaltigung zurück.“

Der deutsche Offizier versprach die Vernichtung der Herero

Als Reaktion darauf sei ab 1904 der bewaffnete Widerstand der Herero erfolgt – was zum Befehl führte, diesen mit allen Mitteln niederzuschlagen. Und zwar nicht durch den ortsansässigen Gouverneur, der als vergleichsweise moderat galt. Sondern durch Generalleutnant Lothar von Trotha, der einige Jahre zuvor bereits in Ostafrika durch seine Brutalität aufgefallen war. Zimmerer sagt: „Die Entscheidung, den Feldzug durch einen ortsfremden Offizier führen zu lassen, war eine Weichenstellung in Richtung Völkermord.“ Lothar von Trotha strebte die Vernichtung der Herero an. Nur so könne der „Rassenkrieg“ gewonnen werden. Trotha versprach, die „aufständischen Stämme mit Strömen von Blut“ auszulöschen, „Gewalt mit krassem Terrorismus“ auszuüben.

Zimmerer sagt: Wilhelm II. war ein „Ermöglicher“ dieser Taten. Er habe „etwa durch seine Rhetorik den Rahmen geschaffen, in dem ein Verbrecher wie Lothar von Trotha einen Genozid durchführen konnte“.

Als Beispiel für den Umgang mit Aufständischen, den Wilhelm II. in dieser Zeit wünschte, sieht Zimmerer die berüchtigte Rede, die der Kaiser im Juli 1900 in Bremerhaven hielt. Bei der Verabschiedung deutscher Soldaten, die als „Ostasiatisches Expeditionskorps“ nach China entsandt wurden, um den dortigen so genannten Boxeraufstand niederzuschlagen, forderte er Gnadenlosigkeit. Unter anderem befahl er: „Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen!“ Auch Lothar von Trotha gehörte diesem Korps an.

Von Deutschen gefangene Herero im Jahr 1904.
Von Deutschen gefangene Herero im Jahr 1904.

© Keystone

Die Gräueltaten, die dieser vier Jahre später in Südwestafrika anrichtete, wurden in Berlin nicht verheimlicht, auch die Zeitungen berichteten. Der Kaiser schritt wochenlang nicht ein, nahm die Gewalt zumindest hin. Zimmerer sagt: „Auch dies ist ein Grund, warum Wilhelm II. mitverantwortlich ist für diesen Genozid.“

Lange vertrat die Bundesregierung die Position, eine Anerkennung des Völkermords sei überhaupt nicht möglich, da der Tatbestand erst 1948 Teil des Völkerrechts wurde. Man könne den Begriff nicht rückwirkend für etwas benutzen, was vor dieser Zeit so gar nicht einzuordnen war. Diese Position wurde unhaltbar, als der Bundestag vor drei Jahren die Verbrechen von Türken an Armeniern im Jahr 1915 verurteilte – und als Völkermord einstufte.

Inzwischen führt die Bundesregierung Gespräche, allerdings nicht mit Vertretern der Herero und Nama, sondern mit der Regierung Namibias. „Das ist völlig inakzeptabel“, sagt Israel Kaunatjike in seinem Schöneberger Wohnzimmer. Erstens sei die namibische Regierung abhängig von Deutschland, ein Gespräch auf Augenhöhe unmöglich. Zweitens interessiere sie sich nicht für die Belange der Herero und Nama. Sie wird von Vertretern der Ovambo, der größten Bevölkerungsgruppe Namibias, dominiert. Gespräche ohne die Nachfahren der Opfer, das geht nicht, sagt Israel Kaunatjike.

Ein Völkerrechtler ruft zum Ideenwettbewerb auf

Jan Böhmermanns Team hat auch Kontakt zu dem Bremer Völkerrechtler Andreas Fischer-Lescano aufgenommen. Der Mann, der 2011 als erster die Plagiate von Karl-Theodor zu Guttenberg aufdeckte. Auf die Frage, ob er die derzeitigen Verhandlungen der Bundesregierung mit den Hohenzollern für gerechtfertigt hält, antwortet Fischer-Lescano am Telefon mit einem Zitat des Soziologen Niklas Luhmann: „Der hat einmal gesagt, dass es Dinge gebe, die so geschmacklos sind, dass man nicht in Rechtstexten nachschlagen muss, um zu wissen, dass es Unrecht ist.“

Genau dies treffe auf die Forderungen der Kaiser-Nachfahren zu. Deshalb sei „jeder Tag Verhandlung mit den Hohenzollern ein Tag zu viel“. Die Bundesregierung solle schnellstmöglich ein Zeichen setzen, dass „in der Demokratie für solcherart aristokratisches Gebaren kein Platz ist“. Andreas Fischer-Lescano fordert, die „Verhandlungen über die Entschädigung von Tätern dringend zu beenden und mit ernsthaften Verhandlungen mit den Opfern des historischen deutschen Unrechts zu beginnen“.

Als ersten Schritt will der Völkerrechtler der Bundesregierung nun eine Argumentationshilfe geben. Gemeinsam mit dem Böhmermann-Team hat er eine Seminaraufgabe konzipiert, in der seine Studenten Möglichkeiten durchdenken sollen, wie den Ansprüchen der Hohenzollern beizukommen ist.

Auch andere Juristen und Fakultäten sind aufgerufen, sich zu beteiligen. Seit Donnerstagabend ist die Internetseite hohenzollern.lol freigeschaltet, auf der finden sich sämtliche Aufgaben sowie vier Gutachten zu der Frage, ob die Hohenzollern dem NS-System erheblich Vorschub geleistet haben. Denn genau dieser Punkt ist entscheidend für die Frage, ob ihnen Entschädigungen zustehen oder nicht. Die Gutachten wurden bis jetzt geheim gehalten. Alle eingereichten Lösungen will das „Neo Magazin Royale“ an die Bundesregierung weiterleiten.

Fischer-Lescano hofft, dass in die staatliche Auseinandersetzung mit der Frage der Anerkennung des Genozids Bewegung kommt. Zuletzt diskutierte der Bundestag im März über einen entsprechenden Antrag der Linken. Es war kurz vor Mitternacht, nach 15 Stunden Sitzung, nur ein Bruchteil der Parlamentarier war im Reichstag. Der Antrag wurde abgelehnt.

Die bislang letzte Entgegenkommensgeste an die Herero bestand darin, Überreste von Häftlingen der einstigen deutschen Internierungslager nach Namibia zu übersenden. 2011 und 2014 und von Aktivisten durchgesetzt, gab die Charité dutzende Gebeine zurück, vor zwei Jahren noch einmal: zehn Schädel, sie waren etwa für die Rassenforschung am Kaiser-Wilhelm-Institut genutzt worden. Fünf Skelette, ein Schulterblatt.

Rund 6000 Knochenteile sollen sich noch in Deutschland befinden. „Auch dieser Kampf ist sehr mühsam“, sagt Israel Kaunatjike.

Israel Kaunatjike in seinem Schöneberger Wohnzimmer.
Israel Kaunatjike in seinem Schöneberger Wohnzimmer.

© Mike Wolff

Er wuchs in einer Blechhütte auf, in einer Armensiedlung der Hauptstadt Windhoek. Das Land stand seit dem Abzug der Deutschen unter dem Mandat Südafrikas, es galten ähnliche Apartheids-Regeln wie dort. Die Mutter war Haushälterin einer deutschstämmigen Familie, ihre Söhne besuchten die Rheinische Missionsschule. Als Jugendlicher protestierte Israel gegen die Rassentrennung, musste in den 1960ern fliehen, damals war er 17. Erst nach Botswana, später Ägypten, schließlich Polen. Bis er beschloss, sich in West-Berlin ein neues Leben aufzubauen.

Erst 1989, nach der Unabhängigkeit Namibias, fing er an, sich mit der deutsch-südwestafrikanischen Geschichte zu beschäftigen. Bald fiel ihm auf, wie wenig sich die Deutschen ihrer kolonialen Vergangenheit bewusst sind. Dass es hier kaum jemanden stört, dass etwa die Lüderitzstraße in Wedding nach Adolf Lüderitz, dem ersten deutschen Landbesitzer in Südwestafrika, benannt ist. Einem Mann, der durch einen dreisten Betrug an große Flächen kam.

Und noch etwas fand Israel Kaunatjike erst jetzt heraus: Seine beiden Großmütter waren Herero. Die Großväter aber waren deutsche Siedler, die Großmütter arbeiteten als Angestellte in deren Häusern. „Ich gehe davon aus, dass es sich nicht um Liebesbeziehungen handelte“, sagt Kaunatjike. „Die Männer werden sich einfach genommen haben, was sie wollten.“

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